Wirtschaft
Interview

China und Asien werden dem Westen bald überlegen sein

Souvenirs featuring portraits of China's late Chairman Mao Zedong and China's President Xi Jinping are seen at a shop near the Forbidden City in Beijing, China, September 9, 2016. REUTERS/Th ...
Alte und neue chinesische Führer: Mao (vorne) und Xi.Bild: THOMAS PETER/REUTERS
Interview

Warnung aus Singapur: «In Asien ist der Respekt gegenüber dem Westen weg»

Die Finanzkrise hat das Vertrauen der Asiaten in die Marktwirtschaft zerstört, das Trauerspiel der US-Wahlen lässt sie an der Demokratie zweifeln. Donald Amstad, Direktor bei der Aberdeen Asset Management in Singapur, betrachtet den Westen mit asiatischen Augen. Was er sieht, stimmt ihn wenig optimistisch.
18.09.2016, 15:3319.09.2016, 16:04
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China sei überschuldet und werde in eine Krise schlittern, hiess es im Frühjahr. Jetzt hat sich die Wirtschaft stabilisiert. Warum lagen einmal mehr alle westlichen China-Experten falsch?
Donald Amstad: Das Schicksal von China wird sich im Oktober 2017 entscheiden. Dann werden die neuen Mitglieder des ständigen Ausschusses der kommunistischen Partei ernannt werden, dem eigentlichen Machtgremium des Landes.

Donald Amstad, Direktor bei Aberdeen Asset Management in Singapur.
Donald Amstad, Direktor bei Aberdeen Asset Management in Singapur.

Was wird dann geschehen?
Zum ersten Mal kann Präsident Xi nur noch seine Gefolgsleute um sich scharen. Ein Opfer könnte Premierminister Li sein, denn zwischen Xi und Li bestehen beträchtliche Spannungen. Bereits wird auch spekuliert, dass Präsident Xi nicht wie vorgesehen 2022 zurücktreten wird.

Präsident Xi wird immer autoritärer und auch bereits mit dem legendären Vorsitzenden Mao Tse Tung verglichen. Zu Recht?
Dieser Vergleich trifft zu. Xi ist der autoritärste Führer seit Mao. Das zeigt sich gerade jetzt bei den Feiern zu Maos 40. Todestag.

«Xi Jinping ist der autoritärste Führer seit Mao.»

Mao wird immer noch verehrt. Weshalb?
Er war ein grosser militärischer Führer und hat China wieder vereint, sieht man von Taiwan und Hongkong ab. Seine Politik jedoch war eine Katastrophe. Rund 40 Millionen Menschen verhungerten bei seinem verfehlten Versuch der Industrialisierung. In der so genannten Kulturrevolution wurden Intellektuelle millionenfach gedemütigt oder umgebracht.

Und trotzdem sagt die Kommunistische Partei heute noch: Er hatte zu 70 Prozent Recht.
Die Verehrung von Mao feiert ein Comeback. Nach Mao bestimmten – mit Ausnahme von Deng Xiaoping – mehrheitlich Technokraten die chinesische Politik. Mit Xi ist nun wieder ein charismatischer Führer an der Spitze.

Was zeichnet ihn aus?
Xi macht sich ernsthaft Sorgen um die kommunistische Partei Chinas. Er ist überzeugt, dass sie eine positive Macht für das Land ist und eine Demokratie nach westlichem Vorbild eine Katastrophe für China wäre. Ebenso ist er fest entschlossen, die Korruption in China zu bekämpfen. Generell herrscht die Überzeugung: China hat noch viele Probleme und braucht eine starke Hand. Xi ist diese starke Hand.

Chinese President Xi Jinping shakes hands with Russian President Vladimir Putin during the G20 Summit in Hangzhou, Zhejiang province, China September 4, 2016. REUTERS/Damir Sagolj
Haben sich schon 13 Mal getroffen: Putin und Xi.Bild: DAMIR SAGOLJ/REUTERS

Im Moment scheint Xi Erfolg zu haben. Allen Unkenrufen zum Trotz wächst die Wirtschaft wie vorgesehen um 6,7 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP).
Die westliche Sicht auf China ist – höflich ausgedrückt – nicht sonderlich zutreffend. So wird China immer noch als die Werkbank der Welt gesehen, dabei beträgt der Anteil der Dienstleistungen an der chinesischen Wirtschaft inzwischen rund 55 Prozent und wächst jährlich um 11 Prozent. Der Anteil der Industrie hingegen beträgt bloss noch 34 Prozent. Seit 2007 hat der Anteil der Exporte am chinesischen BIP nicht mehr zugenommen. Auch dass das BIP-Wachstum sich verlangsamt, ist logisch. Ein zweistelliges BIP-Wachstum wäre etwa so, wie wenn man mit mehr als 100 Kilometer pro Stunde in einem Ferrari durch Zürich rasen würde. Es würde zwangsläufig in einem Crash enden.  

