Donald Trump hat seine gefeuerte Mitarbeiterin Omarosa Manigault Newman kürzlich als «Hund» bezeichnet (sie ist schwarz). Er hat damit auch mehr als klar gemacht, wie der Wahlkampf im kommenden Herbst werden wird: dreckig, rassistisch und vielleicht sogar gewalttätig.
Im Kampf um die Mehrheit im Abgeordnetenhaus – alle Mitglieder werden neu gewählt – und im Senat – ein Drittel der Sitze wird neu vergeben – werden alle Hemmungen fallen gelassen. Es gelten keine Tabus mehr.
Der Lügen-Präsident Trump löst mit seinen rassistischen Attacken heftige Gegenreaktionen aus. Die Demokraten bieten Mann und Maus auf, um ihn zu stoppen. Mit einer Mehrheit im Repräsentantenhaus und vielleicht sogar im Senat wollen sie seine Macht brechen.
Es steht viel auf dem Spiel: Die Demokraten befürchten, dass ein Sieg von Trump der erste Schritt in Richtung eines faschistoiden Mafiastaats wäre. Die Republikaner sind ihrerseits überzeugt: Ein Triumph der Demokraten wäre gleichbedeutend mit dem Verlust der weissen Vorherrschaft und der Transformation in einen bunten Multikulti-Staat.
Die politische Atmosphäre ist so vergiftet, dass bereits von einem neuen zivilen Bürgerkrieg die Rede ist. Für Jon Meacham sind diese Ängste übertrieben. In seinem kürzlich erschienenen Buch «The Soul of America» zeigt er auf, dass – historisch gesehen – heftige politische Kämpfe die Vereinigten Staaten geprägt haben, seit es sie gibt.
Seit ihrer Gründung weisen die USA schizophrene Züge auf: Sie waren gleichzeitig die erste moderne Demokratie und einer der letzten Staaten, die noch die Sklaverei zuliessen. Niemand verkörperte diese Schizophrenie deutlicher als Thomas Jefferson, Gründervater und Autor der Unabhängigkeitserklärung, in der dieser legendäre Satz steht:
Jefferson war jedoch auch ein Heuchler: Er war Sklavenhalter und zeugte mit seinem schwarzen Kindermädchen mehrere Nachkommen, deren Vaterschaft er leugnete.
Von 1861 bis 1865 tobte in den USA ein äusserst blutiger Bürgerkrieg, der rund eine Million Menschenleben forderte. Die Südstaaten wollten die Sklaverei beibehalten und sagten sich von den Nordstaaten los. Präsident Abraham Lincoln erklärte ihnen daraufhin den Krieg. Zuerst wollte er die Einheit der USA retten. Im Laufe des Krieges wurde jedoch klar, dass es letztlich um die Sklavenfrage ging.
In seiner Gettysburg-Adresse sprach Lincoln die ebenfalls legendären Worte:
«Vor 87 Jahren gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen gleich geschaffen sind. Nun stehen wir in einem grossen Bürgerkrieg, der eine Probe dafür ist, ob diese oder jede andere so gezeugte und solchen Grundsätzen geweihte Nation dauerhaft Bestand haben kann.»
Dauerhaft war der Bestand nicht wirklich. Ulysses Grant konnte zwar die Armee von Robert Lee besiegen, nicht jedoch den Rassismus. «Ich wäre mehr als den halben Weg gegangen, um mich mit den Menschen in den Südstaaten zu versöhnen», klagte er, als er später Präsident war. «Es war sinnlos. Sie haben den Krieg nie vergessen.»
Grant konnte lediglich den aufkommenden Ku-Klux-Klan zurückdämmen. Es gelang ihm jedoch nicht, die sogenannten Jim-Crow-Gesetze zu verhindern. Mit diesen sich schnell ausbreitenden Gesetzen wurden die Rechte der Schwarzen beschnitten.
«Die Weissen waren allmächtig», schreibt Meacham. «Innerhalb von drei Jahrzehnten nach Lees Kapitulation war es den zornigen Südstaatlern gelungen, eine Apartheid-Welt zu errichten.»
