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Der Steckli­krieg von 1802

Der Stecklikrieg hat in der Berner Altstadt bis heute Spuren hinterlassen. Einschussloch einer Kanonenkugel, die während der Belagerung Berns abgefeuert wurde.
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Der Stecklikrieg hat in der Berner Altstadt bis heute Spuren hinterlassen. Einschussloch einer Kanonenkugel, die während der Belagerung Berns abgefeuert wurde.Bild: Wikimedia

Der Steckli­krieg von 1802

Der Kampf um «Freiheit» und «Freiheiten» führt Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem wegweisenden Bürgerkrieg in der Schweiz.
21.09.2024, 20:43
Noah Businger / Schweizerisches Nationalmuseum
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Es donnert gewaltig über Bern. Knall um Knall erschüttert die Stadt. Die Strassen sind leergefegt, niemand traut sich nach draussen. Das Gewitter kommt von Osten her. Ausserhalb der Stadtbefestigung stehen am Aargauerstalden an erhöhter Stelle föderalistische Berner Truppen und bombardieren die Stadt.

Sie haben es auf die Regierung der Helvetischen Republik abgesehen, die unter dem Kanonendonner ihre Stellung zu halten versucht. Es ist der 18. September 1802 und in der Stadt fragt man sich, ob mit dem Gewitter auch der Sturm kommt, der die politische Ordnung wegfegt.

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Werden diese «Föderalisten» ihr Ziel erreichen? Um das herauszufinden, muss zuerst geklärt werden, warum es zu diesem Bombardement kommt. Wer sind die Föderalisten überhaupt? Was ist die Helvetische Republik? Und warum soll sie weg? Zeit, auf die Ursachen, den Ablauf und die Folgen des sogenannten «Stecklikriegs» zu blicken.

Die unbelieb­te Republik

Anfang 1798 findet in der Eidgenossenschaft die «Helvetische Revolution» statt. Inspiriert von den Umwälzungen in Frankreich kommt es in der Waadt und im Baselbiet zu Aufständen der Untertanen. Zu deren Unterstützung marschiert eine französische Invasionsarmee in die Eidgenossenschaft ein. Die alte Ordnung, das Ancien Régime, findet sein Ende und ein neuer Staat entsteht: die Helvetische Republik. Diese orientiert sich an den Idealen der Französischen Revolution. Das bedeutet Glaubensfreiheit, Niederlassungsfreiheit, repräsentative Demokratie und Gleichheit aller Bürger, womit die zahlreichen bis dahin bestehenden Untertanengebiete aufgehoben sind.

Trotz dieser revolutionären Freiheiten trifft der neue Staat vielerorts auf Ablehnung oder gar Widerstand. Zwar unterstützen die sogenannten «Unitarier» die Helvetische Republik, doch die Gruppierung der «Föderalisten» steht dem neuen Staat skeptisch gegenüber. Bereits die Selbstbezeichnung als Föderalisten zeigt die Ablehnung der Helvetischen Republik. Diese ist nämlich stark zentralistisch aufgebaut und hat jahrhundertalte Grenzen aufgehoben. Die alten Kleinstaaten und ihre lokale Selbstverwaltung sind verschwunden. Die neuen Kantone sind nur noch rein administrative Einheiten.

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Die Helvetische Republik (rechts) zieht die Grenzen der Kantone neu und zerstört damit politisches und kulturelles Selbstverständnis.Quelle: Wikimedia / Marco Zanoli / Wikimedia / Marco Zanoli

Die Helvetische Republik zerstört damit politische Rechte, Kultur und Ökonomie. Selbstbestimmung über politische Verfahren sowie Selbstverwaltung von politischen Ämtern und Gemeingütern wirkten bis dahin als sogenannte «Freiheiten» identitätsstiftend. Die neue revolutionäre, universale Freiheit kann mit diesen alten Freiheiten nicht konkurrenzieren.

Daneben führen die Einführung neuer Abgaben und die Präsenz französischer Besatzungstruppen zu Widerstand gegen den neuen Staat. Unter diesen Voraussetzungen kann die Republik kaum politische, institutionelle und kulturelle Macht aufbauen. Ihr Bestehen verdankt sie vor allem den französischen Besatzungstruppen.

Ob in der Stadt oder auf dem Land, die Präsenz der französischen Truppen war teuer und ärgerte die Bevölkerung. Karikaturen von David Hess-Hirzel.
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Ob in der Stadt oder auf dem Land, die Präsenz der französischen Truppen ...Bild: Schweizerisches Nationalmuseum
Ob in der Stadt oder auf dem Land, die Präsenz der französischen Truppen war teuer und ärgerte die Bevölkerung. Karikaturen von David Hess-Hirzel.
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... war teuer und ärgerte die Bevölkerung. Karikaturen von David Hess-Hirzel.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Nach vier Jahren voller politischem Chaos ziehen Ende Juli 1802 die französischen Truppen überraschend ab. Die helvetische Regierung ist damit stark geschwächt. Diese Schwäche hat sofort Auswirkungen: Bereits am 1. August kommt es zum Aufstand. In Schwyz wird wieder die Landsgemeinde abgehalten. Alois Reding, einer der prominentesten Vertreter der Föderalisten, wird zum Landamann gewählt. Schwyz bricht mit der Helvetischen Republik und geht zurück zur alten Ordnung, den «alten Vorrechten und Freiheiten».

