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Interview

Israel gegen Iran: Experte sorgt sich vor Ausbruch eines Atomkriegs

epa12182365 The Iron Dome, the Israeli air defense system, intercepts missiles fired from Iran, over Tel Aviv, Israel, 18 June 2025. Israel and Iran have been exchanging fire since Israel attacked Ira ...
Das israelische Luftabwehrsystem Iron Dome fängt von Iran abgefeuerte Raketen über Tel Aviv ab, am 18. Juni 2025.Bild: EPA
Interview

«Ich würde es Teheran zutrauen, eine unerprobte Atomwaffe auf Israel abzufeuern»

Wie könnte sich der Krieg zwischen Iran und Israel weiterentwickeln? Besteht die Gefahr eines Atomkriegs? Und werden die USA eingreifen? Sicherheitsexperte Joachim Krause ordnet ein.
18.06.2025, 17:5919.06.2025, 06:48
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Herr Krause, Iran und Israel befinden sich im Krieg. Die USA – Israels bisher wichtigster Verbündeter – waren vergangene Woche offenbar nicht über den geplanten Angriff auf iranische Ziele informiert. Trump befand sich mitten in Gesprächen mit dem Iran zu einem Atomwaffenabkommen. Wie sicher ist die Unterstützung der USA für Israel noch?
Joachim Krause:
Ich glaube nicht, dass die USA gar nichts im Voraus wussten. Sie haben in der Region zahlreiche Streitkräfte positioniert, die den Luftraum überwachen. Ohne Absprache mit den USA wäre der erste Angriff nicht möglich gewesen. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Absprache nur wenige Tage oder Stunden zuvor stattgefunden hat.

Das deutet auf eine schlechtere Beziehung zwischen den USA und Israel hin.
Es hat sich in der letzten Zeit eine gewisse Entfremdung zwischen Trump und Netanjahu aufgetan. Und man muss auch sagen: Trump ist im tiefsten Herzen ein Isolationist. Unter seiner «Make America Great Again»-Koalition befinden sich zwar die Evangelisten, die sich sehr stark für die Unterstützung Israels einsetzen. Zu seinen Anhängerinnen und Anhängern gehören aber auch zahlreiche Neoreaktionäre, Libertäre und Rechtsextreme, die überhaupt keinen Bezug zu Israel haben. Und die sich sagen: «Was soll das? Das ist nicht unser Krieg. Da sollten wir uns raushalten.»

Und welche Position vertritt Trump?
Sozusagen eine Mittelposition. Darum will er einen Deal. Das würde alle seine Probleme lösen. Trumps Verhandlungen mit dem Iran waren aber bislang nicht erfolgreich und dienten aus israelischer Sicht lediglich dem Zweck, dem Iran Zeit für den Bau einer Atombombe zu verschaffen. Also nimmt Israel die Dinge nun selbst in die Hand.

Aufgrund der Offensive in Gaza lässt die internationale Unterstützung für Israel derzeit ohnehin nach. Hat Israel einen ungünstigen Zeitpunkt für den Angriff auf Iran gewählt?
Aussenpolitisch mag der Zeitpunkt nicht gut gewählt sein, das sehe ich auch so. Aber hier geht es ums Überleben Israels. Ich gehe davon aus, dass der israelische Geheimdienst Informationen hatte, wonach der Iran kurz davorsteht, funktionsfähige Atomwaffen einsatzbereit zu haben. In diesem Fall wäre Israel existentiell gefährdet. Das Land ist zu klein, um auch nur einen oder zwei Atomschläge verkraften zu können. Der Iran wird von religiösen Eiferern und Kriminellen regiert. Atomwaffen in den Händen solcher Leute sind eine Gefahr für die gesamte Region.

Welches Ziel verfolgt Israel mit diesem Krieg?
Israel will das Regime in Teheran entscheidend schwächen, wenn möglich endgültig zu zerstören. Oder zumindest das Atomwaffenprogramm so beschädigen, dass der Iran mehr als zehn Jahre braucht, um wieder so weit zu sein wie heute. Nur so kann Netanjahu die Existenz seines Landes sichern.

