Abfuhr für Rösti: «Die Vorlage muss zwingend angepasst werden»
Die Strombranche ist wegen des EU-Stromabkommens in heller Aufruhr. Doch nicht etwa wegen der von Brüssel diktierten Regeln und Prinzipien, sondern wegen der einheimischen Umsetzungsübungen. Hört man sich bei den Experten in den Unternehmen und den Verbänden um, wird die Arbeit aus dem Departement von Albert Rösti wahlweise als «katastrophal», «unbrauchbar» oder «absurd bürokratisch» bezeichnet.
Der Tenor aus der Branche lässt sich verkürzt wie folgt zusammenfassen: Ja zum EU-Deal, Nein zur Schweizer Umsetzung. Entsprechend dürfte auch das Feedback der Stromunternehmen und ihrer Interessenverbände auf die präsentierte Vorlage ausfallen, deren Vernehmlassung noch bis Ende Oktober dauert.
Der grösste Schweizer Stromkonzern Axpo hat seine Stellungnahme bereits auf seiner Homepage aufgeschaltet. Darin appelliert er an den Bund, bei der Umsetzung auf eine «zurückhaltende Regulierung» zu achten und auf «weitergehende Bestimmungen als in der EU» zu verzichten. Doch: Dies werde mit den vorliegenden Gesetzesanpassungen und der vorgesehenen Regulierung in der Grundversorgung «deutlich verpasst». Danach folgt auf rund 30 Seiten ein Streichkonzert an den Gesetzesvorschlägen aus Röstis Departement.
Harte Worte findet auch Ronny Kaufmann, der Geschäftsführer der Swisspower-Allianz, welche die Interessen von 20 Stadtwerken vertritt. «Die Vorlage muss zwingend angepasst werden», sagt er auf Anfrage. «Die Umsetzung des EU-Stromabkommens braucht keinen ‹Swiss Finish›.» Kaufmann kritisiert vor allem die damit verbundene zusätzlich auferlegte Bürokratie sowie das erhöhte Ausmass der Regulierung bei der Grundversorgung, die seine Swisspower-Mitglieder mit Netzbetrieb und vielen Grundversorgungskunden besonders hart trifft.
Der vorliegende Vorschlag zur innerstaatlichen Umsetzung bedürfe «einer grundlegenden Überarbeitung», heisst es auch bei Alpiq. «Der bestehende Gestaltungsspielraum muss konsequenter für eine marktliche Ausrichtung und eine schlankere Regulierung genutzt werden», sagt Sprecher Guido Lichtensteiger. Inhaltlich ähnlich, aber etwas diplomatischer, reagiert der BKW-Konzern. Er wünscht sich «eine möglichst einfache und schlanke Ausgestaltung der Regulierungen». Wo immer möglich, sollte diesbezüglich ein Abbau vorgenommen werden.
Der von Röstis Bundesamt für Energie ausgearbeitete Vorschlag hingegen führt zum Gegenteil. Davon zeigt sich die Branche überzeugt. Besonders stört sie sich an zwei Punkten:
- Trennung von Netz und Betrieb: Dieses Entflechtungsprinzip wird von der EU gefordert. Doch die Schweizer Lösung, so der Vorwurf der Branche, gehe viel weiter. Demnach müssten die hiesigen Strombetriebe nicht nur zwei voneinander unabhängige rechtliche Einheiten gründen, sondern müssten diese mit je personell unabhängigen Diensten unterlegen. Faktisch bräuchten sie dann zwei Rechtsabteilungen, zwei Kommunikationsstellen, zwei Personalwesen. Damit müsste der Personaletat erhöht werden, was wiederum die Betriebskosten ansteigen lasse.
- Kosten der Grundversorgung: Die Schweiz antwortet auf die Bedingung der EU, den Strommarkt zu liberalisieren, mit einem Auswahlmodell. In Zukunft sollen die heute noch «gefangenen» Privathaushalte wählen dürfen, ob sie bei ihrem Grundversorger bleiben oder einen Stromanbieter im freien Markt auswählen wollen. Dieser Grundsatz wird von der Strombranche nicht bestritten. Sie stört sich aber an den Spielregeln. Die «Vorgaben zur Beschaffung und zu den Preisen müssen mit den Wechselmöglichkeiten der Kunden vereinbar sein», heisst es etwa bei der Axpo. «Je mehr Vorgaben und Risiken der Grundversorgung auferlegt werden, desto aufwendiger, teurer und unattraktiver wird sie.»
Und Vorgaben will der Bund viele machen und ignoriert dabei, dass bei einer Marktöffnung auch die Grundversorgung gewissen Marktkräften unterliegt: Steigen die Preise an den Strombörsen stark an, dürften viele Privathaushalte sich für die Grundversorgung entscheiden. Den Anbietern, die gemäss den vorliegenden Plänen dafür die Gestehungskosten plus einen limitierten Zuschlag fakturieren dürfen, winkt ein kleiner Gewinn.
Fallen die Preise jedoch ins Bodenlose, dürften viele Privathaushalte aus der Grundversorgung aussteigen. Der Grundversorgungsanbieter bleibt dann auf seiner, zu hoch bemessenen Strommenge sitzen und muss diese zu tiefen oder gar negativen Preisen an den Börsen verkaufen – und dabei erhebliche Verluste in Kauf nehmen. Um den Beschaffungsrisiken zu begegnen und «gleich lange Spiesse für Kunden und Grundversorger» zu schaffen, brauche es Beschaffungssicherheit, sagt Swisspower-Chef Kaufmann. Er lehnt deshalb auch die in der Vorlage vorgesehene «unterjährige Wechselmöglichkeit» ab. So wie die Spielregeln jetzt ausgestaltet wurden, gehe die Rechnung nicht auf.
Die Unzufriedenheit mit der Schweizer Umsetzung ist so gross, dass es in der Strombranche bereits Stimmen gibt, die dafür plädieren, der Vorlage eine Abfuhr zu erteilen – umso mehr als der EU-Deal zwar gut für die Schweizer Versorgungssicherheit wäre, aber den Stromfirmen keine Zusatzeinnahmen verspricht. Eher im Gegenteil, wie immer wieder zu hören ist: Mit der Einbettung in den europäischen Strommarkt und der Marktliberalisierung dürften die Strompreise für die Endkonsumenten tendenziell sinken und damit auch die Einnahmen der Firmen.
Wie nervös die Stimmung ist, zeigt sich auch daran, dass der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) zur Vorbereitung seiner Vorstandssitzung vom kommenden Mittwoch zwei unterschiedliche Versionen für die Vernehmlassungsantwort in Umlauf geschickt hat, wie die «Schweiz am Wochenende» erfahren hat. Mit der ersten stellt sich der VSE hinter den EU-Deal, kritisiert aber die Schweizer Umsetzung scharf. Mit der zweiten droht der Verband gar, das gesamte Paket abzulehnen, sollte die Schweizer Umsetzung nicht fundamental überarbeitet werden. Der Verband will sich vorerst nicht dazu äussern. (aargauerzeitung.ch)
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