Da ist sie, die berühmte Dame mit dem Hermelin, die Leonardo da Vinci 1490 gemalt hat. Und wie guckt sie?
Keusch?
Oder doch eher verführerisch?
Wer weiss. Da Vinci hat es schliesslich verstanden, seine Modelle mit einem geheimnisvollen Nebel zu umgeben, der sich zu keiner Zeit lichtet. Ihre Gesichter bleiben Rätsel und ihre Vieldeutigkeit wird sie für immer schützen vor dem allzu menschlichen Drang, sie einer einzig wahren Bedeutung zuzuführen.
Dennoch wollen wir nicht verzagen, sondern uns vielmehr der Lust am Interpretieren hingeben, denn nur so vermag man ein Mysterium auch ordentlich zu würdigen.
Nun denn.
Wir wissen, dass der italienische Meistermaler hier Cecilia Gallerani porträtiert hat. Die Mätresse seines Förderers Ludovico Sforza, dem Herzog von Mailand. Sie war damals 16 Jahre alt – und womöglich bereits schwanger. Also nichts mit Keuschheit.
Doch halt, auf ihrem Arm sitzt ein Hermelin. Und diesem Tierchen wurde nachgesagt, es würde sich seinen Jägern lieber ergeben, als sein schönes, weisses Winterfell bei der Flucht zu beflecken. Das Hermelin galt dem Renaissance-Menschen als Symbol für Reinheit, Unschuld und Keuschheit.
Doch halt, gehörte der Herzog nicht dem ritterlichen Hermelinorden an, dessen Wahlspruch eben nach dem tapferen Charakterzug jenes flinken Tierchens malo mori quem foedari (lieber sterben als besudelt werden) lautete? Und war sein Spitzname nicht «weisses Hermelin»? Und ist das Hermelin auf Cecilias Arm nicht ausnehmend muskulös?
Doch.
Verwirrlich! So wie das Hermelin selbst, jene majestätischste Variante des Wiesels. Denn es mochte als Keuschheitssymbol ebenso gelten ...
... wie als untrügliches Penis-Sinnbild. Als Spender enormer Fruchtbarkeit.
Im 16. Jahrhundert unterschied man nicht genau zwischen Wieseln, Hermelinen, Zobeln, Nerzen, Mardern oder Frettchen. Sie gehörten alle zur selben fleischfressenden, pelzigen Familie, deren Mitglieder sich besonders durch ihren länglichen, phallusartigen Körper auszeichnen.
Hier sehen wir Camilla Conzaga, umringt von drei ihrer Söhne und umhängt von einem schmuckbesetzten Wieselfell.
Nun ist daran allein noch nicht allzu viel Phallisches zu erkennen, doch wohin blickt die edle Dame?
Sie schaut erwartungsvoll hinüber zu ihrem Mann, dem General Pier Maria III de' Rossi mit dem Schlafzimmerblick.
Die beiden Gemälde gehören nebeneinander gehängt, so hatte es der Künstler vorgesehen, und nur auf diese Weise trat deren Symbolkraft deutlich genug zutage: Obschon der General mit seinem enormen Hosenbeutel und dem strategisch wohl platzierten Schwertgriff bereits allein für seine Manneskraft einzustehen verstünde, wird ihre Glaubwürdigkeit mit der Präsenz der devoten Gattin und deren dreimaliger Leibesfrucht zur ehernen Tatsache.
Glasklar steht es nun jedem Betrachter vor Augen: Hier hat einer erfolgreich an seiner Familienlinie gearbeitet.
Bei so viel Männlichkeit wird das Wiesel natürlich etwas an den Rand gedrängt. Es war dann auch eher das Helferlein der Frau, mit ihr verband sich sein italienischer Name unübersehbar: donnola, das Wiesel der Donna – ihr Begleiter in eine hoffentlich kinderreiche Zukunft.
Ein Porträt der jungen Braut, auf der sie einen Hermelin, Zobel oder Nerz trägt, war deshalb das ideale Hochzeitsgeschenk. Die toten Pelztierchen galten als Fruchtbarkeits-Talisman.
