«Das Reich der Tränen ist vorbei», jubelte der protestantische Prediger Billy Sunday. «Bald werden die Slums der Armenviertel nur noch eine Erinnerung sein. Wir werden die Gefängnisse in Fabriken umwandeln und die Gerichtsgebäude in Lagerhallen. Männer werden nun aufrecht gehen, Frauen werden lächeln und Kinder werden lachen. Die Hölle wird auf Ewigkeit zum Vermieten angeboten.»
Was Sunday so hymnisch feierte, war der Beginn der Prohibition. Als der 18. Zusatzartikel zur Verfassung am 16. Januar 1920 in Kraft trat, hatte die mächtige Bewegung gegen den Alkohol ihr Ziel erreicht. Herstellung, Transport, Verkauf, Ein- und Ausfuhr von «berauschenden Flüssigkeiten» – nicht aber deren Konsum – war nun in den Vereinigten Staaten illegal und blieb es bis Ende 1933. Knapp vierzehn Jahre, in denen die Zahl der Leberzirrhosen sank und die Mafia mächtig wurde.
Erste Gesetze zur Eindämmung des Alkoholkonsums gab es in Amerika bereits vor der Unabhängigkeit; 1735 erliess Georgia ein kurzlebiges Alkoholverbot. Maine führte dann die Prohibition 1851 ein, als erster Bundesstaat. 1869 wurde die Prohibitionspartei gegründet; 1874 der Christliche Frauenbund für Abstinenz (Woman's Christian Temperance Union, WCTU), der bald zur grössten amerikanischen Frauenorganisation anwuchs. 1893 formierte sich die so genannte Anti-Saloon-League. Bis 1916 war die Bewegung gegen den Alkohol mächtig angeschwollen und die Prohibition hatte bereits in 23 Bundesstaaten Gesetzeskraft erlangt.
Dieser Kampf gegen den Alkohol war allerdings auch eine Reaktion auf die zunehmende Kneipendichte und den wachsenden Absatz von Bier, das – von deutschen Einwanderern in den Staaten populär gemacht – ab 1890 zum beliebtesten alkoholischen Getränk geworden war. Die konkurrierenden Brauereien finanzierten die Saloons und statteten sie mit Kühlgeräten aus; zeitweise gab es in gewissen Gegenden einen Saloon auf 200 Einwohner. Glücksspiel und Prostitution folgten auf dem Fuss.
Es waren Einwanderer aus Deutschland oder Österreich-Ungarn und deren Nachfahren, die die meisten Brauereien (z. B. Anheuser-Busch) betrieben, während der Weinanbau eher von Italienischstämmigen beherrscht wurde. Sie waren wie die polnisch- und irischstämmigen Arbeiter, die in den Saloons dem Whisky zusprachen, in ihrer Mehrheit katholisch.
Die meisten Befürworter der Prohibition entstammten dagegen der angelsächsisch-protestantischen Mehrheitsgesellschaft, die ihre Vorherrschaft durch die Einwanderung von anderen Ethnien und Konfessionen bedroht sah und in den grossstädtischen Einwanderervierteln sowie den Ghettos der Schwarzen regelrechte Brutstätten des Lasters sah.
Im Kampf gegen «König Alkohol» trat zudem ein fundamentalistischer Reflex zutage, dessen Wurzeln im Puritanismus und letztlich in der calvinistischen Lustfeindlichkeit lagen. Die Prohibition war ein überwiegend puritanisches Projekt; Alkohol galt den Puritanern als Instrument des Teufels («Lucifer Liquids»), ihm wurden nahezu alle sozialen Missstände angelastet. In der Tat hatten die USA ein grosses Alkoholproblem – manche Väter trugen ihr ganzes Geld in die Saloons und stürzten so ihre Familien ins Elend. Von Alkohol befeuerte Gewalt traf vornehmlich Frauen und Kinder.
