«Trump blufft nicht» – Ex-US-Botschafterin Suzi LeVine zu US-Strafzöllen der Schweiz
Es ist ein kurzer Besuch in der alten Heimat. Nur knapp drei Tage ist Suzi LeVine in der Schweiz, um an einer Podiumsdiskussion an der Universität Lausanne teilzunehmen. Vor dem Anlass hat die frühere US-Botschafterin aber noch eine persönliche Mission: ein Gelato von der Gelateria di Berna.
Dass Ende Oktober längst kein Glace-Wetter mehr ist, stört sie nicht. Mit blauer Kappe, bestickt mit der Schweizer und der US-Flagge, und einem Becher Himbeer- und Nussgelato in der Hand setzt sie sich auf ein Bänkli.
Im Gespräch mit CH Media erzählt sie, was sie der Schweiz in Bezug auf die hohen Zölle raten würde, was sie von der neuen Botschafterin hält und bei welchen Ideen von führenden Demokraten sie skeptisch ist.
Seit August erheben die USA 39 Prozent Strafzölle auf die meisten Schweizer Exporte. Jegliche Versuche, diese wieder zu senken, sind bisher gescheitert. Was müsste passieren, damit die Schweiz ein Handelsabkommen mit den USA bekommt?
Suzi LeVine: Ich würde der Schweiz raten, ihren moralischen Kompass zu behalten: Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit. Sie könnte ihre Stärken – etwa die Berufsausbildung – als Zeichen des Vertrauens in die USA nutzen. Ausserdem sollte sie ihre Wirtschaftsbeziehungen diversifizieren und auf subnationale Partnerschaften setzen – also Kantone mit US-Bundesstaaten verbinden, wirtschaftlich und kulturell. So etwas könnte zurzeit tragfähiger sein als nationale Abkommen.
Sie glauben also nicht daran, dass die USA die Zölle bald senken werden?
Es müsste schon etwas Dramatisches passieren. Aber: Mit dem World Economic Forum (WEF) in Davos hat die Schweiz eine Bühne – und Trump liebt Bühnen. Vielleicht lässt sich das nutzen. Zudem liebt er Gold. Die Schweiz ist der grösste Goldverarbeiter der Welt. Vielleicht bietet das Chancen, kreativ zu verhandeln, ohne die eigenen Werte zu verraten.
Was würden Sie als Botschafterin tun?
Wenn ich US-Botschafterin in der Schweiz wäre, wären wir gar nicht in dieser Lage. Weil ich keinen verrückten Präsidenten hätte, der 39 Prozent Zölle verhängt.
Inwiefern kann die neue US-Botschafterin, Callista Gingrich, dabei helfen, die Beziehung zwischen den beiden Ländern zu verbessern?
Als US-Botschafterin in der Schweiz und in Liechtenstein zu dienen, ist wie ein Staffellauf, bei dem man hofft, den Stab reibungslos zu übernehmen und ebenso reibungslos weiterzugeben. Angesichts ihres Chefs vermute ich, dass es viele Themen gibt, bei denen sie und ich unterschiedlicher Meinung sind. Aber da sie Schweizer Wurzeln hat und sich sichtlich über ihre Aufgabe hier freut, gibt es wahrscheinlich auch einige Bereiche, in denen wir übereinstimmen. Ich hoffe, dass sie – so wie Botschafter Edward McMullen im Jahr 2017 meine Bemühungen fortgeführt hat, das Schweizer Lehrlingssystem in den USA zu fördern und Investitionen in den Vereinigten Staaten auszubauen – den grossen Wert dieser beiden Themen für das amerikanische Volk und für unsere bilaterale Beziehung erkennt. Im Kern liegt mir vor allem die Beziehung am Herzen, und ich hoffe, dass es zumindest einige Bereiche gibt, die unter ihrer Verantwortung weiterwachsen und gedeihen.
Sie waren unter Barack Obama Botschafterin in der Schweiz. Ihr alter Chef hat sich nun in den vergangenen Wochen wieder zurückgemeldet. Er unterstützt Demokraten und Gesetzesänderungen. Wie wichtig ist Obama für die Demokraten?
Er ist Teil des Chors. Es war die Ehre meines Lebens, für ihn zu arbeiten. Er hilft jetzt, bei wichtigen Wahlen – etwa in Virginia, New Jersey, Pennsylvania oder Kalifornien – die Demokraten zu unterstützen. Gerade Virginia ist entscheidend: ein «Purple State» mit vielen Bundesangestellten, die unter dem Shutdown leiden. Ein demokratischer Sieg dort würde zeigen: Wer blind zu Trump hält, ist politisch gefährdet. Und es würde qualifizierte Demokraten ermutigen, selbst zu kandidieren, beispielsweise bei den wichtigen Zwischenwahlen im kommenden Jahr.
Donald Trump witzelt immer wieder damit, im Jahr 2028 für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Ist das reines Geschwätz?