Bald darauf folgen Uri, Nid- und Obwalden, Glarus, Graubünden, die beiden Appenzell, das Rheintal und das Toggenburg. Sie alle wollen wieder Selbstverwaltung in den alten Grenzen und – wie es die Innerrhoder ausdrücken – ihren Staat ehrenamtlich führen, anstatt Verwaltungsbeamte besolden zu müssen.

Die Rückkehr der alten Freiheiten ist den Aufständischen viel wert. Uri, Schwyz sowie Nid- und Obwalden informieren die helvetische Regierung bereits Anfang August, dass sie ihre neue alte Ordnung notfalls militärisch verteidigen werden. Schon bald wird diese Ankündigung auf die Probe gestellt.

Porträt von Alois Reding.
Porträt von Alois Reding.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Ein eidgenös­si­scher Krieg bricht aus

Mitte August beschliesst die helvetische Regierung militärisch gegen die Aufständischen vorzugehen. Sie schickt General Joseph Leonz Andermatt mit einigen hundert Soldaten in die Zentralschweiz. Andermatt besetzt die Rengg, die als neuralgischer Punkt Luzern mit Nid- und Obwalden verbindet. Doch auch die Gegenseite macht mobil und am 28. August greifen die aufständischen Zentralschweizer die Truppen Andermatts an. Nach einem kurzen Gefecht ziehen sich die helvetischen Truppen zurück. Die Aufständischen feiern einen unerwarteten Sieg gegen die Republik.

Das Gefecht an der Rengg hat Signalwirkung. Als nächstes stellt sich die Stadt Zürich gegen die helvetische Regierung. Die alte Elite will die Macht zurück. General Andermatt wird zur Belagerung nach Zürich geschickt. Doch die Stadt ergibt sich nicht. Andermatt muss weiterziehen, denn mittlerweile hat auch die Aargauer Bevölkerung die Vertreter der Helvetischen Republik abgesetzt. Die Aufstände haben das Ausmass eines Bürgerkrieges angenommen.

Am 10. und 13. September 1802 kommt es zur Bombardierung Zürichs durch helvetische Truppen. Doch die Geschosse zeigen keine Wirkung.
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Am 10. und 13. September 1802 kommt es zur Bombardierung Zürichs durch helvetische Truppen. Doch die Geschosse zeigen keine Wirkung.Bild: Schweizerisches Nationalmuseum

Weil die Aufständischen teilweise nur dürftig mit Alltagsgegenständen bewaffnet sind, erhält der Krieg die Bezeichnung Stecklikrieg. Die führenden Köpfe der Föderalisten versuchen diese spontanen, unkoordinierten Aufstände in ein konzentriertes Vorgehen zu bündeln. Dafür schicken sie den Berner Patrizier Rudolf von Erlach in den Aargau. Erlach schart dort zirka 1100 Mann um sich, erobert Olten, dann Solothurn und zieht Mitte September Richtung Bern. Neben Erlach zieht der Berner Föderalist Rudolf von Effinger mit 200 Mann ebenfalls gegen Bern. Beide erreichen am 17. September die helvetische Hauptstadt und beginnen tags darauf mit dem Bombardement.

Die Bomben fallen am 18. September nicht lange. Bereits am Nachmittag kapituliert die helvetische Regierung. Sie darf sich dafür ungehindert nach Lausanne zurückziehen. Aber die föderalistische Armee, die auf über 7000 Mann angewachsen ist, setzt den helvetischen Truppen nach. Die Kräfteverhältnisse sind klar. Der Republik droht das Ende.

Die Belagerung Berns, gezeichnet von Karl Ludwig Zehender. Die Föderalisten sind militärisch immer besser organisiert. Die Soldaten sind häufig kampferprobte ehemalige Söldner, die sich mittlerweile i ...
Die Belagerung Berns, gezeichnet von Karl Ludwig Zehender. Die Föderalisten sind militärisch immer besser organisiert. Die Soldaten sind häufig kampferprobte ehemalige Söldner, die sich mittlerweile in den eroberten helvetischen Zeughäusern mit Gewehren und Kanonen bewaffnet haben. Von einem Stecklikrieg kann keine Rede mehr sein.Bild: Bernisches Historisches Museum, Foto: Stefan Rebsamen

Die Föderalisten bereiten deshalb bereits die Neugründung der Eidgenossenschaft vor. Dazu lädt Schwyz die aufständischen Kantone zur Tagsatzung ein. Jeder Kanton soll dazu je einen Vertreter von Stadt und Land entsenden. Was harmlos klingt, ist sehr brisant. Denn der Vorschlag von Schwyz bedeutet gleiche Rechte für Stadt und Land. Bis 1798 war das nicht in allen Kantonen der Fall. Vor allem Bern sträubt sich gegen die Gleichberechtigung und will nur eine Vertretung aus der Stadt nach Schwyz schicken.

