Die Neuzeit unserer Eishockey-Nationalmannschaft beginnt im Herbst 1997 mit der Amtsübernahme von Ralph Krueger. Der extrovertierte Deutsch-Kanadier wird die Schweizer Auswahl bis und mit dem olympischen Turnier von 2010 in Vancouver betreuen und in dieser Zeit an die Weltspitze heranführen.
Im Frühjahr 1998 steht die WM in der Schweiz kurz bevor, gespielt wird in Zürich und Basel. Kurz vor dem Turnier kommt es zum Eklat: Der neue Nationaltrainer verabschiedet drei Titanen: Verteidiger Sven Leuenberger (damals 29) muss nach 127 Länderspielen gehen. Stürmer Felix Hollenstein (33) verlässt die internationale Bühne nach 125 Einsätzen unfreiwillig. Renato Tosio (34) muss nach 183 Einsätzen den Platz im nationalen Tor räumen.
Alle drei gehörten zum legendären WM-Halbfinal-Team von 1992 in Prag. Und Felix Hollenstein war als Captain bei der vorangegangenen WM der Team-Leitwolf gewesen. So eine Ausbootung: Stillos! Geht nicht! Eine WM im eigenen Land ohne dieses Trio? Unvorstellbar! Die Kloten-Ikone Felix Hollenstein bei einer WM vor der eigenen Haustüre in Zürich nicht dabei. Absurd!
Die Aufregung legte sich schnell: Die Schweizer besiegten erstmals bei einer WM die Russen und erreichten den Halbfinal. Ralph Krueger hatte also richtig entschieden. Sven Leuenberger erinnert sich noch gut an diese spektakuläre Ausbootung. «Renato und ich fragten Ralph Krueger, ob wir für die WM-Vorbereitung über Ostern einen Tag später einrücken dürfen. Wir hatten beide gerade erfahren, dass der SCB wahrscheinlich Konkurs geht. ‹Fige› hatte sich auf der Länderspieltournee in Kanada geweigert, im letzten Drittel einer Partie weiterzuspielen. Weil es so rau zu und hergegangen ist. Die Kanadier waren auf einem Rachefeldzug für die Tracht Prügel, die sie beim Länderspiel im Februar in Huttwil bezogen hatten …»
So hatte Ralph Krueger seine Argumente für seine Personalentscheide. «Feigheit» bei Felix Hollenstein und «Ferienwünsche» bei Sven Leuenberger und Renato Tosio. Der Hintergrund war noch ein anderer: Der schlaue, charismatische neue Nationaltrainer wusste sehr genau: Nichts markiert so sehr einen Neubeginn und die Autorität des neuen Chefs wie die Verabschiedung von ganz grossen Namen. Er musste aus dem Schatten seines legendären Vorgängers Simon Schenk heraustreten. Ralph Krueger hätte die drei auch dann nicht mehr für die WM berücksichtigt, wenn sie ihm keine offensichtlichen Gründe geliefert hätten. Es ging darum, Führungsstärke zu demonstrieren. Von nun an wusste jeder: Hoppla, jetzt weht ein anderer Wind, jetzt pfeift ein anderer Vogel.
Nun hat es also Simon Moser (33) nach 121 Länderspielen (so viele sind es gemäss offizieller Verbandsstatistik) und Raphael Diaz (36) nach 134 eidgenössischen Einsätzen erwischt. Zwei wohl überlegte Personalentscheide von Patrick Fischer: Das mediale Echo und die «Schockwirkung» sind über einen längeren Zeitraum während der WM-Vorbereitung garantiert und sportlich riskiert er eigentlich wenig. Für den Nationaltrainer geht es darum, vermehrt Führungsstärke zu demonstrieren. Die Leistungen einiger Spieler beim olympischen Turnier zu Peking (im Viertelfinal gegen Finnland gescheitert, Gruppenspiel gegen Dänemark kläglich verloren) waren hart an der Grenze eines Verrats.
Nun war Raphael Diaz nicht einer dieser Versager. Aber der Captain kann auf internationalem Eis nicht mehr dominieren wie in seinen besten Zeiten, als er zwei WM-Silberteams an der blauen Linie mitdirigieren half. Er wäre noch gut genug für ein WM-Team, aber nicht mehr so gut, dass er unverzichtbar wäre.
Simon Moser, ein offensiver Fixstern in den WM-Finalteams von 2013 und 2018 war hingegen in Peking eine Nullnummer (kein Tor und kein Assist) und der SCB-Captain ist für internationale Einsätze inzwischen zu langsam geworden. Da er einen grossen Namen trägt, ist er der perfekte Spieler für eine wirkungsvolle Verabschiedung.
Simon Moser und Raphael Diaz sind vor der WM 2022 durchaus in einer ähnlichen Lage wie damals Renato Tosio, Sven Leuenberger und Felix Hollenstein vor der WM 1998. Von nun an weiss jeder: Hoppla, mit dem Chef ist nicht zu spassen, jetzt weht ein anderer Wind, jetzt pfeift ein anderer Vogel.
Patrick Fischer hat alles richtig gemacht. Jetzt muss er nur noch auf einen ähnlichen Effekt hoffen wie damals bei der WM 1998. Damals war er als Spieler mit dabei.
Bei Díaz bin ich trotzdem ein bisschen überrascht, da die Schweiz mit Rechtsschützen nicht grad gesegnet ist und auch Untersander fehlt.
Bin gespannt, wer von Übersee kommen kann und auf das WM Line-Up.