Zur Person
Joachim Krause ist Professor für internationale Politik und emeritierter Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel in Deutschland. In seiner Forschung hat er sich intensiv mit Terrorismusstudien, der Analyse internationaler Beziehungen und dem Nahost-Konflikt auseinandergesetzt. Daneben hat er verschiedene diplomatische Aufgaben für die Bundesrepublik Deutschland und die UN-Sonderkommission übernommen. Für das deutsche Magazin «Focus» analysiert Krause als Experte regelmässig die politische Lage in Israel, Iran, Irak, Syrien, Afghanistan und im Gazastreifen.

Es gibt Stimmen, die behaupten, Israel nutzt den Krieg gegen Iran, um von der humanitären Lage in Gaza abzulenken. Was sagen Sie dazu?
Das halte ich für eine starke Vereinfachung. So wie ich das einschätze, hat Israel seine Operation aus der Luft gegen den Iran schon länger geplant und auch vor Ort gut vorbereitet. Es ist technisch und operativ gesehen nicht einfach und auch nicht risikolos, von dieser Entfernung umfassende Luftangriffe mit Kampfbombern durchzuführen. Dazu bedarf es einer ganzen Flotte von Tankflugzeugen und einer vollständigen Kontrolle über den ganzen Luftraum. Letzteres war bis vor Kurzem nicht möglich, denn in Syrien befand sich ein modernes russisches Luftabwehrsystem, welches derartige Vorhaben hätte verhindern oder zumindest behindern können. Nach dem Sturz Assads musste Russland dieses System abbauen. Ausserdem haben die Israelis zu Beginn dieses Jahres die syrische Luftabwehr systematisch zerstört und damit einen Risikofaktor mehr ausgeschaltet. Damit beherrscht die israelische Luftwaffe nun den gesamten Luftraum zwischen dem Mittelmeer und Teheran. Militärisch ist das eine günstige Ausgangslage.

Joachim Krause, emeritierter Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik
Joachim Krause, emeritierter Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel.Bild: zvg

Einige Expertinnen und Experten befürchten, dass der Krieg in einem Flächenbrand im Nahen Osten enden kann. Sie auch?
Ich glaube, es besteht eine weitaus grössere Gefahr: ein Atomkrieg. Das macht mir viel mehr Sorge als die Gefahr einer horizontalen Ausdehnung des Konfliktes auf andere Teile der Region. Wie gesagt: Die Iraner sind kurz vor der Kernwaffenfähigkeit und fühlen sich jetzt in die Ecke gedrängt. Es geht um die Existenz des iranischen Regimes. Ich würde es Teheran zutrauen, eine noch nicht erprobte Atomwaffe auf Israel abzufeuern. Sollte Israel von derartigen Vorbereitungen Kenntnis erhalten, würde es im Notfall nicht davor zurückschrecken, dem iranischen Regime zuvorzukommen und selbst Atomwaffen einzusetzen. Wenn es um das Überleben des eigenen Volkes geht, gelten keine Schranken gegen den Einsatz von Atomwaffen mehr. Einen zweiten Holocaust wird Israel nicht zulassen.

Wie realistisch ist der Ausbruch eines Atomkriegs?
Diese Wahrscheinlichkeit vermag ich nicht einzuschätzen. Ein Atomkrieg ist auf jeden Fall ein mögliches Szenario. Dass Trump den G7-Gipfel früher verlassen hat, deutet für mich darauf hin, dass die US-Administration die Gefahr einer derartigen Entwicklung als real einschätzt.

Israel attackiert gezielt atomare Infrastruktur, tötet Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die an Atomwaffen arbeiten. Ist es so möglich, die nukleare Gefahr, die von Iran ausgeht, nachhaltig zu beseitigen?
Wenn das Regime an der Macht bleibt, dann kann Israel das nukleare Risiko nur in die Zukunft verschieben. Das gesamte iranische Atomwaffenprogramm aus der Luft zu zerstören, ist nicht möglich. Besonders die Anlage zur Urananreicherung in Fordo ist hier zu nennen. Die Zentrifugen liegen etwa 60 bis 70 Meter unter der Erde und sind verbunkert. Um diese zu zerstören, bräuchte es die amerikanische Superbombe GBU-57, die in der Lage ist, befestigte Objekte in einer Tiefe von bis zu 60 Metern zu zerstören. Doch Bomben dieser Art befinden sich nur im Arsenal der US-Luftwaffe und können auch nur mit B2-Bombern ausgebracht werden. Sollte sich Trump dazu entschliessen, den Einsatz dieser Bomben gegen die Nuklearanlagen in Fordo zu genehmigen, müssten amerikanische Piloten den Einsatz durchführen. Damit wären die USA Kriegspartei.

