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Beirut, Hiroshima, Mitholz: So stark waren diese Explosionen

epa08585091 A general view of the destroyed port in the aftermath of a massive explosion in downtown Beirut, Lebanon, 05 August 2020. According to media reports, at least 100 people were killed and mo ...
Ein Bild der Zerstörung: Der Hafen von Beirut nach der Explosion. Bild: keystone

Beirut, Hiroshima, Mitholz: So stark waren diese Explosionen

07.08.2020, 10:2608.08.2020, 10:17
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Die verheerende Explosion, die am 4. August die libanesische Hauptstadt Beirut verwüstete, war so stark, dass sie noch im mehr als 200 Kilometer entfernten Zypern wahrgenommen wurde. Das deutsche Geoforschungszentrum (GFZ) registrierte die Erschütterung als Erdbeben der Magnitude 3,5. Die auf zahlreichen Videos der Detonation deutlich sichtbare Druckwelle und die enorme, pilzförmige Rauchsäule liessen manche Beobachter sogar vermuten, es habe sich um eine Atombombe gehandelt.

Dies war jedoch nicht der Fall. Experten wie Martin Pfeiffer von der Universität von New Mexico wiesen darauf hin, dass bei einer nuklearen Explosion ein blendender Lichtblitz und extreme Wärmestrahlung auftreten müssten. Die Rauchsäule würde zudem viel schneller aufsteigen, und schliesslich müsste man auch radioaktive Strahlung feststellen.

Dennoch war die Wucht der Explosion in Beirut gewaltig. Grund dafür war nach bisherigen Erkenntnissen, dass eine grosse Menge von Ammoniumnitrat durch einen Brand entzündet wurde. Diese Chemikalie, die als Ausgangsstoff für Dünger und Sprengstoffe dient, zerfällt bei einer Explosion schlagartig zu Wasserdampf, Stickstoff und Sauerstoff. Der Zerfall in ausnahmslos gasförmige Zersetzungsprodukte führt zu der ungeheuren Sprengkraft der Substanz.

Die gesamte Energie, die bei Explosionen freigesetzt wird, gibt man üblicherweise in TNT-Äquivalenten an, also im Vergleich mit dem Sprengstoff Trinitrotoluol (TNT). Die Sprengkraft ist streng genommen nur ein Teil dieser Energie; Atomwaffen geben beispielsweise sehr viel mehr Energie in Form von Wärme ab. Ammoniumnitrat weist knapp die Hälfte des Energiepotenzials von TNT auf, ein Kilogramm der Substanz entspricht also rund 500 Gramm TNT.

Im Hafen von Beirut lagerten 2750 Tonnen Ammoniumnitrat, das entspricht maximal 1375 Tonnen TNT-Äquivalent. Dies übersteigt sogar die Sprengkraft der kleineren Atombomben aus dem aktuellen Arsenal der US-Streitkräfte – so kann etwa die Wasserstoffbombe B61 auf eine Sprengkraft von lediglich 300 Tonnen TNT-Äquivalent eingestellt werden. Die über Hiroshima abgeworfene Atombombe «Little Boy» hingegen erreichte eine Sprengkraft von mindestens 13'000 Tonnen TNT-Äquivalent.

Die ungeheure Zerstörungskraft dieser ersten militärisch eingesetzten Atombombe – die wiederum von den später konstruierten stärksten Wasserstoffbomben bei weitem übertroffen wird – setzen wir hier ins Verhältnis mit der Detonation in Beirut, weiteren bekannten Explosionen sowie einigen nuklearen und nichtnuklearen Sprengsätzen:

Grafik: Sprengkraft verschiedener Explosionen
Sprengkraft in TNT-Äquivalent.Grafik: watson

Hiroshima, 6. August 1945

13'000 t TNT-Äquivalent

TNT-Äquivalent verschiedener Explosionen im Vergleich: 1Hiroshima
Grafik: watson

Die erste der beiden im Zweiten Weltkrieg von den USA über Japan abgeworfenen Atombomben zerstörte die Hafenstadt Hiroshima. Ihre Stärke wird meist mit 13 bis 15 Kilotonnen TNT-Äquivalent angegeben. Bei der Explosion der «Little Boy» genannten Bombe kamen etwa 70'000 bis 80'000 Menschen sofort ums Leben, später starben noch zehntausende an Verletzungen und Strahlenschäden.