Den bereits erfolgreich Schwangeren sollten die Wiesel und seine Verwandten wiederum eine möglichst sichere Entbindung bescheren. Lag eine Frau in den Wehen, reichte man ihr die feuchten Tücher aus einer Schale mit Wieselmotiven. Auch das Tragen eines Marderfells auf der nackten Haut sollte die Frau vor den Gefahren der Entbindung schützen.
Das Wiesel scheint zu jener Zeit der König der Fortpflanzung gewesen zu sein. Doch wie kam das Tierchen überhaupt zu dieser Ehre?
Schliesslich wusste man damals noch nicht, dass ausgerechnet das Grosse Wiesel, das schöne Hermelin, das Weibchen bereits im Säuglingsalter begattet. Wenn es zwei bis drei Wochen alt ist. Noch blind, taub und unbehaart.
Gern übernimmt diese Aufgabe auch der eigene Vater.
Im 16. Jahrhundert allerdings entledigte man das Wiesel seiner von der Natur zugedachten Stellung und hievte es geradewegs in die heilige Sphäre hinauf. Dort oben nun rammelte es nicht mehr auf die üblich profane Weise die (Baby-)Weibchen.
Die Wiesel-Zeugung, so glaubte man, finde stattdessen durch die Ohren statt. In Anlehnung an die Jungfrauengeburt Marias. In deren unberührtes Ohr flüsterte nämlich ein Engel einst ihre bevorstehende Empfängnis: Durch das wundersame Wirken des Heiligen Geistes werde sie bald den Messias zur Welt bringen.
Und das Wort ward Fleisch.
Doch damit nicht genug. Das Wiesel gebäre auch nicht in der Weise, wie man sich das von Säugetieren gewohnt ist. Es bekomme seine Jungen durch den Mund.
Nicht einmal Aristoteles wurde diesem Irrglauben Herr. Unablässig erklärte er, die Tierchen würden durch die Vagina gebären und ihren Nachwuchs lediglich im Maul mit sich herumtragen.
Aber der Mythos des römischen Dichters Ovid war stärker. In seinen «Metarmorphosen» erzählt er die Geschichte der Magd Galanthis, die ihrer schwangeren Herrin Alkmene mit einer Lüge half, Herakles zu entbinden:
Die verbotene Leibesfrucht hatte ihr Zeus beschert. Der mit der rasend eifersüchtigen Hera verheiratete Göttervater hatte weiblicher Schönheit einmal mehr nicht widerstehen können. Und so rächte die gekränkte Gattin den Betrug damit, dass sie der Geburtsgöttin Eileithyia auftrug, sich untätig auf ihren Altar zu hocken und dabei ihre Knie mit den Armen so fest zu verschränken, auf dass Alkmene nicht gebären könne.
Nachdem die Arme sieben Tage und sieben Nächte lang in den Wehen gelegen hatte, ertrug Galanthis den Schmerz Alkmenes nicht mehr und erzählte der Geburtsgöttin, sie möge ihre Hausherrin beglückwünschen, sie habe soeben einem Jungen das Leben geschenkt. Die leichtgläubige Eileithyia sprang entsetzt auf und entliess in jener Verwirrung ihre Knie aus der Gefangenschaft. Der Bann war damit gebrochen und Alkmene entband ihr Kind zum Klange des schmählichen Siegeslachens ihrer Dienerin.
Doch bald schon verstummte Galanthis, zu Boden gedrückt von der erzürnten Geburtsgöttin, die sie zur Strafe in ein Wiesel verwandelte, das fortan dazu verdammt war, seine Kinder durch den lügenhaften Mund zu gebären, mit dem die Dienerin Herakles auf die Welt geholfen hatte.
Wir fassen zusammen:
Das Wiesel der Renaissance war unfassbar vielseitig. Es stand für Fruchtbarkeit, Geburt und Potenz ebenso wie für Reinheit und Unschuld. Und nicht zuletzt für Reichtum und Erfolg, was diese Lady mehr als deutlich zum Ausdruck bringt:
(mit Material von ridiculouslyinteresting.com)
Irgendwie fange ich an, an meiner Anatomie zu zweifeln :/
Input:
Du könntest mal eine serie starten zu den griechischen Götter, da gäbe es noch diverse abstruse geschichten zu erzählen