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Albert Rösti erschwert Tempo 30: Eine Stadt stellt sich schon mal quer

Der Tempo 30 an der Bernstrasse in Luzern anlaesslich einer Medienkonferenz der 7 Luzerner Quartiervereine Hochwacht, BaBel, Maihof, Guetsch,Hirschmatt-Neustadt, und Obergrund in welcher sie zu sofort ...
Verkehrsminister Albert Rösti plant, das Einrichten von Tempo-30-Zonen per Verordnung zu erschweren.Bild: keystone

Rösti bremst Tempo 30: Eine Stadt stellt sich schon mal quer

Verkehrsminister Albert Rösti will den Städten bei Temporeduktionen Steine in den Weg legen und setzt stattdessen auf Flüsterbeläge. Doch kantonale Unterschiede und praktische Hürden machen das Vorhaben zum Zankapfel.
20.09.2025, 15:4320.09.2025, 15:43
Benjamin Rosch / ch media

«Road Rage» nennt man, wenn im Strassenverkehr die Sicherungen durchbrennen. Verkehrspsychologen beobachten, dass die Sitten auf der Strasse bei zunehmender Dichte verrohen.

Der Frust auf dem Asphalt findet seine Fortschreibung in der Politik. Spätestens seit das Parlament den Bundesrat mit einer neuen Regelung zu Tempo-30-Zonen beauftragt hat, streitet das Land mit neuer Leidenschaft über das Zusammenleben von SUVs, Cargo-Velos und Fussgängern.

Verkehrsminister Albert Rösti will auf dem Verordnungsweg das Einrichten von 30er-Zonen erschweren. Statt Temporeduktionen sollen in Zentren Flüsterbeläge zum Einsatz kommen – und zwar überall dort, wo die Strasse vor allem dem motorisierten Individualverkehr dient. Diese heissen – wenn auch im Strassenverkehrsgesetz etwas schwammig definiert – «verkehrsorientierte Strassen».

Tempo 30: Zankapfel in den Schweizer Zentren, wie hier in Luzern.
Tempo 30: Zankapfel in den Schweizer Zentren, wie hier in Luzern. Symbolbild: Eveline Beerkircher

Die Verordnung geht zurück auf eine Motion von Peter Schilliger. Der FDP-Nationalrat und TCS-Verwaltungsrat will die «Hierarchien» der Strassen gesetzlich regeln. Früh zeigt sich, wie schwierig dieses Unterfangen wird. Denn im Schweizer Strassenverkehrsnetz regiert der Wildwuchs.

Das beginnt schon bei der Statistik. Niemand weiss, wie viele Strassenkilometer der Schweiz von der neuen Regel betroffen wären – und damit, wie viel sie eigentlich kostet. Weder das Bundesamt für Strassen, noch die Kantone oder die verschiedenen Lobbyorganisationen. Gewiss ist nur: Von den rund 85’000 Kilometern befinden sich rund 2000 in der Verantwortung des Bundes, 17’000 gehören den Kantonen und der überwiegende Rest den Gemeinden.

Unterschiedliche Beläge in Stadt und Land

Das Resultat ist ein Flickenteppich, wie das Beispiel Bern beweist. Kantonsingenieur Stefan Studer sieht sich durch Röstis Vorschlag bestätigt: «Die vom Bundesrat vorgesehenen Änderungen sehen genau dasselbe vor, wie wir es heute bereits im Kanton Bern praktizieren und wie es auch andere Kantone bereits so handhaben», schreibt er auf Anfrage. Bereits seit Jahren setze das Tiefbauamt auf Kantonsstrassen zur Erfüllung der Lärmgrenzwerte «primär auf lärmarme Beläge». Bereits rund 150 Kilometer habe der Kanton so gebaut.

Ganz anders das Bild aber in der Stadt Bern. Lediglich einige wenige Strassen, darunter die Bundesgasse und der Ostring, sind mit sogenanntem Flüsterbelag ausgestattet.