Was, wenn Trump sich gegen den Kriegseintritt entscheidet?
Dann bliebe den Israelis vielleicht die hochriskante Option eines Kommandoeinsatzes. Gelingt es diesem nicht, die Urananreicherungsanlagen zu zerstören und das hochangereicherte Uran zu sichern, müssen wir davon ausgehen, dass das iranische Regime sein Atomprogramm weiter betreiben wird. In wenigen Jahren wäre es dann wieder da, wo es bis vor kurzem stand. Diese latente Nukleargefahr ist für Israel aus guten Gründen nicht akzeptabel. Zumindest nicht, solange eine politische Führung in Teheran sitzt, deren erklärtes Staatsziel es ist, Israel von der Landkarte zu tilgen.

Wie wird der Krieg nun weitergehen?
Die USA unterstützen Israel derzeit mit Tankerflugzeugen und Munition. So könnte der Krieg noch zwei, drei Wochen weitergehen wie bisher. Daneben befinden sich aber zwei US-amerikanische Flugzeugträgergruppen auf dem Weg in die Region. Dies soll der iranischen Führung zu verstehen geben, dass Militäraktionen gegen US-Einrichtungen eine scharfe Reaktion nach sich ziehen würde. Weiter signalisieren die USA gegenüber der Führung in Teheran, dass sie nur zwei Optionen hat: Entweder sie gibt ihr Nuklearprogramm vollständig auf. Oder die USA steigen an der Seite Israels in den Krieg ein, mit dem Ziel, Irans Nuklearprogramm zu zerstören. Letzteres wäre mit der Gefahr verbunden, dass das Mullah-Regime seine Macht verliert. Vielleicht kann dieser Krieg also zu einem politischen Wandel im Iran führen.

Wie sähe dieser politische Wandel aus?
Ein mögliches Szenario ist, dass sich die Bevölkerung gegen die Mullahs erhebt. Wie realistisch das ist, lässt sich aus der Ferne jedoch nicht einschätzen. Ich bekomme aus unterschiedlichen Ecken widersprüchliche Informationen. Ich kenne Leute, die Verwandte im Iran haben, die sagen: Bald geht der Aufstand los. Andere, ebenso gut vernetzte, sagen hingegen, dass das Regime noch fest im Sattel sitzt. Wir wissen schlicht zu wenig über die internen Entwicklungen im Iran.

Und was wäre ein anderes Szenario, das einen Machtwechsel herbeiführen könnte?
Innerhalb der Regierungselite gibt es unterschiedliche Fraktionen. Die gemässigteren Kräfte könnten die Radikalen entmachten und versuchen, mit der internationalen Gemeinschaft eine diplomatische Lösung zu finden. Das würde bedeuten, dass der oberste Revolutionsführer Chamenei entmachtet werden muss, der starrsinnig an seinen extremistischen Positionen festhält. Ob das passiert, kann niemand vorhersagen. Eine diplomatische Lösung wäre mit einer neuen iranischen Führung aber durchaus vorstellbar. Kern dieser Lösung müsste sein, dass die neue iranische Führung nicht nur auf Atomwaffen, sondern auch auf Anreicherungsanlagen und sein gesamtes angeblich «ziviles» Nuklearprogramm verzichtet.

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305 Kommentare
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Reto Schnurrenberger-Stämpfler
18.06.2025 20:06registriert Dezember 2019
Schade um den Iran, die Mehrheit will da auch nur Leben und etwas sinnvolles erreichen.
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M&S
18.06.2025 20:00registriert April 2021
Und was sollte der Einsatz einer Atomwaffe gegen Israel sein? Eine einzelne Waffe wird wohl kaum die israelische Zweitschlagfähigkeit (insbesondere die U-Boote) gefährden. Und Israel würde auf einen Atomschlag genau auf eine einzige Art reagieren, mit einem eigenen atomaren Gegenangriff...
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Thomas Meister
18.06.2025 18:25registriert April 2019
Trump nimmt sich zu wichtig. Was wenn die USA plötzlich auf eigenem Boden angegriffen wird? Ist er dann auch noch so locker? Jetzt kann er drohen wie er will. Egal ob in der Ukraine oder Israel, beides ist weit weg von zu Hause.
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