Im Gebiet der Kryptografie, also der Verschlüsselungstechnik, hatte die Schweiz vor dem Zweiten Weltkrieg keine Expertise. Trotzdem begann eine Gruppe von Mathematikern und Ingenieuren mitten im Krieg mit der Entwicklung einer eigenen Chiffriermaschine. Sie erhielt den Namen Nema, die Abkürzung steht für «Neue Maschine».
Die Nema wurde 1948 der Truppe übergeben und blieb bis in die 1970er-Jahre in Betrieb. Erst 1992 wurde sie aus der Geheimhaltung entlassen und 1994 zu einem Spottpreis von 50 Franken an Interessentinnen und Interessenten verkauft.
Um die Erfindung der Nema zu verstehen, müssen wir ein bisschen ausholen: Tatsächlich benutzte die Schweizer Armee im Zweiten Weltkrieg die deutsche Chiffriermaschine Enigma. Allerdings in einer speziellen Version: Es handelte sich nämlich um das Modell K. Der Buchstabe K steht für «kommerziell». Dieser Maschine fehlte das so genannte «Steckerbrett» auf der Vorderseite.
Einer der beteiligten Experten von damals, der hochbetagte Paul Glur, erzählte 2001: «Man hatte das Gebiet der Verschlüsselung nach dem Ersten Weltkrieg einschlafen lassen.» Erst kurz vor dem Zweiten Weltkrieg begann man in rasender Hast mit der Beschaffung von eigenen Geräten, die auf der Höhe der Zeit waren. 1938 kam eine erste Lieferung von 238 Enigmas in die Schweiz. Eine spätere Bestellung wurde nicht mehr ausgeführt.
Gleich zu Beginn des Krieges erhielt der Nachrichtendienst Hinweise, dass die Schweizer Funksprüche geknackt wurden. Schuld war die reglementwidrige Bedienung. Zudem war die Verdrahtung der Rotoren bei einem Teil der Maschinen nicht geändert worden. Damit war es für Deutschland leicht, die Nachrichten zu entziffern. Zunächst wollte die kriegstechnische Abteilung der Armee die Enigma einfach nachbauen.
Die zugezogenen Spezialisten verlangten aber eine Neuentwicklung und konnten sich mit ihrer Forderung durchsetzen. Die drei hiessen Hugo Hadwiger, Heinrich Emil Weber und Paul Glur. Hadwiger war zu dieser Zeit Professor der Mathematik an der Uni Bern, Paul Glur war einer seiner Schüler. Heinrich Emil Weber war Chef der Versuchsabteilung der damaligen PTT, die später in Post und Swisscom aufgeteilt wurde.
Die drei Männer kannten einige, wenn auch nicht alle Schwächen der Enigma: So war der Vortrieb der Rotorwalzen regelmässig und das Gerät hatte nur drei selbstständige Walzen sowie eine Umkehrwalze. Das ermöglichte zwar eine grosse Zahl von Kombinationen, sie konnten aber mit etwas Fachwissen eingeschränkt werden. Damit war es möglich, diese Maschine zu knacken.
Erste Prototypen für ein Nachfolge-Gerät wurden während des Krieges entwickelt, das definitive Modell war allerdings erst Anfang 1945 bereit. Das Pflichtenheft war detailliert. «Die Maschine wird robuster konstruiert als die Prototypen, der Tastenanschlag wird härter und präziser, die Klinken breiter und solider ausgeführt als bisher», hiess es im Auftrag, der von der Firma Zellweger AG ausgeführt werden sollte. Das entsprechende Dokument befindet sich heute im Schweizerischen Bundesarchiv.
Die Firma in Uster war seit dem 19. Jahrhundert im Bereich der Telekommunikation und Funktechnik aktiv. Die erste Serie von Maschinen war 1947 bereit und wurde 1948 in Betrieb genommen. Die Maschinen waren nummeriert und in einer Transportkiste aus Holz mit dem Kürzel TD (für Tastendrücker-Maschine) verpackt. Total wurden 640 Maschinen in drei Varianten gebaut: Es gab die Übungsmaschine, eine Kriegsmaschine (K-Mob-Maschine genannt) und eine spezielle Maschine für den diplomatischen Verkehr.
Die Maschinen unterschieden sich durch die Konstruktion der Rotoren. Einer der Rotoren war die Umkehrwalze. Damit konnte die Nema sowohl zum Verschlüsseln als auch zum Entschlüsseln benutzt werden. Sie bewirkte allerdings, dass ein Buchstabe nie in sich selbst überführt werden konnte. Aus dem Buchstaben A wurde nie mehr ein A. Das war bereits eine gravierende Schwäche der Enigma und nun auch der Nema, was damals allerdings noch nicht bekannt war. Erst 1977 erfuhr die Öffentlichkeit durch die Publikation des Buches «The Ultra Secret», wie England und die Alliierten im Zweiten Weltkrieg auch die raffinierteste Enigma – die so genannte Marine Enigma – geknackt hatten.