Dieser Stadt-Land-Graben zieht sich auch durch andere Regionen der Schweiz. Der Kanton Baselland etwa hat binnen zwei Jahren ungefähr gleich viel lärmarmen Belag eingesetzt wie sein städtischer Nachbar in einer Dekade.

Gründe dafür gibt es mehrere. Zum einen entfaltet ein Flüsterbelag seine Wirkung am besten ab einer Geschwindigkeit von mehr als 50 Stundenkilometern – im Stadtgebiet eher selten. Zum anderen braucht ein lärmarmer Belag eine gewisse Schichtdicke, was in einem historisch gewachsenen Netz aus Gas-, Wasser- und Stromleitungen oft nicht möglich ist. Und zuletzt leiden bereits jetzt viele Städte unter einer Vielzahl von Baustellen – die geringe Lebensdauer dieses Belags würde diesen Umstand noch verschlimmern.

Des voitures circulent devant un radar mesurant la vitesse sur la Route des Alpes a 30km/h le lundi 2 octobre 2023 a Fribourg. Pour lutter contre le bruit routier, la Ville de Fribourg prend des mesur ...
Nicht für alle ist Tempo 30 eine Liebesbeziehung.Bild: KEYSTONE

Sam Lanners ist Co-Präsident von Cercle Bruit, der Vereinigung kantonaler Lärmschutzfachleute. Er sagt: «Der Bundesrat hätte die Motion Schilliger deutlich schärfer umsetzen können.» Die Städte und Gemeinden werden ihre 30er-Zonen künftig umfassender begründen müssen. Möglich bleibe es aber trotzdem. «Denn an vielen Orten wird ein Flüsterbelag nicht ausreichen, um die Lärmgrenzwerte einzuhalten.» Lanners sieht auch eine positive Seite der Verordnung: «Sie wird manchen Kantonen, die bislang gar nicht oder nur wenig auf lärmarme Beläge setzen, zum Umdenken motivieren.»

Dass Lanners Recht behalten könnte, zeigt ein Blick nach Zürich. Dort schreibt das Tiefbauamt auf Anfrage: «Nur verkehrsorientierte Strassen» gäbe es in einer Stadt, «in der weiter siedlungsorientiert verdichtet wird» gar keine. Mit anderen Worten: Die neue Verordnung lässt sich gar nicht auf Zürich anwenden. Noch bis 5. Dezember läuft die Vernehmlassung aus dem Departement Rösti. Ein Ende der Debatte mit weiterem Frustpotenzial ist indes nicht abzusehen. (aargauerzeitung.ch)

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148 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Pointless Piraña
20.09.2025 16:02registriert Dezember 2019
Rösti hat von seinem Vorbild Trump gelernt, demokratische Prozesse mit Dekreten auszuhebeln. Er tut nicht mal mehr so, als würde er sich einen Deut um den Volkswillen scheren.
Ich hoffe wirklich sehr, dass dies der zwei BR sein wird, der abgewählt wird.
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Latvietis1101
20.09.2025 15:54registriert Oktober 2023
In der Schweiz werden die Argumente der Motorrad- Auto- und LKW Lobby seit jeher höher gewichtet als das Wohlergehen und die Gesundheit der Anwohner. So erstaunt es auch nicht, dass Motorradfahrer das ganze Schweizervolk in Lärm Geiselhaft nehmen können und in vielen Köpfen immer noch das Recht des Stärkeren gilt. So gesehen erstaunt mich dieser Bremser von BR Rösti nicht wirklich.
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Holzöpfl
20.09.2025 15:59registriert Oktober 2024
Ich habe es bereits einmal geschrieben und ich schreibe es erneut: Hauptstrassen sind eine enorme Belastung für die Anwohner und es wird Zeit, dass wir jene Orte, wo Menschen wohnen besser schützen. Dabei ist es egal, ob es diese Menschen an einer Hauptstrasse oder einer Quartierstrasse wohnen.
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