Hans M.*, 66 Jahre alt, sitzt mit seiner Jassgruppe im Zug nach Luzern. Ein langer Tag, an dem viel Alkohol geflossen ist, neigt sich dem Ende zu. Hans M. regt sich auf. Er trägt eine Gesichtsmaske, aber ein anderer Passagier ist maskenlos unterwegs. Hans M. macht diesen auf die Vorschriften aufmerksam. Doch der andere hört nicht auf ihn. Ein Wort gibt das andere. Die Männer gehen aufeinander los.
Erst im Bahnhof Luzern können die Streithähne von Passanten getrennt werden. Ein Zugbegleiter will wissen, was los sei. Da stösst Hans M. ihn mit beiden Händen gegen die Brust und stürzt sich wieder auf den Maskengegner. Die Polizei interveniert und legt den Senior in Handschellen.
Der andere Mann verzichtet auf eine Strafanzeige. Gewalt und Drohung gegen Beamte ist jedoch ein Offizialdelikt, muss also von Amtes wegen verfolgt werden. Geschieht die Tat im Bahnverkehr, ist die Bundesanwaltschaft zuständig. Sie verurteilt Hans M. per Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe.
Szenenwechsel in einen Intercity von Brig nach Bern. Mark P.*, ein 47-jähriger Walliser, sitzt im Speisewagen. Er trägt seine Gesichtsmaske unterhalb der Nase. Der Zugbegleiter tritt in den Wagen und bittet ihn, die Maske korrekt anzuziehen. Mark P. entgegnet, dass er dies wegen eines Ekzems an der Wange nicht tun könne.
Der Zugbegleiter beharrt auf seiner Aufforderung und sagt, die Vorgaben stammten nicht von ihm, sondern vom Staat, und er führe diese lediglich aus. Mark P. explodiert. Vor 80 Jahren habe es in Deutschland genau so begonnen. «Nazi!», schimpft er.
Die Bundesanwaltschaft verurteilt auch Mark P. per Strafbefehl, unter anderem wegen Beschimpfung und Verstosses gegen die Covid-Verordnung.
In einer internen Analyse der aktuellen Sicherheitslage schreiben die SBB an erster Stelle: «Aggressionen gegenüber dem Personal und Reisen ohne gültigen Fahrausweis steigen (jedoch nicht signifikant).»
Ein SBB-Sprecher sagt, wegen der Maskenpflicht komme es zu «diversen verbalen Drohungen» gegen das Personal. Die Übergriffe gegen SBB-Angestellte seien zudem gröber geworden. Im Durchschnitt sei das Personal alle zwei bis drei Tage von einer Tätlichkeit betroffen. Diese Zahl sei seit 2019 jedoch leicht abnehmend.
Detaillierte Zahlen nennen die SBB nicht. Im Gegensatz zu früher publizieren sie diese nicht mehr im Geschäftsbericht. Offizielle Begründung: Die SBB wollten «keinen Nachahmereffekt auslösen (analog Suizid)».
Das Bundesamt für Statistik hat auf Anfrage von CH Media eine spezielle Auswertung der Kriminalstatistik durchgeführt. Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin hat alle Strafanzeigen wegen Gewalt und Drohung gegen Beamten und Behörden herausgefiltert, die mit einem der folgenden Tatorte verknüpft waren: Bahnhöfe, Bahnareale, Haltestellen, Bahnverkehr, Bus- und Tramverkehr.
Die Zahlen zeigen, dass die Anzeigen in den vergangenen fünf Jahren stetig angestiegen sind (siehe Grafik). In den Zügen sind die Vorfälle, wie von den SBB angegeben, zuletzt leicht zurückgegangen. Weil die Übergriffe an den Bahnhöfen jedoch stark anstiegen, resultiert insgesamt eine Zunahme.
Die meisten Delikte finden an den Bahnhöfen statt, weil sich die Zugbegleiter bei einem Konflikt wenn möglich zurückziehen. Am Bahnhof nimmt dann die Polizei die Passagiere in Empfang. Manchmal kommt es erst dann zur Eskalation.
Jürg Hurni, Sekretär der Gewerkschaft des Verkehrspersonals, bedauert, dass die SBB die genauen Zahlen geheim halten: «Transparenz wäre wichtig.»
Die Gewerkschaft erhält vor allem aus zwei Regionen viele Meldungen: «Hotspots sind die Westschweiz und Zürich.» In der Westschweiz seien manchmal Banden in den Zügen unterwegs, die Personal und Reisende belästigten. In Zürcher S-Bahnen werde die Stimmung nachts gegenüber dem Personal manchmal aggressiv.
Als Problem sieht Hurni das neue Konzept der SBB, das keine konsequente Doppelbegleitung mehr vorsehe: «Wenn ein Zug aus zwei Kompositionen besteht, ist manchmal eine Zugbegleiterin im vorderen Teil und eine im hinteren.» In einer brenzligen Situation könnten sie sich dann nicht helfen: «Sie fühlen sich allein gelassen.»
Die SBB entgegnen, dank des neuen Konzepts sei die Einsatzplanung flexibler. Auf kritischen Strecken könne dadurch das Personal verstärkt werden.
*Namen geändert. (saw/ch media)
Tut mir leid, aber die sehe ich nirgends im Artikel.
Die SBB will nur sparen wo es geht und Gewinn rausholen. Sicherheit brauchts doch nicht mehr. Hat schon mit vermehrten Verspätungen begonnen. Bald haben wir Verhältnisse wie die Deutsche Bahn. Dann haben wir den Salat…