Die Fernsehzuschauer haben Henri Guisan 2011 zum Romand du siècle gewählt – vor Nicolas Hayek, vor Auguste Piccard, vor Claude Nicollier, vor Jean Tinguely, vor anderen mehr.
Schweizer Nazis, deren Telefone abgehört wurden, planten 1941, Guisan umzubringen. Begreiflich, seit dem Rütlirapport von 1940 war der Oberbefehlshaber der Schweizer Armee zum Symbol des Widerstands geworden. Umbringen kann man einen Menschen jedoch nur, wenn man weiss, wo er sich bewegt. Es gab also gute Gründe, die Kommandoposten des Generals in Spiez, Gümligen, Interlaken und Jegenstorf ebenso geheim zu halten wie seine kleine Wohnung an der Schänzlihalde in Bern.
Nachrichten oder Bilder, die den General an seinen Standorten zeigten, waren unwillkommen. Auch sollte Henri Guisan nicht für kommerzielle Zwecke instrumentalisiert werden. Deshalb wurden von 1940 bis 1942 in mehreren Etappen folgende Bestimmungen ins schweizerische Pressenotrecht eingefügt (Note 8c des Kompendiums des schweizerischen Pressenotrechts):
Stellung des Generals
Verboten sind: Voranzeigen von Besuchen und Reisen des Generals mit Einschluss von Abnahme von Defilees, sofern sie nicht vom General selbst oder einem beauftragten Offizier bewilligt sind.
Jede Verwendung der Person des Generals zu Reklamezwecken, z.B. zur Werbung für Darstellungen einer Soldatenbühne usw., ist verboten.
Inserate für Darstellungen des Generals und anderer höchster Offiziere unterstehen der Vorzensur.
Im August 1943 wurde die Bildkontrolle noch strenger. Nun musste dem persönlichen Stab des Generals jedes Bild vorgelegt werden: «Sämtliche, in irgend einer Form zur Verbreitung bestimmten Bilder des Herrn Generals (Veröffentlichung durch die Presse, Ausstellung in Auslagen oder dem Publikum zugänglichen Lokalen, Einzelverkauf auf Postkarten etc.) sind durch Sie zu kontrollieren.» Damit wurden die Pressechefs der territorialen Kommandos in die Pflicht genommen. Sie waren verantwortlich, dass der persönliche Stab des Generals immer den Überblick über die Guisan-Bilder hatte und dass die Entscheide des Stabs auch durchgesetzt und kontrolliert wurden.
Die realen Restriktionen – zu den gesetzlichen traten die noch weiter reichenden faktischen – dienten dem Überleben Guisans. Sie halfen auch, seine Diplomatie geheim zu halten. Diese ging weit über die Führung der Armee hinaus. Kerngehalt der Diplomatie des Generals war es, jedermann, Deutschen oder Amerikanern und Briten, öffentlich und vertraulich, immer und immer wieder dieselbe Botschaft zu vermitteln: die unbedingte Bereitschaft der Schweiz zum Widerstand.
Solche Geheimdiplomatie war heikel. Wenn, wie am 22. Januar 1941 geschehen, Henri Guisan auf Schloss Gümligen zu einem Vieraugengespräch den US-Militärattaché Barnwell Rhett Legge empfing und ihm einen umfassenden Überblick über die Verteidigungsvorbereitungen der Schweiz gab, dann war das nicht eine Information, die in unbefugte Hände fallen sollte.
Beispielsweise in die der deutschfreundlichen Kritiker Guisans in der Armee wie Ulrich Wille junior, Eugen Bircher oder Gustav Däniker senior. Oder in jene von Guisans Waadtländer Kontrahenten Marcel Pilet-Golaz, welcher als Bundespräsident 1940 eine schwache Rede gehalten und danach eigenmächtig eine Abordnung schweizerischer Frontisten (Nazis und Nazifreunde) empfangen hatte. Worüber die Rheinfelder Zeitung Volksstimme am 21. September 1940 geschrieben hatte: «Er ist nicht nur auf seinem Ressort-Parkett ausgeglitten, sondern hat im Besonderen als Bundespräsident Methoden eingeführt, die nicht mit dem Kollegialprinzipe im Bundesrat vereinbar sind.»
Pilet-Golaz war ein unvertrauter Bundesrat, er war aber nach wie vor im Amt. Da ging Guisans Geheimhaltung so weit, dass der US-Attaché Legge die Depesche am US-Gesandten in Bern und am State Department vorbei schmuggelte und direkt ans War Office, das nachmalige Pentagon, gelangen liess.
Um persönlich sicher zu sein und das eigene Tun gegen unwillkommene Blicke abzuschirmen, pflegte Guisan, als er das als General konnte, sein Bild in der Öffentlichkeit. Die Zensur, auch die Bildzensur, hatte also handfeste Gründe.
In Zeiten, in welchen, nach dem amtlichen Protokoll einer Zusammenkunft von Hitler und Mussolini auf dem Brenner am 2. Juni 1941 der deutsche Führer Schweizer und Schweiz «das widerwärtigste und erbärmlichste Volk und Staatengebilde» betitelte und der italienische Duce Helvetien einen Anachronismus nannte, war ein starker Auftritt des Generals wichtig. Tags darauf erliess übrigens Reichsleiter Martin Bormann das Tellenverbot: «Der Führer wünscht, dass Schillers Schauspiel Wilhelm Tell nicht mehr aufgeführt wird [...] Heil Hitler!»
Was Henri Guisan betrifft, lässt sich also sagen: So weit, so widerständig. Es fehlte allerdings bei der Bildzensur auch nicht an eitlen Anteilen. Als wir 2015 im Schloss Jegenstorf, Guisans letztem Kommandoposten, eine Ausstellung über den Oberbefehlshaber gestalteten, widmeten wir eine Vitrine Fotos aus dem Bundesarchiv. Fotos, welche der persönliche Stab des Generals zensiert, also verboten hatte. Ich wälzte damals mehrere Laufmeter Archivschachteln und fand viele Bilder von Guisan mit Zigaretten (er war starker Raucher) oder von Guisan mit Frauen (der verheiratete General war weiblichem Charme nicht abgeneigt).
Insgesamt war das Ergebnis der Imagepflege positiv. Die geheimen Kontakte mit dem amerikanischen Militärattaché und dem britischen Gesandten blieben genau das: geheim. Die im Unterschied zu den Kontakten mit westlichen Diplomaten und Militärdiplomaten durch den Chef des Nachrichtendienstes vermittelten Treffen Guisans mit dem SS-General Walter Schellenberg in Biglen und Arosa dagegen wurden bekannt. Der übergangene Bundesrat rügte den General.
Was bleibt? Eitle Anteile im Charakterbild des Menschen Guisan sind festzustellen. Problematischer, wenn auch zum Teil verständlich, waren die Misstrauensanteile, welche der Oberbefehlshaber gegenüber dem Bundesrat empfand. Ausschlaggebend aber war beides nicht. Schönes in Ehren zu halten, ist erst recht nicht ehrenrührig. Was mich betrifft, schliesse ich mich jedenfalls den Fernsehzuschauern durchaus an, die den grossen Waadtländer zu dem gekürt haben, was er ist und wohl bleiben wird, zum Romand du siècle.
Geraucht hat damals fast jeder, und die wichtigsten Handelswaren hinter der Front waren Schnaps und Zigaretten …
Der Typ ist 'ne Legende.