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Frachter wie die Pyxis Ocean nutzen mit Hightech-Segeln den Wind

Pyxis Ocean
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Die «Pyxis Ocean» nutzt eine neuartige Technologie, die mittels Windkraft Treibstoff einspart. Bild: Cargill

Comeback der Segel – wie Frachter mit Hightech den Wind nutzen

21.03.2024, 18:51
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Bis ins 19. Jahrhundert beherrschten Segelschiffe die Meere, doch dann wurden sie von Dampf- und Motorschiffen verdrängt. Als Mittel für den Waren- und Personentransport über grössere Strecken spielten sie keine Rolle mehr. Das könnte sich jedoch ändern: Windkraft erlebt ein Comeback, auch in der Seefahrt.

Dank hoher Transportkapazitäten ist der Seeweg eine der effizientesten Methoden, um grosse Mengen von Waren über weite Strecken zu bewegen. Mehr als 90 Prozent der weltweit gehandelten Güter werden per Schiff transportiert. Dabei ist der Energieaufwand je beförderter Tonne pro Kilometer im Vergleich zu anderen Transportmitteln gering, und dies gilt auch für den CO₂-Ausstoss.

Hingegen stossen Seeschiffe pro transportierter Tonne und pro Kilometer mehr Schadstoffe aus – Schwefeloxide, Stickstoffoxide, Schwermetalle, Russ und Feinstaub – als der Landverkehr. Und ihre Abgase machen bis zu drei Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen aus – das ist etwa das Anderthalbfache der Emissionen Deutschlands. Zwar muss die Schifffahrtsindustrie ihren CO₂-Ausstoss bis 2050 auf null bringen, doch die neuen Standards zur Reduzierung gefährlicher Schwefelabgase greifen nur allmählich.

Diese Schiffe werden zum grossen Teil mit Schweröl betrieben. Schweröl besteht aus den zähflüssigen, schadstoffhaltigen Reststoffen des Raffinerieprozesses. Um diesen Kraftstoff an Bord der Schiffe zu verwenden, muss er zur Pumpfähigkeit erhitzt und von Feststoffen gereinigt werden. Die Rückstandsschlämme (Sludge), die aus dieser Aufbereitung anfallen, müssen im Hafen entsorgt werden. Dies geschieht nicht immer; nach wie vor werden sie oft illegal im Meer verklappt.

Die Folgen für das Ökosystem der Meere und das Klima sind immens. Kein Wunder, dass Alternativen für das schmutzige Schweröl gesucht werden – Hybridantrieb, LNG (Flüssigerdgas), Wasserstoff oder gar Ammoniak. Und eben auch eine alte Technologie in neuem Gewand: Segel – genauer: Hightech-Hartsegel.

«Pyxis Ocean»

Pyxis Ocean
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Die beiden auf der «Pyxis Ocean» installierten WindWings konnten den Treibstoffverbrauch um 11,2 Tonnen pro Tag senken. Bild: Cargill

Die Kombination von Segel und Motor ist nicht neu – schon die ersten Dampfschiffe hatten noch Segel, weil man sich auf die noch halbwegs experimentellen Dampfmaschinen nicht verlassen wollte. Heute versucht man, Windkraft zu nutzen, um Treibstoff einzusparen. Ein Projekt, das nun einen sechsmonatigen Testlauf erfolgreich bestanden hat, ist die «Pyxis Ocean». Das von MC Shipping Kamsarmax betriebene und von Cargill gecharterte Schiff, das unter der Flagge Singapurs fährt, ist mit zwei von BAR Technologies entwickelten Windflügeln nachgerüstet worden.

Diese sogenannten WindWings sind 37,5 Meter hohe, solide Segel aus Stahl und Glasfasern, die faltbar sind. Sie dienen als zusätzlicher Antrieb, wenn das Schiff in Gebieten mit günstigen Winden und Strömungen unterwegs ist. Der Besatzung wird durch ein simples rot-grünes Ampelsystem angezeigt, wann diese WindWings aktiviert und deaktiviert werden sollen. Wenn sie eingeschaltet sind, reagieren sie automatisch auf die Veränderungen des Winds und trimmen sich auf die optimale Geschwindigkeit. Das Schiff fährt mit ihnen nicht schneller, spart aber Treibstoff.

