Die
Swisscom sorgte letzte Woche mit der Ankündigung für Aufsehen,
schon dieses Jahr punktuell mit 5G zu starten. Was halten Sie davon?
Manuel
Murbach: Ein Zusammenhang mit der Abstimmung im Ständerat ist
sehr wahrscheinlich. Die Swisscom betreibt ein starkes Lobbying. Sie
warnt, dass die Schweiz bei der 5G-Technologie den Anschluss
verpasse, wenn die Strahlengrenzwerte nicht angehoben werden. Der
Druck auf die Ständeräte ist sehr gross. Sie werden von
verschiedener Seite bearbeitet, auch von besorgten Bürgern.
Sie
haben diese Woche selber in Bern lobbyiert. Wie war das Feedback?
Ich
konnte mit einigen Ständeräten sprechen. Sie waren über die
Emotionalität des Themas erstaunt. Gleichzeitig ist es schwierig für
sie, sich eine Meinung zu bilden. Das Gebiet ist komplex, man sieht
die Strahlung nicht. Darum sind sie überfordert. Es wäre
opportunistisch, etablierte Grenzwerte für kurzfristiges
Gewinnstreben über den Haufen zu werfen.
Sehen
Sie darin das eigentliche Motiv der Swisscom?
Für
die Swisscom ist es am einfachsten, wenn sie die bestehenden Antennenstandorte ohne grossen Aufwand stärker nutzen kann. Das Argument, sie wolle
die Bevölkerung möglichst schnell mit 5G versorgen, ist nicht
nachhaltig. In einigen Jahren wird sie trotzdem kleinere Antennen
bauen müssen, weil die Datenmenge laufend zunimmt.
Man
könnte die Grenzwerte trotzdem erhöhen. Warum sind Sie dagegen?
Strenge
Umweltgesetze fördern die Innovation. Wenn wir die Grenzwerte auf
dem heutigen Stand belassen, werden wir schnell mehr kleine
Zugangspunkte haben, die das Netz besser machen.
Das
müssen Sie genauer erklären.
Der
Kommunikationskanal Luft ist begrenzt. Man kann nicht unendlich viele
Daten übertragen. Um den mit 5G weiter ansteigenden Datenstrom zu
bewältigen, ist ein kleinzelliges Netz unerlässlich. Man kann nicht
mit einer Antenne ganz Zürich abdecken. Kleine Netze sind
zukunftsorientiert, das kann auch die Swisscom nicht abstreiten. Sie
wird schon in wenigen Jahren in diese Richtung gehen müssen. Warum
also nicht jetzt schon in ein solches Netz investieren? Es wäre viel
zukunftsträchtiger, statt jetzt die Grenzwerte anzuheben und die
Investitionen hinauszuschieben.
Für
ein solches Kleinstzellennetz ist eine Glasfaser-Infrastruktur
notwendig. Das wäre ein grosser Aufwand.
In
den Städten ist sie vorhanden. Für ländliche Gebiete wäre
Richtfunk eine Alternative. Ich denke nicht, dass man viel Neues
bauen muss.
Gibt
es konkrete Umsetzungen in der Praxis?
Die
Swisscom hat kleine Basisstationen für das 4G-Netz an der Zürcher
Bahnhofstrasse eingerichtet. Sie haben die Form von Dolendeckeln.
Anderes ist mehr im Versuchsstadium, etwa das Femtozellen-Prinzip,
das auf ganz kleine Sende- und Empfangsstationen setzt. In Belgien wurde es in der Eisenbahn getestet. In einem Waggon
befinden sich Femtozellen, die mit einer 3G-Antenne auf dem Dach
verbunden sind. Die Reisenden kommunizieren aber nur mit dem kleinen
Access Point. Das senkt die Gesamtbelastung im Wagen um mehr als den Faktor
1000.
Das
Bundesamt für Kommunikation (Bakom) fürchtet eine Einsprachenflut,
wenn Tausende neuer Anlagen gebaut werden müssen.
