Fast alle Staaten der Erde haben 2015 das Übereinkommen von Paris unterzeichnet, das die Klimaerwärmung eindämmen will – bis zum Jahr 2100 soll der durch den menschengemachten Treibhauseffekt verursachte Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius begrenzt bleiben.
Um dieses sogenannte 1,5-Grad-Ziel zu erreichen, muss der Ausstoss von CO₂ in die Atmosphäre massiv reduziert werden. Rechnet man jedoch heutige CO₂-Emissionen in die Zukunft fort, wird die 1,5-Grad-Schwelle schon in wenigen Jahren überschritten. Sollen die Ziele von Paris dennoch erreicht werden, muss die Reduktion des CO₂-Ausstosses durch Massnahmen ergänzt werden, die geeignet sind, das wichtigste Treibhausgas in grossem Massstab wieder aus der Atmosphäre zu entfernen (siehe Info-Box unten).
Zwischen den Klimaschutzversprechen der Staaten und dem, was eigentlich nötig wäre, um den Temperaturanstieg auf 1,5 oder wenigstens 2 Grad zu beschränken, klafft eine Lücke. Die Uno-Umweltorganisation UNEP misst diese sogenannte Emissionslücke seit 2010 einmal im Jahr und publiziert jeweils einen Emissions Gap Report. Jeweils mit demselben Befund: Es muss mehr geschehen!
Nun hat eine Studie dieses Analysekonzept erstmals spezifisch auf die CO₂-Entnahmen angewendet, also das Zurückholen des CO₂ aus der Atmosphäre. Durchgeführt wurde die Studie, die in der Fachzeitschrift «Nature Climate Change» erschienen ist, vom Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change).
«In den Emissions Gap Reports werden die CO₂-Entnahmen nur indirekt verbucht», stellt William Lamb fest. Der Wirtschaftsökologe ist Hauptautor der Studie, Teil der MCC-Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung und seit 2022 ein UNEP-Leitautor. In einer Medienmitteilung des MCC führt er aus, der gängige Massstab für die Klimaschutzversprechen seien die Netto-Emissionen, also der CO₂-Ausstoss minus die CO₂-Entnahmen. In der Studie werde nun «die spezielle Ambitionslücke beim Hochskalieren der Entnahmen transparent» gemacht. «Diese planetarische Müllabfuhr wird schon in Kürze ganz neue Anforderungen an die Politik stellen, sie wird in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts womöglich zur zentralen Säule des Klimaschutzes.»
Beim Ziel, die Netto-Emissionen auf null zu bringen («Netto-Null») spielen Methoden zur Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre zwar eine kleinere Rolle als die Reduktion von Emissionen. Dennoch ist ihr Beitrag entscheidend – aber nach wie vor zu klein. Wenn die nationalen Ziele der Länder vollständig umgesetzt werden, könnte die jährliche globale CO₂-Entnahme bis 2030 um maximal 0,5 Gigatonnen und bis 2050 um maximal 1,9 Gigatonnen ansteigen. Das ist immer noch sehr viel weniger als die 5,1 Gigatonnen, die bis 2050 aus der Atmosphäre geholt werden müssten – zumindest nach dem sogenannten Fokusszenario aus dem jüngsten Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC.
Dieses IPCC-Szenario setzt vornehmlich auf einen raschen Ausbau der erneuerbaren Energien und eine drastische Verringerung der Emissionen aus fossilen Brennstoffen. Aber auch dieses Szenario beruht darauf, dass künftig deutlich mehr CO₂ aus der Luft entfernt wird. Die Lücke für 2050 beträgt derzeit mindestens 3,2 Gigatonnen CO₂ (5,1-1,9 Gt). Ein alternatives Szenario des IPCC geht von einer geringeren globalen Energienachfrage aus, bewirkt durch politisch initiierte Verhaltensänderungen. Falls – und nur falls – die nationalen Ziele vollständig erreicht würden, wären sie in diesem Szenario beinahe ausreichend: Die Lücke würde dann im Jahr 2050 rund 0,5 Gigatonnen CO₂ betragen.
Es ist freilich nicht so einfach, mehr CO₂ aus der Atmosphäre zu holen, wie auch das Forschungsteam feststellt. Beispielsweise wird dafür viel Land benötigt – was wiederum Artenvielfalt und Ernährungssicherheit tangiert. Es gibt zwar auch immer mehr Alternativen, etwa Luftfiltersysteme oder die CO₂-Speicherung in Schottergestein.
Doch diese Methoden entfernen aktuell lediglich 0,002 Gigatonnen CO₂ pro Jahr aus der Atmosphäre, während konventionelle Massnahmen – zum Beispiel durch Aufforstung – 3 Gigatonnen CO₂ jährlich aus der Luft holen. Die neuen Methoden dürften sich überdies bis 2030 kaum steigern, wie die Wissenschaftler annehmen. Dabei müssten sie bis 2100 die konventionellen Optionen punkto Leistungskraft überholen.
Da nur 40 Länder ihre Pläne zur CO₂-Beseitigung in ihren langfristigen Strategien quantifiziert haben, stützt sich die Studie auch auf andere nationale Dokumente und Annahmen. «Die Berechnung muss sicherlich noch verfeinert werden», räumt Lamb ein. Doch die Studie eröffne die Diskussion darüber, wie viel CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden muss, um das Pariser Klimaabkommen zu erreichen. «So viel ist klar: Ohne eine schnelle Senkung der Emissionen in Richtung null, quer durch alle Sektoren, wird das 1,5-Grad-Limit in keinem Fall eingehalten», warnt Lamb.
In einem zusammenfassenden «Policy Brief», der ebenfalls in «Nature Climate Change» erschienen ist, listen die Studienautoren Empfehlungen für die Politik auf:
(dhr)