Vom Aufbau her unterschied sich die Nema nur wenig von der Enigma: Sie bestand aus einem Tastenfeld, einer internen Anzeige mit Glühlampen, einem Rotorblock mit vier beweglichen zweiteiligen Rotoren sowie einer externen Anzeige, um die Bedienung zu erleichtern. Dazu kam wieder eine Umkehrwalze, sodass für den Benutzer zehn Walzen zu sehen sind. Mit der höheren Anzahl an Rotoren und einer unregelmässigen Fortschaltung war die Nema wesentlich sicherer als die Enigma.
Für die Bedienung brauchte es zwei Personen: Eine tastete den Funkspruch zum Verschlüsseln respektive Entschlüsseln ein, eine andere las das Resultat an der Lampenanzeige ab und hielt es auf einem Formular fest, das anschliessend per Morsezeichen übertragen wurde. Vorgängig musste die Maschine aber vorbereitet werden. Dazu mussten die Rotoren eingebaut werden.
Die genaue Position jeder Walze wurde durch den sogenannten Schlüsselbefehl geregelt. Aus dem Tagesschlüssel musste der Funker für jede Nachricht einen individuellen Spruchschlüssel berechnen. Alles in allem ein mühsamer, zeitraubender und fehleranfälliger Prozess. Die eigentliche Verschlüsselung passierte in diesen Rotoren, hier wurden die Buchstaben nach einem komplexen Schema vertauscht.
Die Maschine galt nach den herrschenden Massstäben als sicher. In der Armee wurde sie bis Ende der 1950er-Jahre benutzt, im diplomatischen Verkehr wesentlich länger, nämlich bis 1976. Verschlüsselt wurden hier vor allem wirtschaftliche Nachrichten und Nachrichten, welche die so genannten Guten Dienste der Schweiz betrafen.
Bereits ab Ende der 1950er-Jahre kam eine neuere und schnellere Technologie auf den Markt, die mit verschlüsselten Fernschreibern arbeitete. Das erste Modell wurde von der Regensdorfer Firma Gretag AG Mitte der 1950er-Jahre geliefert und im Jahr 1958 als KFF-58 in die Truppe integriert. KFF steht für Krypto-Fern-Schreiber. Das Gerät konnte von einer Person allein bedient werden, die im Zehnfingersystem schrieb und damit mindestens zehn Mal schneller als mit der älteren Nema.
Für den diplomatischen Verkehr war das Gerät allerdings nicht geeignet, weil zu viele Leute in der Zentrale die Depeschen mitlesen konnten. Die Nema-Maschinen wurden in der Armee weiterhin noch für das Notfunknetz benutzt. Die Maschinen waren bei den Funkern der Schweizer Armee jedoch nicht sonderlich beliebt und hatten den Übernamen «Fingerbrecher», weil die Tasten mit relativ viel Druck bedient werden mussten.
Heute ist die Nema ein beliebtes Sammlerstück und wird für Preise zwischen fünf- und zehntausend Franken gehandelt. Einer der Sammler ist der Zürcher Oberländer Ingenieur Walter Schmid. Er war in den 1970er-Jahren zeitweise als Funker an den Schweizer Botschaften in Delhi und Dhaka im Einsatz und hat sich jahrzehntelang mit Kryptografie und speziell mit der Nema befasst und eine umfangreiche Dokumentation dazu zusammengestellt. Die Nema befindet sich heute in den Sammlungen vieler Museen im In- und Ausland und im Internet gibt es Simulatoren.
Die Geschichte der Nema zeugt davon, wie die Schweizer Armee aus der Not heraus ein Gerät entwickeln konnte, das allen Anforderungen der Zeit genügte. Sie konnte sich bei ihrer Eigenentwicklung auf eine gut aufgestellte Industrie im Bereich der Feinmechanik und Telekommunikation verlassen. Die Nema blieb aber ein Einzelfall und die Maschine wurde – wohl aus Sicherheitsüberlegungen – nie international angeboten. Und was damals noch niemand wusste: Auch England und die USA hatten noch vor dem Krieg Rotormaschinen erfunden, die sicherer waren als die Enigma: In England war es die Typex, in den USA die SIGABA.
Hier wird die Funktionsweise der Enigma mittels Animation erklärt: