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Alarm im Nordatlantik?: Der Ozean erwärmt sich massiv

«Was zum Teufel geschieht im Nordatlantik?»: Der Ozean erwärmt sich alarmierend schnell

Die Temperaturen in den Weltmeeren brechen einen Rekord nach dem anderen. Vor allem der Nordatlantik scheint verrückt zu spielen. Wieso, ist im Detail nicht verstanden. Mit Klimamodellen allein lässt sich das ganze Ausmass der Erwärmung nicht erklären.
19.06.2023, 09:48
Stephanie Schnydrig / ch media
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Die gegenwärtige Hitze in den Weltmeeren beunruhigt viele Wissenschafterinnen und Wissenschafter – und lässt sie teilweise ratlos zurück. So etwa den emeritierten Professor Eliot Jacobson: «Was zum Teufel geschieht mit den Weltmeeren, und insbesondere mit dem Nordatlantik?», kommentiert er die aktuelle Lage in einem Blogartikel auf seiner Website.

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Ein Eisberg im Ilulissat-Eisfjord in Grönland. Bild: www.imago-images.de

Tatsächlich jagt im Nordatlantik schon seit Monaten ein Temperaturrekord den nächsten. Auch in der vergangenen 7 Tagen lag die Oberflächentemperatur des uns nächsten Ozeans mit durchschnittlich 22.7 Grad rund 1 Grad über dem Mittel der letzten dreissig Jahre. Das zeigen die Daten vom Climate Reanalyzer, einem Tool von Klimawissenschaftern der US-Universität Maine.

Es ist nicht nur der Atlantik, der neue Höchstwerte verzeichnet. Auch die globalen Meerestemperaturen sind beunruhigend hoch. Mitte März lag die Oberflächentemperatur aller Ozeane erstmals seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen 1982 im Schnitt über 21 Grad.

Aussergewöhnlich ist die Erwärmung der Meere aus zwei Gründen: Erstens übertreffen die neuen Temperaturrekorde die alten sehr deutlich. Zweitens dauert die Hitzewelle nun schon über drei Monate an, was ungewöhnlich lange ist.

So besorgniserregend die Situation auch sei, überraschen tue sie ihn nicht, sagt Thomas Frölicher, Klimaphysiker und Professor für Ozeanmodellierung an der Universität Bern. «Nun geschieht genau das, was von uns Fachleuten schon lange prognostiziert wurde. Nämlich, dass Hitzewellen in den Ozeanen mit der Klimaerwärmung häufiger, intensiver und grossflächiger werden.»

So wiesen Frölicher und sein Team etwa in einer im Fachmagazin «Science» publizierten Studie nach, dass heftige, für Meeresbewohner tödliche Hitzewellen seit Beginn der Industrialisierung über zwanzig Mal häufiger geworden sind. Zudem dauern die Hitzewellen immer länger: Waren es in den 80er-Jahren im Schnitt noch gut 30 Tage, dauerten sie im letzten Jahrzehnt fast 50 Tage an. Und die Hitzewellen waren in jüngster Vergangenheit heisser.

Auch wenn die verzeichneten Temperaturanomalien auf den ersten Blick nach wenig klingen: Wenn sich gigantische Wassermassen nur schon um die Bruchteile eines Grades erwärmen, sind das enorme Mengen an zusätzlich gespeicherter Wärmeenergie. Gemäss Thomas Frölicher hat sich der globale Ozean über die gesamte Wassersäule gemittelt seit 1960 um läppische 0.1 Grad erwärmt. Aber: «Diese Energie entspricht derjenigen, die etwa 200'000 Atomkraftwerke wie Gösgen in 60 Jahren liefern.»

Die Temperatur-Anomalie in den Weltmeeren.
Bild: ch media

Klimawandel ist nicht die ganze Wahrheit

Obwohl der Klimawandel also ohne Zweifel für einen Grossteil der derzeitigen Hitze in den Weltmeeren verantwortlich ist, erklärt er den rasanten Anstieg an der Meeresoberfläche in den letzten Monaten nicht – dies bereitet auch der Wissenschaft Kopfzerbrechen.

Nach Ansicht einiger Experten könnte eine neue Vorschrift in der Schifffahrt die derzeit warmen Temperaturen im Nordatlantik begünstigen. Denn seit Anfang 2020 dürfen Schiffe nur noch Treibstoff mit maximal 0.5 Prozent Schwefel verbrennen, zuvor waren noch 3.5 Prozent erlaubt.

Dieser reduzierte Grenzwert führte zu einem Rückgang der Schwefeloxidemissionen um über 75 Prozent, wie Eliot Jacobson, der emeritierte Professor, auf seinem Blog schreibt: «Dies ist zwar in vielerlei Hinsicht gut für die Umwelt (zum Beispiel weniger saurer Regen und Versauerung der Meere), hatte aber auch eine nicht ganz unerwartete Folge.»

Was er damit meint: Schwefelpartikel haben eine kühlende Wirkung, weil sie Sonnenlicht zurück ins Weltall strahlen. Gibt es weniger von den Teilchen, verringert sich dieser Effekt. Zu beobachten ist dies vor allem in den Regionen der wichtigsten und dichtesten Schifffahrtsrouten, unter anderem eben dem Nordatlantik.

Thomas Frölicher allerdings ist von der Schwefel-Theorie nicht wirklich überzeugt. Denn: «Damit lässt sich nicht erklären, wieso es in manchen Regionen des Atlantiks heisser ist als in anderen.» Plausibler scheint ihm die Erklärung mit den Passatwinden.

