International
Interview

Ex-US-Botschafterin Suzi LeVine zu US-Strafzöllen der Schweiz

«Trump blufft nicht» – Ex-US-Botschafterin Suzi LeVine zu US-Strafzöllen der Schweiz

Die frühere US-Diplomatin in der Schweiz hält ein baldiges Ende der amerikanischen Strafzölle für unwahrscheinlich. Im Interview spricht sie über mögliche Anführer der Demokraten und Trumps grössten Traum.
31.10.2025, 09:5231.10.2025, 09:52
Natasha Hähni / ch media

Es ist ein kurzer Besuch in der alten Heimat. Nur knapp drei Tage ist Suzi LeVine in der Schweiz, um an einer Podiumsdiskussion an der Universität Lausanne teilzunehmen. Vor dem Anlass hat die frühere US-Botschafterin aber noch eine persönliche Mission: ein Gelato von der Gelateria di Berna.

Suzi LeVine war zu Gast an der Universität Lausanne.
Suzi LeVine war zu Gast an der Universität Lausanne.Bild: Unil

Dass Ende Oktober längst kein Glace-Wetter mehr ist, stört sie nicht. Mit blauer Kappe, bestickt mit der Schweizer und der US-Flagge, und einem Becher Himbeer- und Nussgelato in der Hand setzt sie sich auf ein Bänkli.

Im Gespräch mit CH Media erzählt sie, was sie der Schweiz in Bezug auf die hohen Zölle raten würde, was sie von der neuen Botschafterin hält und bei welchen Ideen von führenden Demokraten sie skeptisch ist.

Seit August erheben die USA 39 Prozent Strafzölle auf die meisten Schweizer Exporte. Jegliche Versuche, diese wieder zu senken, sind bisher gescheitert. Was müsste passieren, damit die Schweiz ein Handelsabkommen mit den USA bekommt?
Suzi LeVine: Ich würde der Schweiz raten, ihren moralischen Kompass zu behalten: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit. Sie könnte ihre Stärken – etwa die Berufsausbildung – als Zeichen des Vertrauens in die USA nutzen. Ausserdem sollte sie ihre Wirtschaftsbeziehungen diversifizieren und auf subnationale Partnerschaften setzen – also Kantone mit US-Bundesstaaten verbinden, wirtschaftlich und kulturell. So etwas könnte zurzeit tragfähiger sein als nationale Abkommen.

Sie glauben also nicht daran, dass die USA die Zölle bald senken werden?
Es müsste schon etwas Dramatisches passieren. Aber: Mit dem World Economic Forum (WEF) in Davos hat die Schweiz eine Bühne – und Trump liebt Bühnen. Vielleicht lässt sich das nutzen. Zudem liebt er Gold. Die Schweiz ist der grösste Goldverarbeiter der Welt. Vielleicht bietet das Chancen, kreativ zu verhandeln, ohne die eigenen Werte zu verraten.

Was würden Sie als Botschafterin tun?
Wenn ich US-Botschafterin in der Schweiz wäre, wären wir gar nicht in dieser Lage. Weil ich keinen verrückten Präsidenten hätte, der 39 Prozent Zölle verhängt.

Inwiefern kann die neue US-Botschafterin, Callista Gingrich, dabei helfen, die Beziehung zwischen den beiden Ländern zu verbessern?
Als US-Botschafterin in der Schweiz und in Liechtenstein zu dienen, ist wie ein Staffellauf, bei dem man hofft, den Stab reibungslos zu übernehmen und ebenso reibungslos weiterzugeben. Angesichts ihres Chefs vermute ich, dass es viele Themen gibt, bei denen sie und ich unterschiedlicher Meinung sind. Aber da sie Schweizer Wurzeln hat und sich sichtlich über ihre Aufgabe hier freut, gibt es wahrscheinlich auch einige Bereiche, in denen wir übereinstimmen. Ich hoffe, dass sie – so wie Botschafter Edward McMullen im Jahr 2017 meine Bemühungen fortgeführt hat, das Schweizer Lehrlingssystem in den USA zu fördern und Investitionen in den Vereinigten Staaten auszubauen – den grossen Wert dieser beiden Themen für das amerikanische Volk und für unsere bilaterale Beziehung erkennt. Im Kern liegt mir vor allem die Beziehung am Herzen, und ich hoffe, dass es zumindest einige Bereiche gibt, die unter ihrer Verantwortung weiterwachsen und gedeihen.

