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Fürstin Gina von Liechtenstein und das Rote Kreuz

Mai 1945: Fürstin Gina trifft Hauptmann Eichenberger, Kommandant der Schweizer Grenzwache in Schaanwald.
Mai 1945: Fürstin Gina trifft Hauptmann Eichenberger, Kommandant der Schweizer Grenzwache in Schaanwald.Bild: Liechtensteinisches Landesarchiv, B 413/001/016, Foto: Baron Eduard von Falz-Fein, Vaduz

Fürstin Gina und das Rote Kreuz

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs flohen immer mehr Menschen in die Schweiz und nach Liechtenstein. Sie wurden von Freiwilligen versorgt. Eine der Helferinnen war Fürstin Gina, welche aufgrund dieser Erfahrung das Liechtensteinische Rote Kreuz gründete.
18.05.2025, 21:0018.05.2025, 21:00
Günther Meier / Schweizerisches Nationalmuseum
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Liechtenstein war im Zweiten Weltkrieg von kriegerischen Auseinandersetzungen verschont geblieben. Der Flüchtlingsstrom an der Grenze zeigte jedoch, welchen Entbehrungen und Ängsten die Geflüchteten ausgesetzt waren. Das Liechtensteiner Volksblatt war in den letzten Apriltagen 1945 am Grenzübergang zu Österreich und berichtete von den Flüchtlingen: «Was da für Elend über unsere Grenze gezogen kam, ist kaum zu glauben. Wer es nicht selbst gesehen hat, kann sich keinen Begriff davon machen.»

Die Flüchtenden waren ganz unterschiedliche Menschen, hatten aber alle den gleichen Wunsch nach Sicherheit: «Neben Fremdarbeitern in zerfetzten Kleidern und abgetragenen Uniformstücken standen Frauen aus ehemals guten Verhältnissen, die noch als einziges Stück ihres Reichtums vielleicht einen Pelzmantel zu retten vermocht hatten, zur Suppenentgegennahme an. Sie waren alle vom gleichen Gedanken beseelt: Hinaus aus der Hölle!»

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Die liechtensteinische Regierung reagierte mit Soforthilfe auf das Flüchtlingselend, unterstützt von vielen freiwilligen Helferinnen und Helfer, die Suppe kochten, den Verzweifelnden Trost spendeten oder Lebensmittel für die Weiterreise in die Schweiz ausgaben.

Ab Ende April 1945 wurde die Grenze bei Schaanwald von Flüchtenden überrannt.
Ab Ende April 1945 wurde die Grenze bei Schaanwald von Flüchtenden überrannt.Bild: Liechtensteinisches Landesarchiv, B 413/003/046, Foto: Baron Eduard von Falz-Fein, Vaduz

Unter den zahlreichen Helferinnen war auch Fürstin Gina von Liechtenstein, die nicht nur aktiv Hilfe leistete, sondern vom Gedanken an den Aufbau einer Hilfsorganisation getragen wurde. Die Freiwilligen seien von der Fürstin aufgemuntert und angespornt worden, weiter zu helfen, wie die Zeitung weiter berichtete: «Höchstpersönlich greift sie ein, bald hier, bald dort, teilt Gaben aus und spricht gütige und freundliche Worte zu den Armen. Das Land, die ganze Bevölkerung ist stolz auf die edle hohe Frau, die so gütig und hilfsbereit den Menschen beisteht.» Von dieser Hilfsbereitschaft war es nur ein kleiner Schritt bis zur Gründung des Liechtensteinischen Roten Kreuzes, die von der Fürstin mit tatkräftiger und finanzieller Unterstützung durch Fürst Franz Josef II. vorbereitet wurde.

Fürstin Gina im Einsatz an der liechtensteinischen Grenze im Mai 1945.
Fürstin Gina im Einsatz an der liechtensteinischen Grenze im Mai 1945.Bild: Liechtensteinisches Landesarchiv, SgAV 01 N 012/068, Foto: Baron Eduard von Falz-Fein, Vaduz

Eine Kundmachung in den liechtensteinischen Zeitungen machte die Bevölkerung darauf aufmerksam, dass am 30. April 1945 die Gründung des Liechtensteinischen Roten Kreuzes erfolgt war: «Vom Wunsch unseres verehrten Fürsten ins Leben gerufen, geleitet von unserer geliebten Landesmutter, Fürstin Georgine, und anerkannt von der Fürstlichen Regierung, bildete sich in diesen Notlagen eine liechtensteinisch-nationale Gesellschaft vom Roten Kreuz. Gleich ihren Schwestergesellschaften anderer Länder will sie im Krieg wie im Frieden im Sinne und im Zeichen des Roten Kreuzes der Not entgegentreten, wo und wie immer sie sich zeigen.» Begleitet war die Kundmachung vom Aufruf, Mitglied des Roten Kreuzes zu werden.

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Für die meisten Flüchtenden war nicht Liechtenstein, sondern die Schweiz das Ziel. Liechtenstein und die Schweiz trafen am 27. April 1945 eine Vereinbarung über den Umgang mit Flüchtlingen. Allgemein galt danach, dass für die Aufnahme und für die Rückweisung von Flüchtlingen in Liechtenstein die gleichen Bestimmungen gelten sollen wie an der Grenze zur Schweiz.