WindWings auf der Pyxis Ocean.
https://www.cargill.com/story/windwings-maiden-voyage
Die Oberfläche der beiden WindWings ist gesamthaft so gross wie die Tragflächen von drei Jumbo Jets zusammen.Bild: Cargill

Bei ihrer sechsmonatigen Reise, die sie durch den Indischen Ozean, den Pazifik und den Nord- und Südatlantik führte, konnte die «Pyxis Ocean» laut Angaben von Cargill das Äquivalent von drei Tonnen Treibstoff pro Tag einsparen. Das führte zu einer Verringerung der CO₂-Emissionen um 11,2 Tonnen – so viel wie 480 Autos in dieser Zeit ausgestossen hätten.

Als Nächstes soll nun dafür gesorgt werden, dass solche grossen, mit Segeln ausgestatteten Schiffe mit 250 Häfen weltweit kompatibel sind. Zudem sollen weitere Schiffe nicht nur mit zwei WindWings ausgerüstet werden wie die «Pyxis Ocean», sondern mit drei Flügeln. Dies würde die Treibstoffeinsparungen und Emissionsreduzierungen um den Faktor 1,5 erhöhen.

«Wind Challenger»

Kohlefrachter Shofu Maru mit Wind-Challenge-System
https://www.mol.co.jp/en/pr/2022/img/22110.pdf
Die «Shofu Maru» ist ein Kohlefrachter mit einem innovativen Windantriebssystem.Bild: MOL.co.jp

Auch der japanische Schifffahrtskonzern Mitsui OSK Lines (MOL), eine der grössten Reedereien der Welt, setzt Hightech-Hartsegel ein. Der 235 Meter lange Frachter «Shofu Maru», der mehr als 80'000 Tonnen Kohle fasst, ist als erstes Schiff mit einem Hartsegel-Windkraftantriebssystem namens «Wind Challenger» ausgestattet worden. Es nutzt die Windkraft mithilfe eines Fiberglassegels aus vier Teilen, die bei einer Breite von 15 Metern bis zu 53 Meter Höhe ausgefahren werden können.

Das Segel erkennt dank Sensoren Windrichtung und -stärke und richtet sich für maximale Ausbeute danach aus. Es hält Windgeschwindigkeiten von 180 Kilometern pro Stunde problemlos aus und soll sogar Böen von 250 Kilometern pro Stunde widerstehen können – also selbst einem starken Taifun.

«Wind Challenger» ist seit 2009 an der Universität von Tokio entwickelt und dann 2018 von MOL übernommen worden. Die Reederei liess damit die in Nagasaki von der Firma Oshima Shipbuilding gebaute «Shofu Maru» ausrüsten, die am 7. Oktober 2022 vom Stapel lief. Der Frachter wird von seinem Heimathafen Noshiro aus vornehmlich Kohle aus Australien, Indonesien und Nordamerika nach Japan transportieren. Die «Shofu Maru» nutzt allerdings neben der Windkraft nach wie vor hauptsächlich Treibstoff.

«Wind Challenger» fügt die Windenergie direkt zur Antriebskraft hinzu, ohne dass sich die Geschwindigkeit des Schiffs ändert. Dafür sinkt der Kraftstoffverbrauch, und damit nehmen auch die Treibhausgasemissionen ab. Im Vergleich zu einem konventionellen Schiff derselben Klasse soll eine Fahrt von Japan nach Australien den Kraftstoffverbrauch gemäss «ABC News Australia» um etwa 5 Prozent senken. Dies entspricht immerhin einer Treibstoffmenge von 25'000 Litern. Auf der Route von Japan an die nordamerikanische Westküste dürfte die Kraftstoffeinsparung sogar 8 Prozent betragen.

SHOFU MARU entering Newcastle, Australia
https://www.mol.co.jp/en/pr/2022/22118.html
Die Shofu Maru bei der Einfahrt in den Hafen von Newcastle, Australien. Bild: MOL.co.jp

Mittlerweile hat die «Shofu Maru» ihre Jungfernfahrt erfolgreich absolviert: Im Oktober 2022 lief der Kohlefrachter in Newcastle an der australischen Ostküste ein, dem grössten Kohlehafen der Welt. Dort wurde das Schiff laut Mitteilung der Reederei «warm empfangen» und dann für seine erste Beladung vorbereitet.

