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Unsere Freiheitsrechte sind stark verknüpft mit der Religionsfreiheit, denn früher knebelten die christlichen Glaubensgemeinschaften ihre Gläubigen nach Noten. So hatten die Religionen über Jahrhunderte oft mehr Einfluss auf die Menschen als die Staatsorgane.
Meist keinen guten, denn Geistliche traten häufig mit diktatorischen Allüren auf. Man denke nur an Inquisition und Hexenverbrennungen.
Mit der Aufklärung und den Menschenrechten wurde die Macht des Klerus gebrochen, mit der Religionsfreiheit erhielten die Bürger das Recht, Religion und Glauben selbst zu bestimmen und ungehindert auszuüben – solange damit nicht übergeordnete Rechte tangiert werden.
Inzwischen hat sich der Kerngedanke der Religionsfreiheit in unseren Breitengraden soweit in unserem Bewusstsein verankert, dass der Verfassungsartikel eine Selbstverständlichkeit ist – und somit fast überflüssig. Zumindest müsste er an den aktuellen Zeitgeist und die neuen religiösen Entwicklungen angepasst werden.
Denn inzwischen wird die Religionsfreiheit gern von radikalen kleinen Glaubensgemeinschaften missbraucht, an die bei der Ausarbeitung dieser Rechte niemand gedacht hat. Das hat folgende Hintergründe: Mit der geistigen Entwicklung, der Individualisierung und der Religionsfreiheit ging die Säkularisierung einher.
Seither verlieren die christlichen Grosskirchen ihre Vormachtstellung – und alternative Glaubensgemeinschaften und Sekten schiessen ins Kraut. Vor 35 Jahren hatte ich etwa 60 Gruppen im Archiv, heute zählen wir allein in der Schweiz gegen 1000.
Die meisten von ihnen sind problematisch und weisen sektenhafte Aspekte auf. Viele Gruppen und Bewegungen verkehren die Religionsfreiheit in ihr Gegenteil und nutzen sie für sich. Oder pervertieren sie sogar.
Konkret: War diese Freiheit ursprünglich zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger gedacht, ziehen heute Sekten und radikale Glaubensgemeinschaften Privilegien daraus. Sie missbrauchen den Freiheitsgedanken, um Leute zu missionieren und in die Abhängigkeit zu ziehen.
Zum Beispiel Scientology: Die Psycho- und Wirtschaftssekte darf dank der Religionsfreiheit überall auf öffentlichem Grund Standaktionen durchführen. Auch mit dem Segen des Bundesgerichts.
In Zürich baut Scientology fast jeden Samstag an neuralgischen Punkten wie der Bahnhofstrasse und der Pestalozziwiese ihren Informationsstand auf. Denn Glaubensgemeinschaften dürfen den öffentlichen Grund für Aktionen benützen.
Noch krasser: Das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) von Basel stufte kürzlich Scientology offiziell als Religionsgemeinschaft im Sinne des Arbeitsgesetzes ein. Rückendeckung bekam das AWA vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) in Bern.
Das bringt den Scientologen das Privileg, auch am Sonntag Jagd auf «rohes Fleisch» (Scientology-Jargon für Noch-nicht-Scientologen) machen zu dürfen, ihnen also Bücher und Kurse zu verkaufen.
Auf Scientologen sei das Arbeitsgesetz nicht anwendbar, da sie Tätigkeiten gegenüber der Gemeinschaft leisten würden, lautet die Begründung der Behörden. Oder anders gesagt: Was die Migros nicht darf (am Sonntag ihre Läden offen haben), ist Scientology erlaubt. Die Arbeitsämter werten die Ausbeutung durch Scientology als Dienst an der Allgemeinheit. Abstruser geht es wohl nicht.
Meines Erachtens wird die Religionsfreiheit auch von den Therwiler Schülern missbraucht, die ihrer Lehrerin den Handschlag verweigern. Die Religionsfreiheit sollte sich auf zentrale kultische oder religiöse Aspekte beschränken.
Ein Handschlag hat mit den Lehrinhalten des Islams nichts zu tun, zumal die Verweigerung nicht im Koran verankert ist. Es ist allenfalls ein religiöser Brauch, der nicht höher bewertet werden darf als zentrale soziale Werte in unserer Gesellschaft.