Die liechtensteinischen Hilfspolizisten wurden zum Grenzschutz eingesetzt, unterstanden jedoch den Grenzwachtorganen der Schweiz. Liechtenstein erklärte sich bereit, zur Sicherung der Grenzen geeignete Drahtverhaue aufzustellen. Flüchtlinge, die nach einer Kontrolle an der Grenze nicht sofort zurückgewiesen wurden, mussten an das Schweizer Territorial-Kommando in Buchs (SG) überwiesen werden.

An der Grenze in Schaanwald arbeiteten die Behörden Liechtensteins eng mit ihren Schweizer Kollegen zusammen. Und mittendrin Fürstin Gina.
An der Grenze in Schaanwald arbeiteten die Behörden Liechtensteins eng mit ihren Schweizer Kollegen zusammen. Und mittendrin Fürstin Gina.Bild: Liechtensteinisches Landesarchiv, B 413/001/007, Foto: Baron Eduard von Falz-Fein, Vaduz

Wie es an der Grenze in Schaanwald bei der Kontrolle, Übernahme und Abweisung von Flüchtlingen ausgesehen hat, schilderte ein Berichterstatter im Volksblatt: «Von Schaanwald werden die Flüchtlinge mittelst der Bahn und im Bedarfsfalle mittelst Camions nach Buchs in die Sammelstelle überführt. Infolgedessen gibt es immer wieder längere Wartezeiten hinter unserer Landesgrenze für jene Flüchtlinge, die die Kontrolle passiert haben, aber noch auf den Zug warten müssen. Aus diesem Grund wurde vom fürstlichen Bauamt ein kleiner Lagerplatz mit Baracken und Sitzgelegenheit hergerichtet, um den Leuten die Wartezeit etwas angenehmer zu gestalten.»

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Nicht alle Flüchtenden konnten den Transport mit Bahn oder Lastwagen in Anspruch nehmen. Wie das Volksblatt berichtete, haben beim ersten Flüchtlingsstrom Ende April 1945 viele Menschen das Flüchtlingslager in Buchs zu Fuss aufgesucht: «Flüchtlinge aus dem Reich stauen sich nun auch an der Grenze in Schaanwald. Am Mittwochabend kam ein Transport von 30 Flüchtlingen zu Fuss in Schaan an. Jedes trug seine Habseligkeiten mit sich in einem Bündel, in einem Kistchen oder wie es sich gerade gab. Wir sahen darunter noch ordentlich gekleidete Männer und Frauen, den Kleidern der anderen sah man die durchgestandenen Nöte und Strapazen an. Die verhärmten Gesichter hellten sich auf im Marsch durch unser Land, es winkte ja die Freiheit.» Eine andere Flüchtlingsgruppe, etwa 100 Personen, wurde berichtet, sei singend den Weg durch Schaan nach Buchs gegangen – fröhlich der Freiheit entgegen.

Flüchtende aus dem KZ Dachau passieren bei ihrer Weiterfahrt die Grenze bei Schaanwald, Mai 1945.
Flüchtende aus dem KZ Dachau passieren bei ihrer Weiterfahrt die Grenze bei Schaanwald, Mai 1945.Bild: Liechtensteinisches Landesarchiv, B 413/005/009, Vaduz

Aber nicht nur Frauen und Männer, die vor den nachrückenden alliierten Truppen geflüchtet waren, kamen, sondern auch KZ-Häftlinge, die das Grauen in den Lagern überlebt hatten. Über diese bedauernswerten Menschen wurde berichtet: «Dienstag, den 1. Mai, kamen erstmals Insassen des Konzentrationslagers Dachau. Körperlich und seelisch in einem unbeschreiblichen Zustand… Die Leute hielten sich eng beisammen und nahmen von der Umgebung kaum Notiz. Elendsgestalten, die Zeugnis ablegten von den ihnen von Untermenschen angetanen körperlichen und seelischen Qualen.»

Die Berichterstatter staunten, wie die KZ-Häftlinge lebend die Grenze zu Liechtenstein erreichen konnten. Sie seien liegen geblieben, wo man sie hingelegt habe und seien zufrieden gewesen, nur keine Gestapo mehr zu sehen. Von den zu Skeletten abgemagerten Gestalten seien aber keine Klagen zu hören gewesen: «Das Wissen, dass sie der Hölle der Konzentrationslager entronnen seien, gute Worte, ein mit Liebe gereichtes Essen waren ihnen reichliches Glück.»

Das Liechtensteinische Rote Kreuz registrierte allein am 1. Mai 1945 über 1100 Flüchtende, welche die Grenze passierten. Insgesamt strömten zwischen Ende April und Anfang Mai über 7000 Menschen nach Liechtenstein. Das waren mehr als die Hälfte der damals rund 12’000 Einwohnerinnen und Einwohner des Landes.

>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Fürstin Gina und das Rote Kreuz» erschien am 29. April.
blog.nationalmuseum.ch/2025/04/liechtenstein-rotes-kreuz
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