Der Sieg des Nordens war auch ein Sieg des Kapitalismus. Die von Jefferson beschworene Gesellschaft von freien Farmern und Gewerblern verwandelte sich rasch in eine von wenigen Oligarchen beherrschte Monopolwirtschaft. Es war die Blütezeit von Tycoons wie JP Morgan oder John D. Rockefeller.
Gegen die sogenannten «Räuberbarone» trat Theodore Roosevelt an, ein eitler, aber auch sehr wirksamer Politiker. «Mein Vater will die Braut an jeder Hochzeit und die Leiche an jedem Begräbnis sein», soll seine Tochter einmal gespottet haben.
Roosevelt wurde zum Anführer der «Progressiven», einer Bewegung, die die Zerschlagung der Monopole zum Ziel hatte. Sein grösster Coup war die Aufteilung von Rockefellers Standard Oil in mehrere Ölkonzerne.
Ebenfalls zu den Progressiven gezählt wird Woodrow Wilson. Er wurde berühmt, weil er nach dem Ersten Weltkrieg die Welt neu aufgeteilt und das Prinzip der Selbstbestimmung der Nationen hochgehalten hat. Wilson hat sich auch für die Emanzipation der Frauen stark gemacht, ein Anliegen, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts heiss umkämpft war.
Den Progressiven gelang es, die Monopole zu zerschlagen und den Frauen zum Stimmrecht zu verhelfen. Das führte jedoch zu heftigen Gegenreaktionen. Der Ku-Klux-Klan erlebte ein Comeback. «Es gibt zwar keine verlässlichen Zahlen», schreibt Meacham. «Aber die genauesten Schätzungen gehen von rund zwei Millionen Mitgliedern in der Mitte der Zwanzigerjahre aus. Andere sprechen gar von drei bis sechs Millionen Mitgliedern.»
Unter dem Terror des Klans litten nicht nur die Schwarzen, sondern auch Juden und Katholiken.
1935 veröffentlichte Sinclair Lewis seinen Roman «It Can’t Happen Here». Die Geschichte dreht sich um den Aufstieg eines totalitären Staates in den USA. Angesichts der schweren Wirtschaftskrise und angesichts des Triumphs von Hitler und Stalin in Europa war dies alles andere als ein unwahrscheinliches Szenario.
Tatsächlich gab es auch in den USA faschistoide Ansätze. Der Linkspopulist Huey Long und der rechte Militarist Douglas MacArthur stellten die amerikanische Demokratie in Frage und stiessen damit auf grosses Echo. Das Flieger-Ass Charles Lindbergh machte derweil aus seiner Bewunderung für Hitler und die Nazis kein Hehl.
In seinem Roman «The Plot against America» malt Philip Roth aus, wie die Welt ausgesehen hätte, wäre Lindbergh Präsident der Vereinigten Staaten geworden. Das Horror-Szenario bleibt Fiktion. Ins Weisse Haus zog Franklin D. Roosevelt. Er ist der Vater des «New Deals», einem staatlichen Ankurbelungsprogramm. Damit konnte schliesslich die schwere Wirtschaftskrise überwunden und eine soziale Katastrophe verhindert werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg boomte die amerikanische Wirtschaft. Dank der GI Bill konnten die zurückkehrenden Soldaten zu vorteilhaften Bedingungen studieren. Schulen und Universitäten und ein nationales Autobahnsystem wurden gebaut. Trotzdem verfielen die USA in eine politische Hysterie.
Joseph McCarthy, ein Senator aus dem Bundesstaat Wisconsin, nützte schamlos die Angst vor dem Kommunismus und den sowjetischen Erfolgen der Nachkriegszeit aus. Er war kein Überzeugungstäter, er war ein Opportunist, der sich nur seinem Ruhm und seinem Einfluss verpflichtet fühlte.
«Joe McCarthy kaufte den Kommunismus wie andere Leute ein Auto. Er betrachtete es von aussen, trat gegen die Reifen, setzte sich hinter das Steuerrad, stellte ein paar Fragen und kaufte es.» Diese Schilderung stammt von McCarthys Anwalt, einem gewissen Roy Cohn. Besagter Cohn sollte Jahrzehnte später einen gelehrigen Schüler haben. Sein Name: Donald J. Trump.
