Die britische Premierministerin Theresa May hat mit ihrem Auftritt bei den Brexit-Beratungen für Kritik im Kreis ihrer Kollegen gesorgt. Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel beklagte nach Abschluss der Beratungen am Donnerstagabend, May habe ihre Erwartungen an die EU nicht konkret genug formuliert. «Wir müssen auch mal wissen, was genau London will», sagte Bettel. «Wir sind heute nicht viel weitergekommen.»
Bettel warnte die britische Premierministerin davor, die Geduld der EU-Partner durch eine Hinhaltetaktik überzustrapazieren. «Wir werden nicht Gipfel auf Gipfel auf Gipfel machen», sagte er. «Wir müssen jetzt wissen, was London will, und dann werden wir entscheiden.»
Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte die britische Regierung auf, in den kommenden Wochen zu klären, was genau sie von Brüssel erwarte. «Unsere britischen Freunde müssen uns sagen, was sie wollen, anstatt uns zu fragen, was wir wollen», sagte er. «Ich brauche Klarstellungen.» Die Diskussion sei «mitunter nebulös und unpräzise». Es gehe nicht an, dass Grossbritannien erwarte, dass die EU «die Lösungen liefert».
Noch deutlicher wurde die Kritik in EU-Kreisen formuliert. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel habe die Premierministerin während des Vortrags mehrfach unterbrochen und zur Präzisierung ihrer Haltung aufgefordert, hiess es. Die Stimmung sei «sehr schlecht» gewesen. Die EU-Chefs hätten der Premierministerin einige Wochen Zeit gegeben, um darzulegen, «was die Briten wollen».
Trotz der Kritik hat die EU Grossbritannien neue Zusicherungen gemacht, um die Brexit-Blockade im Londoner Parlament aufzubrechen. Premierministerin Theresa May beteuerte in Brüssel ihre Zuversicht, dass der EU-Austrittsvertrag im Unterhaus noch eine Mehrheit finden werde.
In einer Erklärung beim Brüsseler Gipfel erklärten die 27 bleibenden EU-Länder am späten Donnerstagabend, dass es zu dem Abkommen zwar keine «Neuverhandlungen» geben könne. Die EU sei aber «fest entschlossen», mit London schnell Verhandlungen über eine Vereinbarung aufzunehmen, um eine in Grossbritannien umstrittene Auffanglösung für die irische Grenze zu verhindern.
Sollte der sogenannte Backstop dennoch gebraucht werden, «würde er nur befristet angewandt, bis er durch eine Folgelösung ersetzt würde, die sicherstellt, dass eine harte Grenze vermieden wird», heisst es in dem Beschluss. In diesem Fall würde die EU alle Kräfte einsetzen, um ein Folgeabkommen schnell zu verhandeln und abzuschliessen. Dasselbe würde man von Grossbritannien erwarten, «so dass der Backstop nur so lange wie irgend nötig in Kraft wäre.»
Damit versucht die EU britische Sorgen zu entkräften, dass der Backstop zur Dauerlösung würde. Strikte Brexit-Befürworter fürchten, dass Grossbritannien damit auf Dauer eng an die EU gebunden bliebe und keine eigenen Handelsverträge abschliessen könnte.
Unter anderem deshalb zeichnet sich im britischen Unterhaus keine Mehrheit für das Austrittsabkommen ab. May hatte diese Woche die Abstimmung des Parlaments über den mit der EU vereinbarten Vertrag abgesagt, weil keine Mehrheit dafür in Sicht war.
Grossbritannien will die EU am 29. März 2019 verlassen. May appellierte an ihre EU-Kollegen, «diesen Deal über die Ziellinie zu bekommen». Dafür sei es nötig, den Eindruck zu zerstreuen, dass der Backstop eine «Falle sein könnte, aus der Grossbritannien nicht entfliehen könnte», sagte May nach Angaben von Diplomaten in der Sitzung. Niemand sollte riskieren, dass Grossbritannien «aus Versehen» ohne Vertrag aus der EU ausscheide – mit allen negativen Folgen.
Weil dies nicht ausgeschlossen ist, kündigte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker an, dass die EU-Kommission am kommenden Mittwoch die Vorbereitungen für ein No-Deal-Szenario präsentieren werde. (sda/afp/dpa)