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Du willst nur das Beste? Voilà:
China sei überschuldet
und werde in eine Krise schlittern, hiess es im Frühjahr. Jetzt hat sich die
Wirtschaft stabilisiert. Warum lagen einmal mehr alle westlichen China-Experten
falsch?
Donald Amstad: Das Schicksal von China wird sich im Oktober 2017
entscheiden. Dann werden die neuen Mitglieder des ständigen Ausschusses der
kommunistischen Partei ernannt werden, dem eigentlichen Machtgremium des Landes.
Was wird dann
geschehen?
Zum ersten Mal kann Präsident Xi nur noch seine Gefolgsleute
um sich scharen. Ein Opfer könnte Premierminister Li sein, denn zwischen Xi und
Li bestehen beträchtliche Spannungen. Bereits wird auch spekuliert, dass
Präsident Xi nicht wie vorgesehen 2022 zurücktreten wird.
Präsident Xi wird
immer autoritärer und auch bereits mit dem legendären Vorsitzenden Mao Tse Tung
verglichen. Zu Recht?
Dieser Vergleich trifft zu. Xi ist der autoritärste Führer
seit Mao. Das zeigt sich gerade jetzt bei den Feiern zu Maos 40. Todestag.
Mao wird immer noch
verehrt. Weshalb?
Er war ein grosser militärischer Führer und hat China wieder
vereint, sieht man von Taiwan und Hongkong ab. Seine Politik jedoch war eine
Katastrophe. Rund 40 Millionen Menschen verhungerten bei seinem verfehlten
Versuch der Industrialisierung. In der so genannten Kulturrevolution wurden Intellektuelle millionenfach gedemütigt oder umgebracht.
Und trotzdem sagt die
Kommunistische Partei heute noch: Er hatte zu 70 Prozent Recht.
Die Verehrung von Mao feiert ein Comeback. Nach Mao
bestimmten – mit Ausnahme von Deng Xiaoping – mehrheitlich Technokraten die
chinesische Politik. Mit Xi ist nun wieder ein charismatischer Führer an der
Spitze.
Was zeichnet ihn aus?
Xi macht sich ernsthaft Sorgen um die kommunistische Partei
Chinas. Er ist überzeugt, dass sie eine positive Macht für das Land ist und
eine Demokratie nach westlichem Vorbild eine Katastrophe für China wäre. Ebenso ist er fest entschlossen, die
Korruption in China zu bekämpfen. Generell herrscht die Überzeugung: China hat
noch viele Probleme und braucht eine starke Hand. Xi ist diese starke Hand.
Im Moment scheint Xi
Erfolg zu haben. Allen Unkenrufen zum Trotz wächst die Wirtschaft wie
vorgesehen um 6,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).
Die westliche Sicht auf China ist – höflich ausgedrückt –
nicht sonderlich zutreffend. So wird China immer noch als die Werkbank der Welt
gesehen, dabei beträgt der Anteil der Dienstleistungen an der chinesischen
Wirtschaft inzwischen rund 55 Prozent und wächst jährlich um 11 Prozent. Der
Anteil der Industrie hingegen beträgt bloss noch 34 Prozent. Seit 2007 hat der Anteil der Exporte am
chinesischen BIP nicht mehr zugenommen. Auch dass das BIP-Wachstum sich
verlangsamt, ist logisch. Ein zweistelliges BIP-Wachstum wäre etwa so, wie wenn
man mit mehr als 100 Kilometer pro Stunde in einem Ferrari durch Zürich rasen
würde. Es würde zwangsläufig in einem Crash enden.
Wenn Sie umgekehrt
mit asiatischen Augen auf den Westen schauen, was hat sich verändert?
Die Finanzkrise 2008 hat das Image des Westens in Asien
zerstört. Vor der Krise gab es eine Art Professor-Schüler-Beziehung. Die
Asiaten wollten vom Westen lernen, wie Marktwirtschaft geht. Die Krise hat die
Asiaten gelehrt, dass die Professoren erstens selbst ahnungslos und zweitens Heuchler sind. Den Asiaten haben der Internationale Währungsfond und
Wirtschaftsprofessoren nach der Asienkrise 1997/98 eingetrichtert, Strukturreformen
durchzuführen und ja kein Geld zu drucken. Als im Herbst 2008 die Krise ausbrach,
machten die Notenpresse der amerikanischen, europäischen und englischen
Notenbanken Überstunden. Die Asiaten verstanden die Welt nicht mehr.
Die Beziehung
zwischen China und den USA verschlechtern sich zunehmend. Ist diese Heuchelei
der Grund?
Der Respekt gegenüber dem Westen ist weg. Asien und speziell
China will jetzt eine Beziehung auf Augenhöhe. Die Asiaten wissen auch, dass
sie das neue Machtzentrum sind. Sie haben aus ihrer Finanzkrise gelernt und grosse
Devisenreserven angehäuft. Selbst ein armes Land wie die Philippinen sind heute
ein Kreditgeber, nicht mehr ein Kreditnehmer.