Sie waren unter Barack Obama Botschafterin in der Schweiz. Ihr alter Chef hat sich nun in den vergangenen Wochen wieder zurückgemeldet. Er unterstützt Demokraten und Gesetzesänderungen. Wie wichtig ist Obama für die Demokraten?

Suzi LeVine war unter US-Präsident Barack Obama Botschafterin in der Schweiz.
Suzi LeVine war unter US-Präsident Barack Obama Botschafterin in der Schweiz.Bild: Keystone

Er ist Teil des Chors. Es war die Ehre meines Lebens, für ihn zu arbeiten. Er hilft jetzt, bei wichtigen Wahlen – etwa in Virginia, New Jersey, Pennsylvania oder Kalifornien – die Demokraten zu unterstützen. Gerade Virginia ist entscheidend: ein «Purple State» mit vielen Bundesangestellten, die unter dem Shutdown leiden. Ein demokratischer Sieg dort würde zeigen: Wer blind zu Trump hält, ist politisch gefährdet. Und es würde qualifizierte Demokraten ermutigen, selbst zu kandidieren, beispielsweise bei den wichtigen Zwischenwahlen im kommenden Jahr.

Donald Trump witzelt immer wieder damit, im Jahr 2028 für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Ist das reines Geschwätz?
Ja und nein. Trump blufft nicht. Er will bis zu seinem Tod Präsident bleiben, – auf sauberen weissen Laken, weil er Angst vor Keimen hat – mit einer Friedensnobelpreis-Medaille auf der Brust. Aber drei Dinge, die er ist und die er tut, sprechen dagegen: Er handelt rechtswidrig, ist unmoralisch und inkompetent. Wenn alle von ihm unterzeichneten Dekrete umgesetzt würden, gäbe es kein Recht auf eine Staatsbürgerschaft für jedes in den USA geborene Baby mehr, keine legale Einwanderung. Er ist ein Betrüger. Die Verfassung verbietet eine dritte Amtszeit. Oft testet er einfach die Grenzen. Er sagt etwas, um zu sehen, ob Widerstand kommt, und gewöhnt die Menschen langsam an Ungeheuerliches.

Zum Beispiel?
Zum Beispiel, wenn er ICE und Nationalgarde in Städte schickt, «um Ordnung zu schaffen». Das ist psychologische Vorbereitung. Er will uns an bewaffnete Soldaten in den Strassen gewöhnen, damit das später normal wirkt. Wir dürfen das nicht akzeptieren. Wir müssen seine Worte ernst nehmen und gleichzeitig dagegenhalten, juristisch und politisch.

Einer der lautesten Widersacher des US-Präsidenten ist Gavin Newsom. Der kalifornische Gouverneur gilt als potenzieller Präsidentschaftskandidat 2028. In den letzten Monaten hat er sich mit Gesetzen und Klagen Trump entgegengesetzt. Mit Social-Media-Posts macht er sich regelmässig über den Republikaner lustig gemacht. Ist das der Weg, um Donald Trump beizukommen?
Sein Stil funktioniert – für das, was er erreichen will.

Und das ist?
Trump zu provozieren. Das macht er hervorragend. Er bekommt viel Aufmerksamkeit und zeigt, dass man Respekt erlangt, wenn man sich Trump entgegenstellt, dass man sich nicht einschüchtern lassen darf. Er ist im Moment eine sehr wichtige Stimme – aber lange nicht die einzige. Der ehemalige Verkehrsminister Pete Buttigieg sucht beispielsweise gezielt den Kontakt zu konservativen Menschen in ländlichen Gebieten. Die eindrucksvollsten Stimmen waren aber die 7 Millionen Menschen, die am 18. Oktober im gesamten Land an «No Kings»-Demonstrationen teilgenommen haben. Diese kollektive Stimme ist im Moment die wichtigste.

Sehen Sie zurzeit einen klaren Anführer der Demokraten?
Ich habe kürzlich mit dem Historiker Timothy Snyder gesprochen. Er sagte in einer Fragerunde auf genau diese Frage: «Wir dürfen nicht auf einen Retter warten. Es liegt an uns allen.» Und er hat recht. Jeder Einzelne muss auf seine eigene Weise Verantwortung übernehmen.

Aktuell scheint es den Demokraten vor allem darum zu gehen, Trump zu bekämpfen. Eine eigene, überzeugende Botschaft fehlt.
Ja, wir haben viele gute Einzelpolitiken, aber keinen übergreifenden Rahmen. Die Demokraten müssen verstehen: Trump ist ein Symptom, nicht die Ursache. Viele Menschen fühlen sich abgehängt, haben Zukunftsängste, sehen keine Chancen für ihre Kinder.