So ist es kein Wunder, dass sich Frauen an vorderster Front für die Prohibition einsetzten. Frauenrechtlerinnen, darunter die Woman’s Christian Temperance Union (WCTU), kämpften zugleich für das Frauenwahlrecht und das Alkoholverbot. Daneben traten so unterschiedliche Gruppierungen wie Sozialisten, Guttempler und andere Abstinentenorganisationen und sogar Ku-Klux-Klan-Mitglieder für die Prohibition ein. Zu den «drys», den «Trockenen», gehörte vornehmlich die ländliche und kleinstädtische Bevölkerung, während die Bewohner der Grossstädte mehrheitlich den «wets», den «Feuchten», zuneigten und in der Prohibition eine Schikane bigotter Puritanisten sahen.
Trotz der breiten Front der Unterstützer kam vermutlich nur mit dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg 1917 und der damit verbundenen Aufwallung antideutscher und patriotischer Gefühle genügend zusätzliche Fahrt in die Kampagne, damit sie die hohen Hürden einer Verfassungsänderung nehmen konnte. Dafür war nämlich eine Zweidrittelmehrheit im Kongress und danach die Ratifizierung durch drei Viertel aller Bundesstaaten erforderlich.
Die erste Hürde wurde am 18. Dezember 1917 genommen, als der Kongress den 18. Zusatzartikel zur Verfassung verabschiedete. Die zweite fiel am 16. Januar 1919, als mit Nebraska der 36. von damals noch 48 Bundesstaaten der Annahme zustimmte. Bis 1922 hiessen insgesamt 46 Bundesstaaten die Verfassungsänderung gut; nur Connecticut und Rhode Island waren dagegen. Ein Jahr nach dem Votum in Nebraska trat die Prohibition in Kraft; das «Noble Experiment» begann.
Noch zuvor, im Oktober 1919, hatte der Kongress gegen das Veto von Präsident Woodrow Wilson den Volstead Act verabschiedet, der sämtliche Getränke mit mehr als 0,5 Volumenprozent Alkohol als berauschende alkoholische Getränke im Sinne des Verfassungszusatzes definierte. Dies stiess manche moderate Befürworter der Prohibition vor den Kopf, die zuvor davon ausgegangen waren, dass nur harter Alkohol verboten werden würde – damit begann die Front der Befürworter noch vor dem Beginn der totalen Prohibition auf Bundesebene zu bröckeln.
Vorerst erfüllten sich jedoch einige Hoffnungen der Prohibitionsbefürworter. Der Alkoholkonsum, der schon während der Teilprohibition stetig abgenommen hatte, sank von knapp 0,8 Gallonen purem Alkohol pro Kopf im Jahr 1919 auf nur noch gut 0,2 Gallonen 1921. Überdies konnten die Mediziner eine deutliche Abnahme der alkoholbedingten Todesfälle verzeichnen; so gingen die Todesfälle aufgrund von Leberzirrhose seit 1916 um die Hälfte zurück und erreichten 1920 einen Tiefstand, auf dem sie bis 1932 blieben. Nach dem Ende der Prohibition stiegen sie rasant wieder an. Auch Fälle von Alkoholpsychose nahmen ab.
Der Alkoholverbrauch pro Kopf nahm indes bereits 1922 wieder markant zu und stieg in der Tendenz während der Prohibitionsjahre weiter. Auch das Trinkverhalten änderte sich, und zwar über die Dauer der Prohibition hinaus: Der Konsum verlagerte sich von Bier und Wein zusehends auf Spirituosen, die leichter zu schmuggeln und auch einfacher zu destillieren waren. Schwarzbrennerei («Moonshining») wurde zum Volkssport; viele Leute brannten nun ihren Schnaps heimlich in irgendwelchen Scheunen. Dies führte auch zu Todesfällen: Rund 10'000 Menschen kamen ums Leben, weil sie gepanschten Alkohol oder vergällten Industriealkohol getrunken hatten.
Verheerend fiel die Bilanz der Prohibition aber vor allem auf dem Gebiet der Kriminalität aus. So stieg die Mordrate von 5,6 pro 100'000 Einwohner im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf 10,0 in den Zwanzigerjahren. Dies hatte massgeblich mit einer weiteren so unerwünschten wie unvorhergesehenen Folge des Alkoholverbots zu tun: der Übernahme des nunmehr illegalen Alkoholgeschäfts durch die organisierte Kriminalität.
