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Sektenblog: Wie Scientology die Religionsfreiheit ausnützt

Aktivistinnen und Aktivisten der Scientologen propagieren in Zelten mit Buechern und Spruechen ihre "Religion" zum 40-jaehrigen Bestehen der Scientology- Bewegung Schweiz am Freitag, 6. Juni ...
Unter dem Deckmäntelchen der Religionsfreiheit: Scientologen dürfen in der Schweiz sogar am Sonntag ihre Ware verkaufen.Bild: KEYSTONE
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Wenn Scientology mehr Rechte hat als die Migros, nennt man das «Religionsfreiheit»

10.06.2016, 09:4323.12.2019, 08:20
Hugo Stamm
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Unsere Freiheitsrechte sind stark verknüpft mit der Religionsfreiheit, denn früher knebelten die christlichen Glaubensgemeinschaften ihre Gläubigen nach Noten. So hatten die Religionen über Jahrhunderte oft mehr Einfluss auf die Menschen als die Staatsorgane.

Meist keinen guten, denn Geistliche traten häufig mit diktatorischen Allüren auf. Man denke nur an Inquisition und Hexenverbrennungen.

Mit der Aufklärung und den Menschenrechten wurde die Macht des Klerus gebrochen, mit der Religionsfreiheit erhielten die Bürger das Recht, Religion und Glauben selbst zu bestimmen und ungehindert auszuüben – solange damit nicht übergeordnete Rechte tangiert werden.

Religionsfreiheit ist selbstverständlich

Inzwischen hat sich der Kerngedanke der Religionsfreiheit in unseren Breitengraden soweit in unserem Bewusstsein verankert, dass der Verfassungsartikel eine Selbstverständlichkeit ist – und somit fast überflüssig. Zumindest müsste er an den aktuellen Zeitgeist und die neuen religiösen Entwicklungen angepasst werden.

Früher hatten christliche Grosskirchen das Monopol, heute schiessen kleine Gruppen und Sekten ins Kraut.

Denn inzwischen wird die Religionsfreiheit gern von radikalen kleinen Glaubensgemeinschaften missbraucht, an die bei der Ausarbeitung dieser Rechte niemand gedacht hat. Das hat folgende Hintergründe: Mit der geistigen Entwicklung, der Individualisierung und der Religionsfreiheit ging die Säkularisierung einher.

Seither verlieren die christlichen Grosskirchen ihre Vormachtstellung – und alternative Glaubensgemeinschaften und Sekten schiessen ins Kraut. Vor 35 Jahren hatte ich etwa 60 Gruppen im Archiv, heute zählen wir allein in der Schweiz gegen 1000.

Sekten missbrauchen Freiheitsgedanken

Die meisten von ihnen sind problematisch und weisen sektenhafte Aspekte auf. Viele Gruppen und Bewegungen verkehren die Religionsfreiheit in ihr Gegenteil und nutzen sie für sich. Oder pervertieren sie sogar.

Konkret: War diese Freiheit ursprünglich zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger gedacht, ziehen heute Sekten und radikale Glaubensgemeinschaften Privilegien daraus. Sie missbrauchen den Freiheitsgedanken, um Leute zu missionieren und in die Abhängigkeit zu ziehen.

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Zum Beispiel Scientology: Die Psycho- und Wirtschaftssekte darf dank der Religionsfreiheit überall auf öffentlichem Grund Standaktionen durchführen. Auch mit dem Segen des Bundesgerichts.

In Zürich baut Scientology fast jeden Samstag an neuralgischen Punkten wie der Bahnhofstrasse und der Pestalozziwiese ihren Informationsstand auf. Denn Glaubensgemeinschaften dürfen den öffentlichen Grund für Aktionen benützen.

Sekte als Dienst an der Allgemeinheit?

Noch krasser: Das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) von Basel stufte kürzlich Scientology offiziell als Religionsgemeinschaft im Sinne des Arbeitsgesetzes ein. Rückendeckung bekam das AWA vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) in Bern.

Das bringt den Scientologen das Privileg, auch am Sonntag Jagd auf «rohes Fleisch» (Scientology-Jargon für Noch-nicht-Scientologen) machen zu dürfen, ihnen also Bücher und Kurse zu verkaufen.

Die Religionsfreiheit wird auch von den Therwiler Schülern missbraucht, die ihrer Lehrerin den Handschlag verweigern.

Auf Scientologen sei das Arbeitsgesetz nicht anwendbar, da sie Tätigkeiten gegenüber der Gemeinschaft leisten würden, lautet die Begründung der Behörden. Oder anders gesagt: Was die Migros nicht darf (am Sonntag ihre Läden offen haben), ist Scientology erlaubt. Die Arbeitsämter werten die Ausbeutung durch Scientology als Dienst an der Allgemeinheit. Abstruser geht es wohl nicht.

Auch in Therwil wird Religionsfreiheit missbraucht

Meines Erachtens wird die Religionsfreiheit auch von den Therwiler Schülern missbraucht, die ihrer Lehrerin den Handschlag verweigern. Die Religionsfreiheit sollte sich auf zentrale kultische oder religiöse Aspekte beschränken.

Ein Handschlag hat mit den Lehrinhalten des Islams nichts zu tun, zumal die Verweigerung nicht im Koran verankert ist. Es ist allenfalls ein religiöser Brauch, der nicht höher bewertet werden darf als zentrale soziale Werte in unserer Gesellschaft.

Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.
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102 Kommentare
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anonymer analphabet
10.06.2016 10:26registriert April 2016
In Bern wird man entweder vor dem Scientology-Haus anmissioniert, wenn man z.B. mit den Kinder vom Monbijoupark herkommt, oder beim Käfigturm wo sie dann ihren grossen Stand aufbauen und einem die Flyer unter die Nase stecken! Das sind öffentliche Plätze wo ich mich ungestört bewegen möchte, aber das ist nicht mehr möglich weil diese Geier da kreisen. Echt jetzt mal gebt uns unsere Plätze zurück und behaltetet eure "Religion" für euch!
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Angelo C.
10.06.2016 11:33registriert Oktober 2014
Für einmal mit Hugo Stamm auf einer Linie, dies besonders auch mit dem letzten Drittel seines Artikels...


Es geht auf keine Kuhhaut, was so alles den Begriff der Religionsfreiheit missbraucht 🙄!
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NWO Schwanzus Longus
10.06.2016 10:53registriert November 2015
Russland hat diese Sekte verboten, wieso nicht auch wir?
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