Thomas Frölicher: Umweltphysiker und Professor an der Uni Bern
Thomas Frölicher ist Umweltphysiker und Professor an der Uni Bern.Bild: zvg

Die lautet so: Passatwinde sind ganzjährig beständige Ostwinde in der Region des Äquators. Wehen sie über den Ozean, kühlen sie die Meeresoberfläche ab, indem sie tieferes und kälteres Wasser nach oben bringen. Momentan aber sind die Passatwinde im tropischen Atlantik und Pazifik schwächer - und dann können sie das Gegenteil bewirken. Dies, indem sie die Durchmischung der Wasserschichten verringern.

Kühlender Saharastaub fehlt

Durch die schwachen Passatwinde fällt noch ein weiterer Kühleffekt weg: der Saharastaub, der von den Winden normalerweise in grossen Mengen aus der nordafrikanischen Wüste quer über den Ozean bis nach Südamerika transportiert wird und das Sonnenlicht reflektiert.

Bemerkenswert ist, dass die Temperaturen im Ozean schon so hoch sind, bevor der sich nun anbahnende El Niño begonnen hat. El Niño, das ist ein Wetterphänomen, das alle zwei bis sieben Jahre im Wechsel mit seiner Schwester La Niña auftritt.

Während El Niño oft mit erhöhter Hitze, regionaler Dürre und wärmeren Ozeantemperaturen einhergeht, hat La Niña den gegenteiligen Effekt und bremste den globalen Temperaturanstieg in den vergangenen drei Jahren vorübergehend. «Momentan sind wir in einer Zwischenphase», erklärt Ozeanexperte Frölicher. Das heisst: La Niña hat aufgehört und kühlt nicht mehr, El Niño hat aber auch noch nicht eingesetzt. Wann und ob El Niño einsetzt, ist noch unklar.

«Die Behörde in Australien hat gerade eben mitgeteilt, dass die Wahrscheinlichkeit bei etwa 70 Prozent liegt, dass El Niño dieses Jahr einsetzt», so der Berner Professor. «Das würde die Hitze an der Meeresoberfläche in den nächsten Wochen und Monaten weiter befeuern.» Dies kann schwerwiegende Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme haben: ausbleichende Korallen, sterbende Seegras- und Kelpwälder sind nur ein paar Beispiele.

Korallenriff-Steilwand, großer Korallenblock mit vielen Klunzingers-Weichkoralle Dendronephthya in verschiedenen Rottönen, rot, Rotes Meer, Brother Islands auch El Ikhwa-Inseln, Gouvernement Rotes Mee ...
Die Erwärmung der Ozeane bedroht Korallenriffe.Bild: imago-images/imageBROKER/NorbertxProbst

Und nicht nur das: Wie Frölicher und seine Kollegen erst kürzlich zeigen konnten, treten Hitzewellen oftmals in Kombination mit anderen Extremereignissen wie Sauerstoffmangel und Versauerung auf. «Solche kombinierten Extreme belasten die Ökosysteme ungleich schwerer.» Er geht davon aus, dass ein solches kombiniertes Ereignis im subtropischen Atlantik derzeit stattfindet.

Nordatlantik-Hitze kann Starkniederschläge begünstigen
Die Erwärmung des Nordatlantiks beeinflusst das Wetter und Klima in der Schweiz und Mitteleuropa sehr stark. Generell dürfe angenommen werden, dass die Luftmasse über dem Atlantik durch die hohen Oberflächentemperaturen stärker erwärmt und angefeuchtet werde, schreibt «Meteoschweiz» auf Anfrage: «Damit hat die Luftmasse, welche vom Atlantik her nach Mitteleuropa gelangt, das grössere Potenzial für Starkniederschläge.»Eine verlässliche Prognose für das Sommerwetter liesse sich aber derzeit noch kaum machen, so «Meteoschweiz». Denn die Wetterlagen in Mitteleuropa hingen von vielen Faktoren ab. Neben den Oberflächentemperaturen des Atlantiks zum Beispiel auch stark von der Bodenfeuchtigkeit der europäischen Landmasse. (sny)
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120 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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malu 64
19.06.2023 12:33registriert September 2014
Der Zug ist schon längst abgefahren! Unsere Politiker veranstalten Alibiübungen. Der Punkt an dem es kein Zurück mehr gibt ist längst überschritten. Wir leben in unserer Luxusblase und wollen möglichst wenig Komfort einbüßen. Die nächsten Generationen werden uns verfluchen!
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19.06.2023 10:22registriert Februar 2016
Erschreckend wie das Geo-Engineering bereits Einlass in die Erklärungswut gegeben wird. Noch drei weitere Vulkane sprengen und es gibt eine kleine Eiszeit. Dumm nur, dass die Eismassen nicht mehr aufgebaut werden können. Zu spät. Das Abschmelzen der Eiskappen der Pole ist progressiv exponentiell. Je mehr Eis schmilzt desto schneller schmilzt, was noch übrig ist.
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leed
19.06.2023 11:08registriert Januar 2016
2013 hatte ich das Glück den Nordatlantik zu besuchen, mir wurde mir schon da erklärt wie man das Alter von Eisplatten misst ... und dass man schon damals keine Platten mehr finden konnte, die älter als 2 Jahre sind. Ist extrem traurig wie diese faszinierende Welt zugrunde geht.
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