Der Schwarzmarkt weitete sich dramatisch aus, kriminelle Netzwerke bildeten sich heraus, das Schmuggelwesen blühte, die Korruption in Polizei und Politik nahm unvorstellbare Ausmasse an. In den Städten schossen illegale Geheimbars («Speak Easies») wie Pilze aus dem Boden. In New York soll deren Anzahl von 5000 im Jahr 1922 auf 30'000 im Jahr 1927 angestiegen sein. Nutzniesser war das organisierte Verbrechen – die Mafia wurde jetzt gross und blieb es auch. Berüchtigte Bosse wie Al Capone in Chicago bauten sich eigene Alkohol-Imperien auf, deren Logistik und Know-how nach dem Ende der Prohibition dem Handel mit anderen illegalen Drogen diente.
Die ausufernde Kriminalität – 1930 waren zwei Drittel aller Gefängnisinsassen wegen Alkohol- und Drogendelikten inhaftiert – stärkte die Opposition gegen das Alkoholverbot. Entscheidender aber war die Grosse Depression, die nach dem Börsencrash am «Schwarzen Donnerstag» 1929 begann. Sie führte zu massiven wirtschaftlichen und sozialen Problemen, die dringender erschienen als die Bekämpfung des Alkohols. Zudem hofften immer mehr Leute, die Abschaffung der Prohibition würde die lahmende Wirtschaft ankurbeln und dem Staat dringend benötigte Steuereinnahmen verschaffen.
Wirtschaftskrise und Prohibition waren die dominierenden Themen im Wahlkampf 1932. Der Demokrat Franklin D. Roosevelt siegte haushoch gegen den Amtsinhaber Herbert Hoover – damit waren die Tage der Prohibition gezählt. Der 18. Verfassungszusatz wurde nun durch eine erneute Verfassungsänderung, den 21. Zusatzartikel, aufgehoben. Am 5. Dezember 1933 ratifizierte ausgerechnet der sittenstrenge Mormonenstaat Utah als 36. Staat den Artikel, und die Prohibition auf Bundesebene war endgültig vorbei. Die Bundesstaaten erhielten jedoch ausdrücklich das Recht, weiterhin Alkoholverbote zu erlassen. Erst in den Sechzigerjahren gab Mississippi als letzter Staat die Prohibition auf.
Prohibitive Züge im Umgang der Amerikaner mit Alkohol sind noch heute deutlich sichtbar: Öffentlicher Alkoholkonsum ist an vielen Orten verpönt oder gar verboten – wer auf der Strasse ein Bier trinkt, sollte es in eine Tüte stecken. Nach wie vor gibt es zahlreiche Landkreise, die den Verkauf von Alkohol nicht erlauben, besonders im bibeltreuen Süden. Junge Amerikaner müssen warten, bis sie 21 Jahre alt sind, bevor sie legal Alkohol konsumieren dürfen. Noch immer gibt es in der amerikanischen Gesellschaft einen starken puritanischen Reflex, der möglicherweise auch erklärt, warum die USA seit den Achtzigerjahren trotz den ernüchternden Erfahrungen der Prohibition einen ebenso fruchtlosen «Krieg gegen Drogen» führten.
Nur ich bestimme, welche toxischen Substanzen ich meine Körper zuführen möchte
Aus der Prohibition könnte man hinsichtlich Drogenkrieg etwas lernen, sollte man meinen ...
Übrigens, die Ironie der ganzen Geschichte: die Prohibition hat den Durchbruch von heute beliebten Spirituosen wie Gin oder Rum in den USA erst ermöglicht.
Und ja, ich mag Alkohol :D Allen ein fröhliches Anstossen heute! 🍻 Der Donnerstag ist ja bekanntlich der Freitag des Freitags ;)
Verliert die Welt gerade den Krieg gegen Drogen.
Ein Freund von mit hat noch ne Flasche Schwarzgebranntes von seinem Urgrossvater als Andenken. Getrunken haben die das, vermischt mit viel Wasser, trotzdem war es höchst ungesund. Sein Urgrossvater wurde von dem Zeug Blind.