Das Sprichwort ist alt und bekommt nun wissenschaftlichen Sukkurs: «Morgenstund hat Gold im Mund.» Da werden viele die Stirne runzeln, wie der Schreibende auch. Eher den Eulen zugetan, kann er den Morgenstunden nur wenig abgewinnen.
Doch eine gross angelegte Studie, die in der Fachzeitschrift «BMJ Mental Health» publiziert worden ist, bestätigt das Sprichwort jetzt, und zwar mit biologischen Argumenten. Forscherinnen und Forscher des University College London haben untersucht, ob die Tageszeit mit Schwankungen der psychischen Gesundheit verbunden ist, mit depressiven Symptomen und solchen der Angst. Und zudem mit dem Glück, der Lebenszufriedenheit, dem Gefühl, ob man das Leben lebenswert findet, wie auch der Einsamkeit.
Die Forscher analysierten Daten des University College London von beinahe 50'000 Menschen, die einen Fragebogen zur psychischen Gesundheit ausfüllten.
Die Analyse ergibt ein klares Muster: Menschen fühlen sich im Allgemeinen nach dem Aufwachen am besten, mit den geringsten Werten an depressiven und ängstlichen Symptomen, aber viel Glück und Lebenszufriedenheit. Am schlechtesten fühlten sich die Menschen um Mitternacht.
Die Beobachtungsstudie selbst sagt nichts über die Ursachen aus, die Autoren äussern aber Vermutungen. Thomas Egger ist Chefarzt Psychosomatik und Psychiatrie an der Klinik Gais der Kliniken Valens. «Die Forscherinnen und Forscher selbst vermuten, dass die Schwankungen mit der inneren Uhr zusammenhängen können», sagt der Psychiater. Diese «innere Uhr», Chronotypen genannt, hat gemäss dem Psychiater einen entscheidenden Einfluss auf das Wohlbefinden am Tag.
«Chronotypen sind unsere individuellen biologischen Präferenzen für den Schlaf-wach-Rhythmus. Die einen sind deswegen morgens munter und energiegeladen wie die Lerchen, die anderen abends am aktivsten wie eine Eule.» Die dazwischen bezeichnet man als «Tauben». Auch die Studienautoren sagen, dass die Veränderungen der psychischen Gesundheit mit der inneren Uhr erklärt werden können.
«Bekannt ist bereits, dass das «Stresshormon» Cortisol kurz vor dem Aufwachen einen «Peak» im Tagesverlauf erreicht. Dieses Hormon dient dazu, die Weckreaktion einzuleiten und den Körper auf den Tag optimal vorzubereiten, indem Energie bereitgestellt wird», erklärt Egger. Dies sehen auch die Studienautoren als möglichen Grund für das «Morgenhoch» vieler, da der Cortisolspiegel kurz nach dem Aufwachen seinen Höchststand erreicht und seinen Tiefststand um die Schlafenszeit.
Nebst diesem Hormon-Tagesverlauf schwanken auch viele andere Hormone nach einem natürlichen Rhythmus wie beispielsweise das schlaffördernde Melatonin. Aber auch andere Botenstoffe wie Serotonin und Dopamin. Es sei in Bezug auf das psychische Wohlbefinden während des Tages wichtig, nicht nur an die hormonellen Einflüsse zu denken. «Ursächlich könnten noch viele andere Faktoren einen Einfluss haben wie Licht- und Wetterverhältnisse, Schlafzyklen, die Lebensumstände mit psychosozialen Faktoren wie beispielsweise Arbeitszeiten- und Belastungsfaktoren», sagt Egger. Die psychische Gesundheit im Tagesverlauf sei also von vielen Faktoren und Bedingungen abhängig.
Interessant findet der Psychiater auch, dass in der Studie auch ein kleiner Einfluss bezüglich Wochentagen gefunden wurde. «Interessanterweise ging es den Teilnehmenden nicht immer besser an den Wochenenden.» Glück, Lebenszufriedenheit und Wertschätzung waren bei den Befragten montags und freitags höher als am Sonntag.
«Der lange Beobachtungszeitraum hat auch saisonale Schwankungen zeigen können, insgesamt ging es den Teilnehmenden im Sommer am besten», sagt Egger. Im Winter sind dagegen depressive Symptome, Angst und Einsamkeit am höchsten. Dies sind bekannte saisonale Muster, welche gemäss dem Psychiater viel mit den wechselnden Lichtverhältnissen und Aktivitäten zu tun haben.
Die britischen Studienautoren sagen, die Ergebnisse zeigten, dass die psychische Gesundheit um Mitternacht, zur Wochenmitte und im Winter am niedrigsten sei. Das sollte bei der Planung von Dienstleistungen und der Bereitstellung von Ressourcen berücksichtigt werden. Egger erwähnt noch, dass die Beobachtungsstudie während der Pandemie stattgefunden habe. Seither habe sich das Wohlbefinden generell verbessert.
Einige werden bei diesen Studienresultaten, die einen schlechten nächtlichen Gemütszustand zeigen, an ihre eigenen Nächte erinnert. Dann, wenn sie plötzlich wach liegen, weil irgendeine eigenartige Geschichte sie geweckt hat. Oft findet man danach den Schlaf kaum wieder.
Die Studienresultate hätten damit aber nichts zu tun, das nächtliche Befinden sei nicht abgefragt worden. Laut Egger ist das Muster, aufgrund von Gedankenkreisen und Sorgen nachts nicht einschlafen zu können oder nach dem Erwachen nicht mehr einschlafen zu können, sehr häufig.
Was rät der Psychiater solchen Betroffenen? «Es kommt darauf an, welche Gedanken einen wach liegen lassen. Aus meiner Erfahrung hilft Ablenkung bei Gedanken rund um Sorgen und Ängste, die die Zukunft betreffen. Ich rate, wieder aufzustehen, wenn man länger wach liegt, und ein Buch zu lesen, ein Sudoku oder Rätsel zu lösen und sich möglichst nicht zu viel Licht auszusetzen», sagt Egger.
Am besten sollte man dann ins Bett gehen, sobald die Müdigkeit von selber kommt. «Bei Gedanken, welche eher kreisenden Charakter haben, beispielsweise, was ich am nächsten Tag alles erledigen muss, rate ich, diese aufzuschreiben, ähnlich einer To-do-Liste, die nachts weggelegt und tags wieder hervorgeholt werden kann.» Weiter könnten Entspannungsmethoden helfen, in der Klinik Gais mache man sehr gute Erfahrungen mit progressiver Muskelrelaxation, welche einfach erlernt werden kann. «Es gibt viele weitere Methoden: Yoga, Achtsamkeitstraining, Atemübungen und Weiteres», sagt Egger.
Ehm, also... wäre das der Normalzustand?
Wie?!
Gruss
Chorche, hat Fragen