Zu Beginn, also in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, war das Fahrrad ein ausgefallenes Spiel- und Sportgerät, vor allem für Adlige und aufstrebende Bürgerliche, die Zeit hatten für ein Hobby – und das nötige Kleingeld. 300 bis 500 Franken kostete ein Velo, als man es ab Mitte des 19. Jahrhunderts in der Schweiz in Nähmaschinen- und Eisenwarenhandlungen kaufen konnte. Das war fast so viel wie die Jahresmiete für eine Dreizimmerwohnung. Um 1910 bekam man das günstigste Velo aus inländischer Produktion für 82 Franken. Damit und wegen der immer einfacheren und bequemeren Technik wurde das Velo für breite Kreise attraktiv.
Die Zahl der Velos in der Schweiz nahm rasch zu. Um 1900 wurden in den 14 grössten Schweizer Städten rund 50'000 Velos gezählt. In der ersten offiziellen Statistik für die ganze Schweiz von 1918 waren es schon 342'000. Damit hatte jeder zwölfte Einwohner beziehungsweise jede zwölfte Einwohnerin ein Velo. 1936 war es bereits jede/r Vierte, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs jede/r Dritte.
Velos machten die Gesellschaft mobiler. Das ermöglichte etwa die Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz, in den Städten konnten Aussenquartiere gebaut werden. Velofahrende Pendler prägten während Jahrzehnten allenthalben das Strassenbild, noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Da und dort gab es Probleme, genügend Parkplätze zur Verfügung zu stellen. Und in Zürich beispielsweise diente die grosse Halle des Hauptbahnhofs als Veloparkplatz.
Auch Verkehrszählungen zeigen, wie intensiv das Velo im Alltag genutzt wurde. Gemäss Zahlen aus Basel erhöhte das Velo seinen Anteil an den Verkehrsbewegungen zwischen 1901 und 1923 von 20 auf rund 73 Prozent. Diesen Anteil von fast drei Vierteln hielt das Velo auch noch 1935. Das Velo hatte sich also innert weniger Jahrzehnte zum ersten Massenverkehrsmittel im Individualverkehr entwickelt.
Was mit diesem Vormarsch des Velos einherging, wird in der eher spärlichen fahrradhistorischen Literatur als Hype mit grosser sozialer Strahlkraft beschrieben. Es entstanden Velofahrschulen, Velozeitungen, Velorennen, Velomode, Veloromane, Veloclubs und -verbände. So war etwa der Touring Club Schweiz, der 1896 in Genf gegründet wurde, ein Interessensverband fürs Velo.
Auch die Armee entdeckte das Velo. Es habe «für die Bewegung Vorteile in Bezug auf Leistung und Billigkeit, die durch kein anderes Beförderungsmittel zu erreichen sind», heisst es etwa in der Botschaft zur neuen Truppenordnung von 1910. Und: «Auch ist sein Gebrauch so verbreitet, dass nichts leichter fällt, als die dafür geeigneten Leute zu finden.»
Mit der boomartigen Verbreitung des Velos und dem Aufkommen von Motorfahrzeugen drängten sich gesetzliche Regelungen für die Strassennutzung auf. 1910 – neben den Hunderttausenden von Velos waren damals rund 7000 Motorfahrzeuge auf Schweizer Strassen unterwegs – präsentierte der Bundesrat einen Vorschlag für einen Verfassungsartikel über Automobil- und Fahrradverkehr, der 1921 von Volk und Ständen angenommen wurde.
Elf Jahre dauerte es also, bis es diesen Verfassungsartikel gab. Grund: Der Ständerat hatte sich aufgrund föderalistischer Bedenken insgesamt dreimal geweigert, auf die Vorlage einzutreten. Erst 1921 stimmte er zu. Skepsis gegenüber dem Velo war nicht der Grund für das lange Ringen, im Gegenteil, wie das Votum des Sprechers der zuständigen Kommission im Ständerat von 1913 zeigt:
«Das Fahrrad, gegen welches seinerzeit bei seinem Erscheinen starke Bedenken und schwerer Unwille sich gezeigt haben, hat sich allmählich sozusagen zum Liebling des Publikums entwickelt. Das Missbehagen dagegen ist geschwunden. Das mag zu einem grossen Teile daher rühren, dass es weiten und breiten Kreisen des Volkes dient und an wirtschaftlicher Bedeutung derart gewonnen hat, dass davon keine Rede sein kann, es entbehren zu können. Die heutige Welt könnte ohne Fahrrad gar nicht mehr existieren.»
Wenn es nach der Annahme des Verfassungsartikels dann noch einmal elf Jahre ging, bis ein Ausführungsgesetz, das «Bundesgesetz über den Automobil- und Fahrradverkehr», in Kraft trat, dann lag das an der starken Stellung, welche das Velo und seine Interessensverbände hatten. Der Schweizerische Radfahrerbund (SRB) und der Arbeiter-Radfahrerbund (ARB) lancierten nämlich das Referendum gegen das Gesetz. Zentrale Streitpunkte waren das kostenpflichtige Kontrollschild für Velos und das Haftpflichtrecht, das vielen zu weit ging. In einer Allianz mit Motorfahrzeugverbänden gewannen die Velo-Verbände 1927 die Referendumsabstimmung und brachten das Gesetz zu Fall. Eine Neuauflage des Gesetzes, das Velofahrerinnen und Velofahrer von der «Führung eines nummerierten Kontrollschildes» ausdrücklich ausnahm, konnte schliesslich 1932 in Kraft treten.
Zweck des Gesetzes war es, Regeln für die Nutzung der Strassen aufzustellen. An eine Förderung des Velos dachte damals noch niemand. Weshalb auch, das Velo war auf dem Höhepunkt seiner gesellschaftlichen Wirkung. Es brauchte keine Förderung. Dieser Gedanke kam erst in den 1970er-Jahren auf, als das Auto Mass aller Dinge war und die Ölkrise ein neues Umweltbewusstsein entstehen liess. Heute steht in der Velopolitik die Förderung im Vordergrund, zum Beispiel beim Veloweggesetz, über das aktuell im Eidgenössischen Parlament beraten wird.
Und damals gab es noch keinen Taktfahrplan. Hatte mal einen Arbeitsweg von gut 25 km. Da hatte ich mit meinem 3-Gang-Velo 1 Stunde. Mit dem OeV dauerte das mehr als 2 Stunden.
Das war eine schöne Zeit. Ich liebe velofahren, noch heute mit 74 Jahren. Allerdings seit ein paar Jahren mit dem e-bike, weil ich nicht mehr so viel Pfuus habe.