Zhuhai, 29. Dezember 1992

9600 t TNT-Äquivalent

TNT-Äquivalent verschiedener Explosionen im Vergleich: 2. Zhuhai
Grafik: watson

Bei der Erweiterung des Flughafens der südchinesischen Stadt Zhuhai brachten Ingenieure 12'000 Tonnen Dynamit im Inneren eines Bergs zur Explosion. Die Explosion, die als grösste künstliche, nichtnukleare Detonation gilt, war im 50 Kilometer entfernten Hongkong deutlich zu spüren. Sie verursachte eine Erschütterung von mindestens 3,4 auf der Richter-Erdbebenskala.

Mitholz, 19. Dezember 1947

3000 t TNT-Äquivalent

TNT-Äquivalent verschiedener Explosionen im Vergleich: 3. Mitholz
Grafik: watson

Neun Menschen kamen ums Leben, als etwa die Hälfte der 7000 Tonnen im Depot Mitholz eingelagerten Munition explodierte und das Berner Oberländer Dorf verwüstete. In den eingestürzten Anlageteilen und im Schuttkegel davor befinden sich schätzungsweise noch rund 3500 Tonnen Munition. Mitholz soll in 11 Jahren für zehn Jahre evakuiert werden, damit diese gefährliche Altlast geräumt werden kann.

Die Munition detonierte in drei unterschiedlich heftigen Explosionen, deren Stärke sich nicht beziffern lässt und die hier zusammengefasst sind. Selbst im 120 Kilometer entfernten Zürich wurden noch Erschütterungen registriert.

Beirut, 4. August 2020

1375 t TNT-Äquivalent

TNT-Äquivalent verschiedener Explosionen im Vergleich: Beirut
Grafik: watson

Es ist nicht sicher, ob bei der Explosion des Ammoniumnitrats im Hafen von Beirut tatsächlich die gesamte potenzielle Energie von 1375 Tonnen TNT-Äquivalent freigesetzt wurde. Es gibt Schätzungen, wonach eine Sprengkraft von 1100 Tonnen TNT-Äquivalent erreicht wurde, andere Experten gehen sogar von noch niedrigeren Zahlen aus, etwa um die 240 Tonnen. Die Folgen sind auf jeden Fall verheerend: Mindestens 135 Menschen kamen ums Leben, mehr als 5000 wurden verletzt, nach wie vor werden hunderte vermisst. Die Stadt wurde schwer verwüstet, zahlreiche Gebäude stürzten ein.

Dailly, 28. Mai 1946

450 t TNT-Äquivalent

TNT-Äquivalent verschiedener Explosionen im Vergleich: Dailly
Grafik: watson

In der Festung Dailly oberhalb von Saint-Maurice, einem der grössten Artilleriewerke der Schweizer Armee, explodierten rund 450 Tonnen Artilleriemunition. Ein grosser Teil des Forts wurde zerstört, zehn Menschen kamen ums Leben.

Tianjin, 12. August 2015

450 t TNT-Äquivalent

TNT-Äquivalent verschiedener Explosionen im Vergleich: 6. Tianjin
Grafik: watson

Bei zwei kurz aufeinanderfolgenden Explosionen starben in der chinesischen Hafenstadt 173 Menschen, beinahe 800 weitere wurden verletzt. Die in den beiden Detonationen freigesetzte Energie belief sich laut Untersuchungsbericht auf 450 Tonnen TNT-Äquivalent. Neben 800 Tonnen Ammoniumnitrat explodierten auch 500 Tonnen Kaliumnitrat und Natriumnitrat.