Was hat das für
Konsequenzen?
Wenn heute in Manila etwas schief läuft, dann geht der
erste Telefonanruf nicht mehr nach Washington, sondern nach Peking. Der zweite
geht nach Tokio, der dritte nach Hongkong und der vierte nach Singapur. Seit
der Finanzkrise lautet die Devise in Asien: Der Westen hat Mist gebaut. Wir
wollen uns – so gut wie möglich – davon fernhalten.
Dafür nähert sich
China Russland wieder an. Xi hat Putin bereits 13 Mal getroffen und derzeit
führen die beiden Länder gemeinsame Militärübungen durch.
Chinesen und Russen sind beide gegenüber dem Westen sehr
misstrauisch geworden. Zudem besitzt Russland grosses Knowhow in der Militärtechnologie, das China im Westen nicht erwerben kann. Russische
Kampfjets beispielsweise sind den amerikanischen ebenbürtig, wenn nicht sogar
überlegen. Gerade auf diesem Gebiet weisen die Chinesen noch grosse Rückstände
auf.
Und in den USA haben
sie einen gemeinsamen Feind.
Versetzen Sie sich einmal in die Lage der Chinesen. Sie
haben das Gefühl, eingekesselt zu sein. Der einzige Ausweg führt durch das
chinesische Meer. Deshalb bauen sie jetzt eine neue Seidenstrasse, genannt
«One Belt, One Road», um auf dem Landweg nach Europa zu kommen. Und deshalb
wollen sie auch das südchinesische Meer beherrschen. Sie wollen dort keine amerikanischen
Flugzeugträger, die in ihrem Hinterhof herumlungern. Stellen Sie sich das
Gegenteil vor: Wie würden die Amerikaner reagieren, wenn vor der Küste von Los
Angeles chinesische Flugzeugträger aufkreuzen würden? Wahrscheinlich würde dies
einen Atomkrieg auslösen.
Wenden wir uns Indien
zu. Seit mehr als 50 Jahren ist es wirtschaftlich gesehen ein hoffnungsloser
Fall. Gelingt nun der Regierung Modi die Wende?
Die Familie Ghandi war für Indien ein Desaster. Aber jetzt
bahnt sich tatsächlich ein Wechsel an.
Modi ist ein sehr pragmatischer Mann.
Der hoch gelobte
Präsident der Bank of India, Raghuram Rajan, ist kürzlich überraschend
zurückgetreten. Weshalb?
Rajan wird in die Geschichtsbücher eingehen als der Mann,
der Indien verändert hat. Er hat es als erster geschafft, die Inflation in den
Griff zu bekommen.
Warum ist er trotzdem
gegangen?
So genau weiss man das nicht. Es war wohl ein politisches
Geplänkel. Sein Nachfolger wird jedoch seine Politik weiterführen.
Indien und China
mögen sich nicht wirklich. Werden sie sich in die Haare geraten?
Indien ist gegenüber dem Westen und Japan viel offener als
China. Das mag mit seiner
kolonialen Vergangenheit zu tun haben. Englisch ist nach wie vor die offizielle
Sprache Indiens. Deshalb ist es für den Westen eine grosse Chance, wenn Indien
sich endlich entwickelt. Umgekehrt sind die meisten westlichen Multis – Google,
Apple und Facebook – aus China vertrieben worden. Die Liste der erfolgreichen
westlichen Unternehmen in China ist eines der kürzeren Bücher auf dieser Welt.
Asien sieht den
Westen als untergehende Macht, der Westen umgekehrt sieht China und Indien als
Länder, die nach wie vor eine grosse Entwicklung durchlaufen müssen, bis sie in
der Champions League mitmachen können. Wer hat Recht?
Der Westen befindet sich sehr stark im Niedergang. Die
westliche Demokratie funktioniert nicht mehr. Sehen Sie sich bloss das aktuelle
Debakel der US-Präsidentschaftskandidaten an. Etwas läuft da dramatisch falsch.
Europa ist nicht besser. Die Brexit-Debatte in meinem Heimatland war an
Dummheit nicht mehr zu übertreffen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe
den Westen, aber das politische System funktioniert nicht mehr.
Warum stammen alle
wichtigen Fortschritte auf dem Gebiet der Technik immer noch aus dem Westen?
Die Kreativität der Menschen im Westen ist nach wie vor
fantastisch. In Asien sind immer
noch autoritäre Regimes am Ruder, welche die Kreativität hemmen. Das beginnt
sich zu ändern, beispielsweise in Südkorea. Und vergessen wir nicht: In den USA
leben rund 300 Millionen Menschen, in Europa sind es 740 Millionen. In Asien
hingegen leben über vier Milliarden Menschen. Wohin die Reise der Menschheit
führen wird, ist somit glasklar.