Bei
Kleinstantennen ist dies meines Wissens nicht möglich. Ich verstehe
die Haltung des Bakom nicht. Es übernimmt die Argumentation der
Swisscom. Dabei hält auch das Bundesamt für Umwelt eine Anhebung
der Strahlengrenzwerte für nicht nachhaltig.
Wie
steht es um die gesundheitlichen Bedenken?
Wenige
grosse Antennen generieren mehr Strahlung als viele kleine Anlagen.
Das betrifft auch die Strahlung, die vom eigenen Mobiltelefon
ausgeht. Wenn eine Antenne drei Kilometer entfernt ist, strahlt das
Handy stärker, als wenn sich die Basisstation direkt vor dem Haus
befindet. Die Herausforderung wird sein, dies der Bevölkerung zu
kommunizieren.
Viele
werden beim Gedanken an eine solche Station vor ihrem Haus
reflexartig sagen: Nein danke!
Dabei
macht die Strahlung einer solchen Basisstation nur etwa fünf Prozent
der Strahlung aus, die von den Geräten ausgeht. Darum ist die Nähe
so wichtig, dann müssen Handys und Tablets nur ganz schwach senden.
Wer zu Hause einen WLAN-Router einrichtet, macht sich in den meisten
Fällen auch wenig Sorgen. Ein Zukunftsszenario ist der Ersatz von
WLAN- durch 5G-Router. Das wäre von der Strahlung her die beste
Lösung, sie wäre dann sehr klein.
Sie
erforschen die Auswirkungen von Mobilfunkstrahlen. Wie beurteilen Sie
das Risiko?
Risiko
ist ein relativer Begriff. Das grösste Gesundheitsrisiko bei der
Mobiltelefonie ist die Nutzung des Handys beim Autofahren. Milliarden
von Menschen benutzen seit Jahren Mobiltelefone. Wenn die
Auswirkungen massiv wären, würden die Krebsraten durch die Decke
gehen. Das ist nicht der Fall. Aber die Technologie wandelt sich. 5G
hat eine andere Modulation als 4G. Man weiss nicht, welche Risiken
damit verbunden sind. Man weiss nicht einmal, wie das 5G-Signal genau
aussieht.
Das
wird die «elektrosensiblen» Menschen kaum beruhigen.
Ich
verstehe sie, wir arbeiten mit den Ärztinnen und Ärzten für
Umweltschutz zusammen. Trotzdem glaube ich nicht, dass die Strahlung kurzfristige gesundheitliche Folgen hat. Solche Beschwerden gehen in
Richtung Psychosomatik. Ich habe selber entsprechende Erfahrungen
gemacht. Es gibt keine einzige Studie, die auf kurzfristig wahrnehmbare Auswirkungen hindeutet. Bei langfristigen Folgen ist das anders, das
bereitet mir auch Sorgen. Darum ist es nicht angebracht, die
Grenzwerte anzuheben.
Können
Sie das erläutern?
Die
bislang grösste Studie an Mäusen in den USA, die über einen
Zeitraum von zehn Jahren durchgeführt wurde, hat einen Zusammenhang
zwischen Mobilfunkstrahlung und einem grösseren Krebsrisiko ergeben.
Er ist nicht sehr gross, aber vorhanden. Deshalb kann man keine
Entwarnung geben. Auch Studien in Deutschland und Schweden sind zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen. Im Sinne des Vorsorgeprinzips ist die Erhöhung
der Grenzwerte deshalb nicht angebracht.
Viele
Leute nutzen das Handy kaum noch zum Telefonieren. Fällt die
Strahlenbelastung trotzdem ins Gewicht?
Natürlich
steigt die Belastung, wenn man das Handy an den Kopf hält. Wenn man
streamt oder Videos hochlädt, was auf Social Media immer wichtiger
wird, ist die Datenmenge jedoch deutlich grösser als beim
Telefonieren. Das Handy befindet sich in solchen Fällen nicht direkt
am Kopf, aber in der Regel doch nahe am Körper