SHOFU MARU received a warm welcome from concerned parties
https://www.mol.co.jp/en/pr/2022/22118.html
Warmer Empfang für die «Shofu Maru» im Hafen von Newcastle.Bild: MOL.co.jp

Möglicherweise werden wir bald mehr Schiffe mit dieser neuen Technologie sehen – auch in anderen Ländern gibt es Projekte mit solchen Segeln. Ebenfalls in diesem Jahr wurde ein Öltanker der China Merchant Energy Shipping in Schanghai fertiggestellt, der vier jeweils 40 Meter hohe Segel als zusätzlichen Antrieb nutzt. Die «New Aden» soll dadurch bis zu 10 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen, was pro Jahr rund 2900 Tonnen weniger freigesetztem CO₂ entspricht.

Öltanker New Aden der China Merchant Energy Shipping in Schanghai
Die «New Aden» hat gleich vier Segel mit einer gesamthaften Fläche von 1200 m2. Bild: China Classification Society

«Oceanbird»

Ein noch radikaleres Konzept stellt das schwedische Projekt «Oceanbird» dar, das bis zu 80 Meter hohe Teleskop-Segel anstelle von Motoren für den Antrieb nutzen will. Lediglich ein Hilfsmotor für Notfälle und das Manövrieren im Hafen ist vorgesehen. Vorerst nur auf dem Reissbrett existiert derzeit ein Entwurf für einen 200 Meter langen und 40 Meter breiten Autofrachter, der bis zu 7000 Fahrzeuge transportieren soll. Der Prototyp ist für 2026 geplant.

Projekt Oceanbird
https://www.theoceanbird.com/media/
Motoren nur noch als Hilfsantrieb: das «Oceanbird»-Projekt.Bild: TheOceanbird.com

Das Gemeinschaftsprojekt des Schiffsdesignunternehmens Wallenius Marine, des schwedischen Forschungsinstituts SSPA und des Royal Institute of Technology in Stockholm soll mit dem Windantrieb eine Geschwindigkeit von 10 bis 12 Knoten erreichen; der Ausstoss von Schadstoffen wäre im Vergleich zu einem herkömmlichen Frachter um 90 Prozent reduziert. Der Windantrieb würde auch die Lärmbelästigung im Wasser massiv reduzieren – ein Segen vor allem für Wale und andere Meeressäuger, die ihr Gehör für die Kommunikation und Navigation benutzen. (dhr)

Update
Diese Story ist bereits auf watson veröffentlicht worden, aus aktuellem Anlass haben wir uns entschieden, sie zu aktualisieren und erneut zu publizieren.

«Wir werden untergehen!» – Kreuzfahrtschiff gerät in schweren Wellengang

Video: watson/Fabian Welsch
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Wenn das Schiff fast nicht in den Hafen passt
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Wenn das Schiff fast nicht in den Hafen passt
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quelle: ap/pa / steve parsons
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33 Kommentare
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tostaky
05.11.2022 15:03registriert März 2015
Irgendwie zynisch, wenn die erste moderne Anwendung von Windkraft in der Schiffsfracht der Emmissionseinsparung um 5 (!) Prozent beim Transport von Kohle und Autos hilft. Aber 20'000l sind 20'000l und die Technologie wird künftig noch mehr leisten. Ich warte noch auf den forcierten Einsatz von Luftschiffen.
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Kaoro
05.11.2022 14:20registriert April 2018
Windkraft, ein Evergreen
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moderat
05.11.2022 14:55registriert Juni 2022
Beim Kohlefrachter ist man gemäss den Bildern offenbar von mehreren Segeln entlang des Rumpfes abgekommen und hat nur noch ein "Alibi" Segel am Bug verbaut. Denn so ein Frachter wird von oben beladen und entladen, und die Segel wären (auch eingefahren) im Weg! Auch auf einem Containerschiff wäre kein Platz. Ein Tanker oder Ro/Ro (Autotransporter) eignet sich vermutlich besser, auch wenn beim Letzteren der Schwerpunkt ein Thema ist - sie kentern manchmal auch ohne Segel...
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