
Simonetta Sommaruga bei der Einweihung einer Solaranlage in Lignon (GE) im Februar 2021.Bild: keystone
Die Schweiz setzt auf Photovoltaik: Nie wurde mehr installiert als heute. Der Ukraine-Krieg verstärkt die Dringlichkeit, doch es gibt noch zu viele Hürden, um richtig durchzustarten.
31.03.2022, 05:5001.04.2022, 05:54

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Michael Frank ist bekannt dafür, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. «Die letzten zehn Jahre haben wir verpasst», sagte der Direktor des Verbands Schweizerischer Elektrizitätswerke (VSE) an der Nationalen Photovoltaik-Tagung in Bern. Der Ausbau der erneuerbaren Energien im Inland erfolge zu langsam, gleichzeitig steige die Importabhängigkeit.
«Wir stehen am Scheideweg», mahnte Frank. Den Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen mit der EU durch den Bundesrat, mit dem ein Stromabkommen in weite Ferne gerückt ist, bezeichnete er unverblümt als «strategische Fehlentscheidung». Umso wichtiger sei, dass es bei den Erneuerbaren und beim Solarstrom endlich vorwärts gehe.
Faktisch bestätigte Michael Frank, dass seit der Annahme der Energiestrategie 2050 vor fünf Jahren viel zu wenig passiert ist und die Energiewende «verlauert» wurde. Nun hat Russlands Krieg gegen die Ukraine manche Illusion platzen lassen. Er entblösst die Abhängigkeit vom Ausland, die in der Schweiz bei Öl, Gas und Uran 100 Prozent beträgt.
Zweite tragende Säule
«Wir wissen es schon lange, aber viele wollten es nicht wahrhaben», sagte Energieministerin Simonetta Sommaruga am Dienstag zur Eröffnung der Photovoltaik-Tagung. Sie trägt als zuständige Bundesrätin einen Teil der Verantwortung für den schleppenden Ausbau und ist seit Kriegsbeginn intensiv bemüht, die Versorgung der Schweiz sicherzustellen.
Will man die einheimische Produktion fördern, führt am Solarstrom kein Weg vorbei. «Er ist neben der Wasserkraft die zweite tragende Säule der Schweizer Energieversorgung», sagte der Berner GLP-Nationalrat Jürg Grossen, Präsident des Fachverbands Swissolar. Nur mit Photovoltaik lässt sich der Mehrbedarf bei gleichzeitigem Atomausstieg decken.
Bei der Wasserkraft ist das Ausbaupotenzial begrenzt. Für Windenergie ist die Schweiz wenig geeignet, und Projekte stossen auf teilweise erbitterten Widerstand. Und selbst wenn ein neues AKW möglich wäre, würde es wohl frühestens in 20 Jahren in Betrieb gehen. Die Schweiz aber braucht sehr schnell mehr Elektrizität, auch wegen der Dekarbonisierung.

Schnellladestation mit Solardach auf dem A1-Rastplatz bei Lenzburg.bild: Keystone
Die gute Nachricht lautet: Es tut sich etwas. «Die Leute wollen weg von Öl und Gas. Sie kaufen Elektroautos und wollen eigene Elektrizität für ihr Haus produzieren», sagte Sommaruga. Letztes Jahr wurden laut Swissolar 615 Megawatt Solarstrom zugebaut, und dieses Jahr rechnet der Verband mit 750 Megawatt. Beides sind neue Rekordwerte.
2 Gigawatt jährlich bis 2030
Diese Zahlen sind gemäss Swissolar-Geschäftsleiter David Stickelberger noch provisorisch. Aber allein im Februar wurden laut einer Mitteilung des Verbands 200’000 Solarpanels auf Schweizer Dächer gebaut. Die Solarbranche erlebt einen Auftragsboom, wie Firmenvertreter bestätigen. Schon heute deckt die Photovoltaik über sechs Prozent des Strombedarfs.
Das allerdings genügt nicht. Um die drohende «Stromlücke» zu schliessen, müssten bis 2025 1 Gigawatt und bis 2030 sogar 2 Gigawatt pro Jahr zugebaut werden, sagte Stickelberger. Das wäre eine Verdreifachung gegenüber heute. Theoretisch wäre dies möglich, doch für einen solchen Zuwachs gebe es noch zu viele Hürden, war man sich in Bern einig.
Bürokratie
Die Bewilligungsverfahren für Photovoltaik-Anlagen sorgen immer wieder für Ärger. Beat Ritler von der Burgdorfer Firma ResiQ erwähnte an einem Podiumsgespräch ein besonders absurdes Beispiel. Für den Bau einer PV-Anlage auf einem Haus im Berner Vorort Köniz hätten die Behörden «einen Erdbebensicherheitsnachweis verlangt».
Das Raunen im Berner Kursaal war beträchtlich. Immerhin stellte Simonetta Sommaruga – das besagte Haus gehört einem ihrer Mitarbeiter – Besserung in Aussicht. Der Bundesrat wolle nicht nur die Bewilligungsverfahren für Wasser- und Windkraftwerke beschleunigen. Für Photovoltaik-Anlagen werde künftig in der Regel nur noch eine Meldung benötigt.
Abgeltung

