Eine neue Studie kommt der Lösung des Rätsels der abnehmenden Fruchtbarkeit von Männern ein Stück näher. Forschende aus Dänemark und Grossbritannien publizierten letzte Woche eine Studie, die Hinweise auf einen Mix aus Chemikalien als potenzielle Gefährder für Spermien gibt. Das Problematische: Den Chemikalien sind wir alle wohl täglich ausgesetzt.
Schon seit Längerem ist bekannt, dass die männliche Fruchtbarkeit arg leidet. So fand beispielsweise eine Studie 2017 heraus, dass die Konzentration der Spermien alleine zwischen 1973 und 2011 um 50 bis 60 Prozent abgenommen hat.
Betroffen sind sowohl die Anzahl der Spermien wie auch deren Qualität: Eine neuere Studie aus dem Jahr 2019 untersuchte die sogenannte Spermienmotilität, also die Beweglichkeit der Spermien. Es ist einer der Parameter, welcher die Qualität von Spermien misst. Das Resultat: Der Anteil der Männer mit einer als normal bezeichneten Spermienmotilität sank um zehn Prozentpunkte. Das heisst, der Anteil der Männer mit einer unterdurchschnittlichen Motilität stieg von 12,4 auf 21,3 Prozent – und das in nur 16 Jahren.
Die Frage, die sich seit solchen Erkenntnissen stellt: Warum ist es um menschliche Spermien so schlecht bestellt? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich schon länger darüber einig, dass Chemikalien und Umweltgiften wohl eine entscheidende Rolle zukommt. Dem ging auch die neuste Studie über die Ursachen der Verschlechterung von Spermien nach.
Zum ersten Mal untersuchten Forschende den Effekt einer Mischung aus verschiedenen, alltäglichen Chemikalien – statt wie bisher einzelne davon isoliert zu betrachten. Gestützt auf frühere Erkenntnisse aus diversen Studien generierten die Autorinnen und Autoren eine Risikoanalyse.
Es ist den Forschenden dann gelungen, die Stoffe, die am meisten im Verdacht stehen, die Qualität des menschlichen Spermas zu beeinträchtigen, in eine Rangfolge zu bringen:
Kunststoffe stehen mit Abstand an erster Stelle. Das sogenannte Bisphenol A (BPA) und seine Ersatzstoffe (BPS, GMP) sind die schlimmsten. BPA wird beispielsweise für die Herstellung von Polycarbonat, einem transparenten, harten Hochleistungskunststoff, verwendet. Es dient auch zur Herstellung von sogenannten Epoxidharzen, die als Schutzbeschichtungen und Innenauskleidungen für Konserven- sowie Getränkedosen und -fässer verwendet werden.
An zweiter Stelle stehen Weichmacher wie polychlorierte Dioxine und Phthalate. Dioxine entstehen allgemein als Nebenprodukte bei der Herstellung gewisser Chemikalien oder bei Verbrennungsreaktionen. Sie werden vom Menschen vor allem über tierische Nahrungsmittel wie Fisch, Fleisch, Eier und Milchprodukte aufgenommen.
Chemikalien mit dem dritthöchsten Risiko sind einige Parabene sowie – und das ist neu – der Arzneistoff Paracetamol. Parabene sind Stoffe, die vor allem in Kosmetikprodukten vorkommen.
All diese Stoffe stehen im Verdacht, das Hormonsystem des Menschen zu beeinflussen. Die Forschenden schätzen, dass der Wert der kombinierten Aussetzung der Bevölkerung gegenüber diesen Produkten etwa das 20-fache der Risikoschwelle beträgt.
Frühere Studien fokussierten sich vor allem auf den Effekt von Phthalaten (Weichmachern) auf die Spermienqualität. Diese Studie ist die erste, welche eine Interaktion von über 20 verschiedenen weiteren Chemikalien untersucht. Deren negativer Effekt auf die männliche Fruchtbarkeit wird in der Studie ungleich stärker eingeschätzt. Für die Erfassung der Risiken wurde der Urin von gut 100 Männern aus Dänemark im Alter von 18 bis 30 Jahren untersucht.
«Die meisten der von uns betrachteten Chemikalien gelangen über die Nahrung zu uns», sagt Professor Kortenkamp von der Brunel University London. Ein grosser Teil der Bisphenol-A-Aufnahme erfolge dabei über Milch: «Die Auskleidungen von Milchtüten und Konserven, z. B. von Tomatendosen, geben BPA an das Produkt ab.»
Was also tun? «Abgesehen von einem vorsichtigen Umgang mit Paracetamol können die Menschen relativ wenig tun, um die Exposition zu verringern», sagt Kortemkamp, einer der Studienautoren. Und: Das Problem könne lediglich durch bessere Regulierungen durch die Politik angegangen werden.
So verbietet zum Beispiel Frankreich den Kontakt von Bisphenol A mit Lebensmitteln. Die Forschenden plädieren dafür, dass dieses Verbot auf alle Bisphenole und alle Länder ausgeweitet wird.
Laut Studienautoren beginnen wichtige Schritte der männlichen Sexualentwicklung bereits in der Schwangerschaft. Deshalb seien die sich entwickelnden Babys besonders gefährdet. Das gilt insbesondere für die Einnahme von Paracetamol. Führende Toxikologen raten Müttern deshalb, während der Schwangerschaft kein Paracetamol einzunehmen und ihren Arzt um Rat zu fragen.
Die Menschheit sterilisiert sich selbst und befreit auf lange Sicht die Erde von diesem Parasiten. Ein bisschen apokalyptisch aber treffend.