Ja und nein. Trump blufft nicht. Er will bis zu seinem Tod Präsident bleiben, – auf sauberen weissen Laken, weil er Angst vor Keimen hat – mit einer Friedensnobelpreis-Medaille auf der Brust. Aber drei Dinge, die er ist und die er tut, sprechen dagegen: Er handelt rechtswidrig, ist unmoralisch und inkompetent. Wenn alle von ihm unterzeichneten Dekrete umgesetzt würden, gäbe es kein Recht auf eine Staatsbürgerschaft für jedes in den USA geborene Baby mehr, keine legale Einwanderung. Er ist ein Betrüger. Die Verfassung verbietet eine dritte Amtszeit. Oft testet er einfach die Grenzen. Er sagt etwas, um zu sehen, ob Widerstand kommt, und gewöhnt die Menschen langsam an Ungeheuerliches.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel, wenn er ICE und Nationalgarde in Städte schickt, «um Ordnung zu schaffen». Das ist psychologische Vorbereitung. Er will uns an bewaffnete Soldaten in den Strassen gewöhnen, damit das später normal wirkt. Wir dürfen das nicht akzeptieren. Wir müssen seine Worte ernst nehmen und gleichzeitig dagegenhalten, juristisch und politisch.
Einer der lautesten Widersacher des US-Präsidenten ist Gavin Newsom. Der kalifornische Gouverneur gilt als potenzieller Präsidentschaftskandidat 2028. In den letzten Monaten hat er sich mit Gesetzen und Klagen Trump entgegengesetzt. Mit Social-Media-Posts macht er sich regelmässig über den Republikaner lustig gemacht. Ist das der Weg, um Donald Trump beizukommen?
Sein Stil funktioniert – für das, was er erreichen will.
Und das ist?
Trump zu provozieren. Das macht er hervorragend. Er bekommt viel Aufmerksamkeit und zeigt, dass man Respekt erlangt, wenn man sich Trump entgegenstellt, dass man sich nicht einschüchtern lassen darf. Er ist im Moment eine sehr wichtige Stimme – aber lange nicht die einzige. Der ehemalige Verkehrsminister Pete Buttigieg sucht beispielsweise gezielt den Kontakt zu konservativen Menschen in ländlichen Gebieten. Die eindrucksvollsten Stimmen waren aber die 7 Millionen Menschen, die am 18. Oktober im gesamten Land an «No Kings»-Demonstrationen teilgenommen haben. Diese kollektive Stimme ist im Moment die wichtigste.
Sehen Sie zurzeit einen klaren Anführer der Demokraten?
Ich habe kürzlich mit dem Historiker Timothy Snyder gesprochen. Er sagte in einer Fragerunde auf genau diese Frage: «Wir dürfen nicht auf einen Retter warten. Es liegt an uns allen.» Und er hat recht. Jeder Einzelne muss auf seine eigene Weise Verantwortung übernehmen.
Aktuell scheint es den Demokraten vor allem darum zu gehen, Trump zu bekämpfen. Eine eigene, überzeugende Botschaft fehlt.
Ja, wir haben viele gute Einzelpolitiken, aber keinen übergreifenden Rahmen. Die Demokraten müssen verstehen: Trump ist ein Symptom, nicht die Ursache. Viele Menschen fühlen sich abgehängt, haben Zukunftsängste, sehen keine Chancen für ihre Kinder.
Alles berechtigte Sorgen.
Genau. Die Frage ist deshalb nicht, wie wir den Status quo verteidigen, sondern wie wir die Systeme reformieren, die versagt haben. Wir brauchen neue Systeme. Unser Altersvorsorgesystem stammt aus dem Jahr 1935. Es ist nicht mehr auf unsere Bedürfnisse ausgerichtet. Trump hat vieles zerstört, aber das ist auch eine Chance: Wir können etwas Besseres schaffen – auch für unsere Demokratie.
Diejenigen Demokraten, die ähnliche Ideen vorantreiben, werden oft als linksextrem bezeichnet: Alexandria Ocasio-Cortez, Bernie Sanders – und Zohran Mamdani. Der 34-Jährige wird am 4. November wahrscheinlich zum nächsten Stadtpräsidenten New Yorks gewählt. Brauchen die Demokraten Politiker wie ihn?
Politische Innovation ist wichtig. Städte und Bundesstaaten sind Labore der Demokratie. Manche Ideen werden funktionieren, andere nicht. Wir brauchen mehr Mut, Neues auszuprobieren und die Freiheit, auch mal zu scheitern und daraus zu lernen.
Sie deuten an, dass Mamdani nicht alle Ideen verwirklich kann. Wo droht er zu scheitern?
Er muss die wirtschaftliche Machbarkeit seiner Pläne prüfen. Hohe Steuern funktionieren nur, wenn die Leute bleiben – nicht, wenn sie abwandern. Wichtig ist, dass Menschen sich als Investoren in ihrer Gemeinschaft sehen. In der Schweiz zum Beispiel bleiben viele Steuern lokal. Man sieht direkt, wofür sie verwendet werden: funktionierender öffentlicher Verkehr, sauberes Trinkwasser, gute Infrastruktur. Das schafft Vertrauen. In den USA hingegen ist das Vertrauen in die Regierung stark gesunken. Teils wegen zu wenig Finanzierung, teils wegen zu viel Bürokratie. Wir müssen den Fokus wieder auf Ergebnisse legen – nicht auf Ideologien. (aargauerzeitung.ch)