Photovoltaikanlagen auf Scheunendächern wie hier in Rafz (ZH) sollen eine höhere Einmalvergütung erhalten.Bild: sda
Ein weiteres Ärgernis ist das Tarifsystem. Je nach Versorger werden unterschiedliche Preise für Solarstrom bezahlt. Oft wird darum nur für den Eigenverbrauch gebaut. «Ich würde einen einheitlichen Einspeisetarif begrüssen», sagte Martin Schwab, CEO des Stromkonzerns CKW. Er plädierte für eine gleitende Marktprämie mit einem garantierten Mindestpreis.
Damit hätten andere Länder «den Turbo gezündet», erklärte Schwab. Er verwies auf das Disneyland Paris, wo die Axpo-Tochter Urbasolar einen 17 Hektar grossen Parkplatz mit Solarpanelen überdacht. Damit würden in Spitzenzeiten 30 Megawatt Strom produziert. Während man in der Schweiz noch immer Dächer sieht, die nur teilweise bedeckt sind.
GLP-Präsident Jürg Grossen hingegen favorisiert ein Angebots-Nachfrage-Modell: «Wenn viel Energie vorhanden ist, sind die Preise tief, und umgekehrt.» Ähnlich sieht es Urs Meister, Geschäftsführer des Strommarkt-Regulators ElCom. Es brauche auch ein Element zur Förderung des Zubaus, das wegen möglicher Mitnahmeeffekte nicht zu hoch sein dürfe.
Der Bundesrat hat reagiert und am Mittwoch beschlossen, dass Photovoltaikanlagen ohne Eigenverbrauch, zum Beispiel auf Scheunendächern oder Lagerhallen, ab 2023 höhere Einmalvergütungen von bis zu 60 Prozent der Investitionskosten erhalten können. Ausserdem soll die Produktion von Winterstrom mit einem Bonus gefördert werden.
Personal

Ein «Refugees go Solar»-Absolvent Latif auf einer Baustelle der Firma Sunconnect.bild: ho
Trotz dieser Kritikpunkte steigt die Nachfrage stetig, doch eine weitere Hürde ist der Mangel an Fachkräften, bei Ingenieuren und Installateuren. David Stickelberger bezeichnete ihn als «grösstes Problem» der Branche. 41 Prozent der Firmen könnten ihre Stellen zu weniger als 60 Prozent besetzen. Vielfach könnten Offertanfragen deshalb nicht beantwortet werden.
Das schafft kein Vertrauen bei potenziellen Interessenten. Die Solarbranche will dem Fachkräftemangel mit verschiedenen Massnahmen bekämpfen, etwa dem vom Bund unterstützten Programm Refugees go Solar+ (RgS+). Ausserdem soll es eine neue Fachlehre für Solarspezialisten geben, die jedoch erst 2024 lanciert werden wird.
Daneben gibt es weitere Punkte, die in Bern bei aller Euphorie über den positiven Trend für Unbehagen sorgen. Auch bei der Photovoltaik besteht eine hohe Auslandsabhängigkeit, von Asien und vor allem von China. Das gilt seit dem Ukraine-Krieg als Risiko, weshalb es Überlegungen und Bestrebungen gibt, die Produktion nach Europa «zurückzuholen».
GLP-Chef Jürg Grossen ärgerte sich Gespräch zudem über die bei manchen Architekten und Hauseigentümern nach wie vor vorhandenen Vorurteile gegenüber der Solarenergie. Weshalb selbst Neubauten noch immer ohne PV-Anlage geplant würden. Der Verband Swissolar befürwortet eine Solarpflicht, auch bei der Sanierung bestehender Bauten.
Das Potenzial der Photovoltaik ist auch in der nicht mit Sonne verwöhnten Schweiz enorm. Simonetta Sommaruga räumte angesichts der bestehenden Hürden ein, dass man «nicht in einer perfekten Welt» lebe. Sie forderte die Branche dennoch auf, vorwärts zu machen: «Jede zugebaute Kilowattstunde Photovoltaik ist ein Stück Unabhängigkeit und Sicherheit.»
Über lange Zeit galten elektrisch angetriebene Fahrzeuge als exotisch, heute sind sie in aller Munde. Weniger bekannt ist, dass Elektrofahrzeuge bereits um 1900 eine Hochblüte hatten. In New York waren damals rund die Hälfte aller motorengetriebenen Fahrzeuge Elektromobile. Die Schweiz leistete weltweit beachtete Beiträge zur Elektromobilität.
Welcher Antrieb sich bei Fahrzeugen im Strassenverkehr durchsetzen würde, war um 1900 noch völlig offen. In den USA fuhren ungefähr je ein Drittel mit Dampf-, Benzin- und Elektroantrieb. Die ersten Benzinautos waren alles andere als zuverlässig, aufwändig im Betrieb und mussten mühsam angekurbelt werden.