Wenn Sie umgekehrt mit asiatischen Augen auf den Westen schauen, was hat sich verändert?
Die Finanzkrise 2008 hat das Image des Westens in Asien zerstört. Vor der Krise gab es eine Art Professor-Schüler-Beziehung. Die Asiaten wollten vom Westen lernen, wie Marktwirtschaft geht. Die Krise hat die Asiaten gelehrt, dass die Professoren erstens selbst ahnungslos und zweitens Heuchler sind. Den Asiaten haben der Internationale Währungsfond und Wirtschaftsprofessoren nach der Asienkrise 1997/98 eingetrichtert, Strukturreformen durchzuführen und ja kein Geld zu drucken. Als im Herbst 2008 die Krise ausbrach, machten die Notenpresse der amerikanischen, europäischen und englischen Notenbanken Überstunden. Die Asiaten verstanden die Welt nicht mehr.

«Wenn heute in Manila etwas schief läuft, dann geht der erste Telefonanruf nicht mehr nach Washington, sondern nach Peking.»

Die Beziehung zwischen China und den USA verschlechtern sich zunehmend. Ist diese Heuchelei der Grund?
Der Respekt gegenüber dem Westen ist weg. Asien und speziell China will jetzt eine Beziehung auf Augenhöhe. Die Asiaten wissen auch, dass sie das neue Machtzentrum sind. Sie haben aus ihrer Finanzkrise gelernt und grosse Devisenreserven angehäuft. Selbst ein armes Land wie die Philippinen sind heute ein Kreditgeber, nicht mehr ein Kreditnehmer.

Was hat das für Konsequenzen?
Wenn heute in Manila etwas schief läuft, dann geht der erste Telefonanruf nicht mehr nach Washington, sondern nach Peking. Der zweite geht nach Tokio, der dritte nach Hongkong und der vierte nach Singapur. Seit der Finanzkrise lautet die Devise in Asien: Der Westen hat Mist gebaut. Wir wollen uns – so gut wie möglich – davon fernhalten.  

Dafür nähert sich China Russland wieder an. Xi hat Putin bereits 13 Mal getroffen und derzeit führen die beiden Länder gemeinsame Militärübungen durch.
Chinesen und Russen sind beide gegenüber dem Westen sehr misstrauisch geworden. Zudem besitzt Russland grosses Knowhow in der Militärtechnologie, das China im Westen nicht erwerben kann. Russische Kampfjets beispielsweise sind den amerikanischen ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen. Gerade auf diesem Gebiet weisen die Chinesen noch grosse Rückstände auf.

In this photo released by China's Xinhua News Agency, officers and soldiers of China's People's Liberation Army (PLA) Navy hold a welcome ceremony as a Russian naval ship arrives in por ...
Chinesische und russische Truppen bei gemeinsamen Manövern.Bild: AP/Xinhua

Und in den USA haben sie einen gemeinsamen Feind.
Versetzen Sie sich einmal in die Lage der Chinesen. Sie haben das Gefühl, eingekesselt zu sein. Der einzige Ausweg führt durch das chinesische Meer. Deshalb bauen sie jetzt eine neue Seidenstrasse, genannt «One Belt, One Road», um auf dem Landweg nach Europa zu kommen. Und deshalb wollen sie auch das südchinesische Meer beherrschen. Sie wollen dort keine amerikanischen Flugzeugträger, die in ihrem Hinterhof herumlungern. Stellen Sie sich das Gegenteil vor: Wie würden die Amerikaner reagieren, wenn vor der Küste von Los Angeles chinesische Flugzeugträger aufkreuzen würden? Wahrscheinlich würde dies einen Atomkrieg auslösen.

Wenden wir uns Indien zu. Seit mehr als 50 Jahren ist es wirtschaftlich gesehen ein hoffnungsloser Fall. Gelingt nun der Regierung Modi die Wende?
Die Familie Ghandi war für Indien ein Desaster. Aber jetzt bahnt sich tatsächlich ein Wechsel an. Modi ist ein sehr pragmatischer Mann.  

«Wie würden die Amerikaner reagieren, wenn vor der Küste von Los Angeles chinesische Flugzeugträger aufkreuzen würden? Wahrscheinlich würde dies einen Atomkrieg auslösen.»