McCarthy konnte zwar noch keine Tweets verschicken. Er verstand es jedoch meisterhaft, die Massenmedien zu seinen Gunsten zu verwenden. Fast täglich verbreitete er neue, nicht bewiesene Gerüchte über angeblich kommunistische Umtriebe. Seine bevorzugten Opfer waren Künstler und Intellektuelle.
Wie heute Trump hielt McCarthy auf diese Weise die Nation in Atem. Er wusste genau, wann er ein Gerücht zu streuen hatte und wen er dazu instrumentalisieren musste. Er schaffte es so, «die Massen in einem fast permanenten Zustand politischer Mobilisation zu halten», wie der Historiker Richard Hofstadter feststellt.
Jeder Kult ist irgendwann ausgereizt. Nach drei Jahren hatten die Amerikaner genug von McCarthy. Der schwere Alkoholiker wurde abgewählt und verschwand sang- und klanglos in der politischen Versenkung.
Lyndon B. Johnson wird für immer in Erinnerung bleiben als der Präsident, der den unseligen Vietnam-Krieg zu verantworten hat. Das ist nicht ganz fair. Johnson ist auch der Mann, der den Schwarzen zu ihren Bürgerrechten verholfen hat.
«Seine Verpflichtung für die Sache (der Schwarzen, Anm. d. Verf.) ist ein grosses Beispiel einer persönlichen Transformation und politischen Muts in der Geschichte der US-Präsidenten», schreibt Meacham. «Es ist vergleichbar mit Lincolns Schritt von der Duldung der Sklaverei hin zu Emanzipation.»
Rassismus und Apartheid waren vor allem im Süden bis weit in die Sechzigerjahre die Norm. George Wallace, der Gouverneur des Bundesstaates von Alabama, erklärte bei seiner Inauguration offen:
Städte in Alabama waren denn auch Schauplatz der legendären Kämpfe für die Bürgerrechte der Schwarzen (Montgomery, Selma). Obwohl selbst ein Südstaatler – Johnson war Texaner – kämpfte der Präsident stets an der Seite von Martin Luther King und gegen Rassisten wie Wallace. Er erreichte so, dass die diskriminierenden Jim-Crow-Gesetze schliesslich abgesetzt und den Schwarzen ihre Bürgerrechte gewährt wurden.
Der Kampf um die Bürgerrechte und die Proteste gegen den Vietnamkrieg waren heftig. 1968 befand sich Amerika am Rand eines Bürgerkriegs.
«Das Jahr begann mit der Tet-Offensive (ein wichtiger Wendepunkt im Vietnamkrieg, Anm. d. Verf.) und fiel dann ins Chaos: Die Morde an King und Robert Kennedy, die gewalttätigen Demonstrationen in vielen Städten, der verheerende Parteikongress der Demokraten in Chicago, und schliesslich, die Wahl von Richard Nixon zum 37. Präsidenten der Vereinigten Staaten», schreibt Meacham. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis die Wunden dieser Auseinandersetzungen verheilt waren.
«Die Amerikaner tun immer das Richtige – nachdem sie zunächst alles andere ausprobiert haben», spottete einst Winston Churchill. Jon Meacham kommt zum gleichen Schluss: Ja, die Geschichte der Vereinigten Staaten ist gespickt mit Gewalt, Rassismus und Ungerechtigkeit. Die Kämpfe werden perfide und heftig ausgetragen.
Das war übrigens schon bei den Gründervätern so: Thomas Jefferson und Alexander Hamilton hassten sich bis aufs Blut und bekämpften sich öffentlich aufs Übelste.
Doch letztlich kommt es zu einem reinigenden Gewitter, in dem die «besseren Engel» die Oberhand haben. Die Vereinigten Staaten sind letztlich in den Worten von Meacham «das dauerhafteste Experiment eines pluralistischen Republikanismus, das die Welt kennt. Andere nationale Revolutionen haben in Diktatur und Verfolgung geendet, unsere hat zu beneidenswerten, wenn auch zerbrechlichen demokratischen Institutionen geführt.»
Sein Wort in Gottes Ohr.