Alles berechtigte Sorgen.
Genau. Die Frage ist deshalb nicht, wie wir den Status quo verteidigen, sondern wie wir die Systeme reformieren, die versagt haben. Wir brauchen neue Systeme. Unser Altersvorsorgesystem stammt aus dem Jahr 1935. Es ist nicht mehr auf unsere Bedürfnisse ausgerichtet. Trump hat vieles zerstört, aber das ist auch eine Chance: Wir können etwas Besseres schaffen – auch für unsere Demokratie.

Bernie Sanders, Zohran Mamdani und Alexandria Ocasio-Cortez bei einer Wahlkampfveranstaltung für Mamdani.
Bernie Sanders, Zohran Mamdani und Alexandria Ocasio-Cortez bei einer Wahlkampfveranstaltung für Mamdani.Bild: AP

Diejenigen Demokraten, die ähnliche Ideen vorantreiben, werden oft als linksextrem bezeichnet: Alexandria Ocasio-Cortez, Bernie Sanders – und Zohran Mamdani. Der 34-Jährige wird am 4. November wahrscheinlich zum nächsten Stadtpräsidenten New Yorks gewählt. Brauchen die Demokraten Politiker wie ihn?
Politische Innovation ist wichtig. Städte und Bundesstaaten sind Labore der Demokratie. Manche Ideen werden funktionieren, andere nicht. Wir brauchen mehr Mut, Neues auszuprobieren und die Freiheit, auch mal zu scheitern und daraus zu lernen.

Sie deuten an, dass Mamdani nicht alle Ideen verwirklich kann. Wo droht er zu scheitern?
Er muss die wirtschaftliche Machbarkeit seiner Pläne prüfen. Hohe Steuern funktionieren nur, wenn die Leute bleiben – nicht, wenn sie abwandern. Wichtig ist, dass Menschen sich als Investoren in ihrer Gemeinschaft sehen. In der Schweiz zum Beispiel bleiben viele Steuern lokal. Man sieht direkt, wofür sie verwendet werden: funktionierender öffentlicher Verkehr, sauberes Trinkwasser, gute Infrastruktur. Das schafft Vertrauen. In den USA hingegen ist das Vertrauen in die Regierung stark gesunken. Teils wegen zu wenig Finanzierung, teils wegen zu viel Bürokratie. Wir müssen den Fokus wieder auf Ergebnisse legen – nicht auf Ideologien. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Kühe sind sehr soziale Tiere. Gegenseitiges Lecken stärkt die Beziehung und wirkt beruhigend.
1 / 5
Kühe sind sehr soziale Tiere. Gegenseitiges Lecken stärkt die Beziehung und wirkt beruhigend.
quelle: four paws
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Trump wirkt während Japan-Besuch sichtlich verloren
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
48 Kommentare
Dein Kommentar
YouTube Link
0 / 600
Hier gehts zu den Kommentarregeln.
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Oigen aka Trudi aka Kevin
31.10.2025 10:04registriert August 2018
"Was würden Sie als Botschafterin tun?
Wenn ich US-Botschafterin in der Schweiz wäre, wären wir gar nicht in dieser Lage. Weil ich keinen verrückten Präsidenten hätte, der 39 Prozent Zölle verhängt."

Beste Antwort einer US Diplomatin ever...
1395
Melden
Zum Kommentar
avatar
Chalbsbratwurst
31.10.2025 09:59registriert Juli 2020
Warum verhängen wir nicht ein Einreiseverbot für Trump solange die Zölle nicht auf 10% gesenkt werden.
Wenn Trump ans WEF will soll er entweder die Zölle senken oder zuhause bleiben.
10811
Melden
Zum Kommentar
avatar
bcZcity
31.10.2025 10:07registriert November 2016
Nein bluffen tut er nicht. Aber das tun auch Kleinkinder nicht wenn sie wütend sind. Und mehr ist der mit goldenem Löffel geborene „daddy-money-millionaire“ leider nicht. Man muss nur den passenden Schnuller finden.
954
Melden
Zum Kommentar
48
Trump-Umfeld zieht sich auf Militärbasen zurück
Führende Republikaner in den USA ziehen sich zunehmend aus einem privaten Wohnumfeld auf Militärbasen zurück. Das meldete das Magazin «The Atlantic».
Zur Story