Der hoch gelobte Präsident der Bank of India, Raghuram Rajan, ist kürzlich überraschend zurückgetreten. Weshalb?
Rajan wird in die Geschichtsbücher eingehen als der Mann, der Indien verändert hat. Er hat es als erster geschafft, die Inflation in den Griff zu bekommen.  

Warum ist er trotzdem gegangen?
So genau weiss man das nicht. Es war wohl ein politisches Geplänkel. Sein Nachfolger wird jedoch seine Politik weiterführen.

Indien und China mögen sich nicht wirklich. Werden sie sich in die Haare geraten?
Indien ist gegenüber dem Westen und Japan viel offener als China. Das mag mit seiner kolonialen Vergangenheit zu tun haben. Englisch ist nach wie vor die offizielle Sprache Indiens. Deshalb ist es für den Westen eine grosse Chance, wenn Indien sich endlich entwickelt. Umgekehrt sind die meisten westlichen Multis – Google, Apple und Facebook – aus China vertrieben worden. Die Liste der erfolgreichen westlichen Unternehmen in China ist eines der kürzeren Bücher auf dieser Welt.

A crane is seen next to a giant statue of Chinese late chairman Mao Zedong under construction near crop fields in a village of Tongxu county, Henan province, China, January 4, 2016. REUTERS/Stringer/F ...
Goldene Mao-Statue: Auch 40 Jahre nach seinem Tod wird der grosse Führer noch verehrt.Bild: © China Stringer Network/REUTERS

Asien sieht den Westen als untergehende Macht, der Westen umgekehrt sieht China und Indien als Länder, die nach wie vor eine grosse Entwicklung durchlaufen müssen, bis sie in der Champions League mitmachen können. Wer hat Recht?
Der Westen befindet sich sehr stark im Niedergang. Die westliche Demokratie funktioniert nicht mehr. Sehen Sie sich bloss das aktuelle Debakel der US-Präsidentschaftskandidaten an. Etwas läuft da dramatisch falsch. Europa ist nicht besser. Die Brexit-Debatte in meinem Heimatland war an Dummheit nicht mehr zu übertreffen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe den Westen, aber das politische System funktioniert nicht mehr.

Warum stammen alle wichtigen Fortschritte auf dem Gebiet der Technik immer noch aus dem Westen?
Die Kreativität der Menschen im Westen ist nach wie vor fantastisch. In Asien sind immer noch autoritäre Regimes am Ruder, welche die Kreativität hemmen. Das beginnt sich zu ändern, beispielsweise in Südkorea. Und vergessen wir nicht: In den USA leben rund 300 Millionen Menschen, in Europa sind es 740 Millionen. In Asien hingegen leben über vier Milliarden Menschen. Wohin die Reise der Menschheit führen wird, ist somit glasklar.

Das sind die beliebtesten Apps in China

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Das sind die beliebtesten Apps in China
Wenn es eine App gibt, die mobile Kommunikation in China dominiert, dann ist es Wechat. Im Westen wird es oft mit WhatsApp verglichen, aber die chinesische App geht deutlich weiter: Neben Einzel- und Gruppenchats können Nutzer Videos, Bilder oder einfach Text in ihren «Moments» posten, sodass eine Timeline aller Freunde zustande kommt.
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41 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Luca Brasi
18.09.2016 16:08registriert November 2015
Betrachtet Mister Amstad wirklich das Geschehen mit asiatischen Augen oder doch eher mit britischen? Ich höre viel Demokratiemüdigkeit heraus wie es v.a. Westler momentan haben (siehe seinen Brexit-Kommentar). Ich könnte seiner Autoritätsgläubigkeit der "Asiaten" (wusste gar nicht, dass es "den Asiaten" gibt, aber Wirtschaftsleute denken eben immer verallgemeinernd und vergessen irgendwie die verschiedenen Kulturen) beispielsweise Taiwan entgegensetzen und daran erinnern, dass Südkorea auch nicht immer begeistert von der Politik von Präsidentin Park ist (Wahlen im nächsten Jahr).
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Herbert Anneler
18.09.2016 19:37registriert August 2015
..und Europa zerfleischt sich im Moment lustvoll selber. Nicht Asien wird stark, sondern wir in Europa machen uns kaputt. Wir scheitern an unserer eigenen Überheblichkeit und Selbstgerechtigkeit.
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DerTaran
18.09.2016 17:43registriert Oktober 2015
Interesant wie schnell die Menschen sich wieder einen Diktator herbeisehnen. Mit den gleichen Argumenten ist Hitler an die Macht gekommen. Er war letztendlich nicht sehr erfolgreich.
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