Die Debatte über die so genannte Selbstbestimmungs-Initiative plätscherte lange vor sich hin. Es fehlte das emotionale Moment, das die SVP mit Initiativen zu Ausländern oder Asylpolitik zu mobilisieren vermag. Knapp drei Wochen vor der Abstimmung aber legt sie an Intensität zu. Das führt bei den Gegnern zu Nervosität und trotz guter Umfragewerte zur Furcht vor einem Ja.
Diesen Eindruck erwecken ein Artikel in der NZZ vom letzten Samstag und ein weiterer in der «NZZ am Sonntag» tags darauf. Auch «Blick»-Chefredaktor Christian Dorer warnte am Samstag unter dem alarmistischen Titel «Aufwachen, bitte!», die Gegner der Initiative sollten «die Sprengkraft des Themas nicht unterschätzen». Was steckt hinter diesen Befürchtungen, die SBI könnte angenommen werden?
Da sind zum einen die bisherigen Umfragen von Tamedia und SRG. Dort haben die Gegner die Nase vorn, doch der Ja-Anteil bewegt sich zwischen 39 und 45 Prozent. Selbst erfahrene Politbeobachter empfinden deswegen ein Unbehagen, denn mit ihren «institutionellen» Initiativen wie der Volkswahl des Bundesrats ist die SVP in der Regel viel klarer gescheitert.
Allerdings sind die Werte relativ konstant. Ein Trend zum Ja wie 2014 bei der Masseneinwanderungs-Initiative ist nicht in Sicht. Die Zahl der Unentschlossenen ist zudem niedrig und bewegt sich im einstelligen Prozentbereich. Die Meinungen scheinen weitgehend gemacht. Martina Mousson vom Institut GFS Bern sagte der «NZZ am Sonntag» jedoch, das Aufholpotenzial sei rechts grösser.
Schwer tun sich die Gegner auch mit der zahmen Ja-Kampagne. Auf Plakaten und Flyern kommen die drei Buchstaben S, V und P oder das Sünneli nirgends vor. Sie ist nicht in den aggressiven Farben Schwarz, Weiss und Rot der üblichen SVP-Kampagnen gestaltet, sondern in bravem CVP-Orange. Und sie behauptet treuherzig, es gehe bei der Abstimmung «nicht um links oder rechts».
Gleichzeitig scheint es der SVP zu gelingen, die Abstimmung über die Selbstbestimmungs-Initiative zur Schicksalsfrage für die Schweiz und zum Votum über die direkte Demokratie hochzujubeln. Nicht ohne Erfolg, wie die Debatte in den sozialen Medien und die teilweise gehässigen Angriffe auf Initiativgegner wie Justizministerin Simonetta Sommaruga bei Podiumsdiskussionen zeigen.
Bei der Durchsetzungs-Initiative vor bald drei Jahren war es den Gegnern gelungen, die Debatte zu ihren Gunsten emotional aufzuladen. Nun dreht die SVP den Spiess um, was die Verunsicherung bei Operation Libero und Co. erklärt. Gleichzeitig spielt ihr eine aufgebauschte Diskussion über den UNO-Migrationspakt in die Hände, der im Dezember in Marokko unterzeichnet werden soll.
Der Pakt ist kein Meisterwerk. Er ist von einer naiven Vorstellung von Migration geprägt und enthält problematische Elemente. Ausserdem ignoriert er, wie toxisch das Thema in Europa im Gefolge der grossen Flüchtlingswelle von 2015 geworden ist. Allerdings ist der Migrationspakt kein völkerrechtlicher Vertrag. Er ist rechtlich nicht bindend, wird also von der SBI gar nicht erfasst.
Die Schweiz müsste nur in einem Punkt «nachbessern», beim Verbot der Ausschaffung von Minderjährigen über 15 Jahren. Trotzdem machen neben der SVP auch Mitte-Politiker gegen den Pakt mobil. Der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann will eine Volksabstimmung ermöglichen. Der «Blick»-Chef fordert den Bundesrat «dringend» auf, den Pakt nicht zu unterzeichnen.
Damit aber würde er faktisch vor der SVP einknicken, einen idealeren Steilpass könnte sie sich nicht wünschen. Die Gegner der SBI tun deshalb gut daran, den Ball beim Migrationspakt flach zu halten. Aussenminister Ignazio Cassis gab im Interview mit den Tamedia-Zeitungen die Richtung vor: Es wäre für die Schweiz «keine Katastrophe», den Pakt später zu unterzeichnen.
Statt auf abwegige Migrationsdebatten sollte sich das Nein-Lager darauf konzentrieren, im Endspurt des Abstimmungskampfes einen Zacken zuzulegen. Das ist auch der Fall: In den nächsten Tagen sollen mehr als zwei Millionen Abstimmungszeitungen verteilt werden. Mehr als 150 Hochschul-Dozenten warnen in einer Stellungnahme vor einer Annahme der Initiative.
Engagieren will sich auch der Milliardär und Philanthrop Hansjörg Wyss. Er sei «100 Prozent» gegen die SBI und werde «Geld spenden, um Plakate dagegen zu finanzieren», sagte er der «Schweiz am Wochenende». Die vom Politikberater Mark Balsiger initiierte Bewegung Courage Civil will in der Schlussphase den Kampf gegen die SBI verstärken.
Eine eigene Kampagne «Achtung Jobkiller» starten die Jungfreisinnigen. Mit mehr oder weniger originellen Videos und Plakaten verweisen sie auf einen Aspekt, der neben der Menschenrechtsfrage manchmal zu kurz kommt: Die Initiative der SVP gefährde zahlreiche internationale Verträge und damit den Wirtschaftsstandort und die Arbeitsplätze in der Schweiz.
Die Voraussetzungen für ein Nein sind absolut intakt. Wenn man jedoch weiterhin auf dem Popanz namens UNO-Migrationspakt herumreitet und sich von der Softie-Kampagne einschüchtern lässt, muss man sich nicht wundern, wenn es doch knapp werden sollte.