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Der Berner Karl Ludwig Stettler, der 1802 für die föderalistischen Truppen kämpft, notiert dazu in seinem Tagebuch: Bern sei gegen den Aufruf von Schwyz, da dieser die «Abschaffung aller Vorrechte, und Einführung einer demokratischen Verfassung» bedeute. Die Berner hätten die Waffen nicht ergriffen, um eine «Ländlerdemokratie und Volksregierung einzuführen». Bern möchte 1802 die Zeit zurückdrehen und die ungleiche patrizische Herrschaft wieder einführen. Unter den Föderalisten zeigen sich damit, noch bevor der gemeinsame Feind besiegt ist, fundamentale Differenzen.

Fällt mit Bern auch die Republik?

Ungeachtet dieser Spannungen setzt die föderalistische Armee ihren Vormarsch fort. Am 3. Oktober hat sie die helvetischen Truppen in Faoug am Murtensee eingeholt. Es kommt zur Schlacht und die helvetischen Soldaten erleiden ihre entscheidende Niederlage. Tags darauf stehen die föderalistischen Truppen bereits vor Lausanne. Doch hier stoppen sie ihren Vormarsch, es kommt zum Waffenstillstand. Warum verzichten die Föderalisten in dieser aussichtsreichen Lage auf den entscheidenden Schlag gegen die Helvetische Republik?

Weil die mächtige Französische Republik interveniert. Der Erste Konsul Napoleon Bonaparte hatte einen Boten zu den föderalistischen Generälen geschickt. Bonaparte persönlich bietet die Vermittlung zwischen den Kriegsparteien an. Den Föderalisten ist sofort klar, was dieses Vermittlungsangebot aus Frankreich bedeutet: Der Aufstand ist zu Ende. Wenn sie die Vermittlung ausschlagen, wird Frankreich eine militärische Intervention gegen sie durchführen.

Napoleon Bonaparte, erster Konsul Frankreichs, wusste genaustens, was sich in der Helvetischen Republik abspielte.
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Napoleon Bonaparte, erster Konsul Frankreichs, wusste genaustens, was sich in der Helvetischen Republik abspielte.Bild: Wikimedia

Paris war die ganze Zeit über die Vorkommnisse in der Helvetischen Republik genau informiert. Nach dem Fall von Solothurn und Bern sah sich Napoleon Bonaparte gezwungen, zu intervenieren. Wollte er seinen strategisch bedeutenden Nachbarn nicht an den Einfluss Habsburgs und Grossbritanniens verlieren, musste er aktiv werden. Auf die proklamierte Vermittlung folgt am 15. Oktober der erneute Einmarsch französischer Truppen und ab Dezember finden in Saint-Cloud bei Paris die Mediationsverhandlungen statt.

Dort skizziert Napoleon eine neue Eidgenossenschaft: Ende des Zentralismus und Konstitution als föderativer Staatenbund. Die Kantone sind dabei gleichberechtigt und es gibt weiterhin keine Untertanengebiete und Patriziatsherrschaft mehr. Napoleon Bonaparte holt alt bewährte föderalistische Elemente wieder hervor, ergänzt sie mit neuen Errungenschaften und stabilisiert damit die eidgenössischen Verhältnisse.

Am 19. Februar 1803 besiegelt die Mediationsakte offiziell das Ende der Helvetischen Republik. Der Ausgang des Stecklikriegs wird die weitere Entwicklung der Eidgenossenschaft bis 1848 massgeblich prägen.

>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Der Steckli­krieg von 1802» erschien am 17. September.
blog.nationalmuseum.ch/2024/09/der-stecklikrieg-von-1802
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18 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Lowend
21.09.2024 22:32registriert Februar 2014
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sowohl unsere Konstitution als föderativer Staatenbund, wie auch unsere hoch verehrte Neutralität Dinge sind, die uns fremde Herrscher von aussen und oft gegen den Willen der damals Regierenden, aufgezwungen haben und es ist doch irgendwie wunderschön, wie diese Sachen heute bei uns so in Fleisch und Blut übergegangen sind, dass selbst die grössten Patrioten diese aufgezwungenen Schwächungen der helvetischen Macht als ureidgenössische Werte abfeiern.
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Astronautin
21.09.2024 21:32registriert Januar 2019
Wäre doch nur mein Geschichtsunterricht in der Schule so spannend gewesen! Leider blieb der beim (im?) Mittelalter stehen..
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Brennus
21.09.2024 21:54registriert September 2023
napoleon, der gründer der modernen schweiz.
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