B61

300 t TNT-Äquivalent

TNT-Äquivalent verschiedener Explosionen im Vergleich: 7. B61
Grafik: watson

Die 1968 in Dienst gestellte B61 ist eine amerikanische Wasserstoffbombe, die mit einer frei wählbaren Sprengkraft konstruiert wurde. Diese variiert je nach Quelle zwischen 0,3 und 340 Kilotonnen oder zwischen 0,3 und 400 Kilotonnen. Hier ist die geringste Sprengkraft von 300 Tonnen TNT-Äquivalent dargestellt. Bei der grössten einstellbaren Sprengkraft ist die B61 20 bis 30 Mal stärker als die Hiroshima-Bombe.

Steinalp, 2. November 1992

225 t TNT-Äquivalent

TNT-Äquivalent verschiedener Explosionen im Vergleich: 8. susten
Grafik: watson

Auf der Steinalp beim Sustenpass, einem Munitionssprengplatz der Schweizer Armee, explodierten aus unbekannten Gründen zwischen 225 und 840 Tonnen Munition und 279 Feststoffbooster von Flugabwehrraketen. Die Lagerkaverne wurde völlig zerstört, es entstand ein riesiger Schuttkegel.

АВБПМ

44 t TNT-Äquivalent

TNT-Äquivalent verschiedener Explosionen im Vergleich: 9. АВБПМ
Grafik: watson

Das Akronym АВБПМ steht für Авиационная вакуумная бомба повышенной мощности («Vakuum-Fliegerbombe mit gesteigerter Kraft»). Der auch «Vater aller Bomben» genannte thermobarische Sprengsatz, bei dem ein Aerosol entzündet wird, soll eine Explosionskraft von 44 Tonnen TNT-Äquivalent erreichen. Damit handelt es sich um die konventionelle Bombe mit der grössten jemals erreichten Sprengkraft.

MOAB

11 t TNT-Äquivalent

TNT-Äquivalent verschiedener Explosionen im Vergleich: 10. MOAB
Grafik: watson

Das amerikanische Gegenstück zur АВБПМ ist die GBU-43/B Massive Ordnance Air Blast, abgekürzt MOAB (auch als «Mother of All Bombs» bekannt). Sie enthält knapp 8,5 Tonnen Sprengstoff und erreicht damit eine Sprengkraft von 11 Tonnen TNT-Äquivalent.

(dhr)

Videos zeigen das Ausmass der Katastrophe in Beirut

Video: watson/nfr
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Explosionen in Tianjin: Neue Luftaufnahmen zeigen das Ausmass der Zerstörung
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54 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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neutrino
07.08.2020 10:45registriert Mai 2017
Interessanter Artikel. Zeigt auch, dass Beirut nicht mit Hiroshima verglichen werden kann. Wer mal Bilder von Hiroshima gesehen hat, weiss dass: die ganze Stadt ausradiert - das ist eine andere Liga.
2053
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Joe Smith
07.08.2020 12:35registriert November 2017
Bei aller Tragik dieser Katastrophe: Wer schon nur auf die Idee kommt, sie mit einer Atombombe zu vergleichen, hat die Monstrosität einer Atombombe nicht begriffen. Dass das offenbar auf erschreckend viele zutrifft, ist ein Grund zur echten Besorgnis.
17111
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LarsBoom
07.08.2020 10:57registriert November 2016
AN 602 oder die Zar Bombe mit 57‘000‘000 Tonnen 🤯

Zum Glück wurde sie nie eingesetzt.
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54
Euroairport Basel wieder offen

Das Terminal des Basler Euroairports ist wieder geöffnet. Am Montagnachmittag war es«aus Sicherheitsgründen» evakuiert worden. Dies teilte der Flughafen auf seiner Website sowie über das Portal X (vormals Twitter) mit.

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