Leben
Gefühle

Wieso wir aufhören sollten «Ich liebe dich» zu sagen

Wieso wir aufhören sollten «Ich liebe dich» zu sagen

Zu früh, zu nebensächlich, nicht angebracht und prädestiniert für Missverständnisse – den Satz «Ich liebe dich» sollten wir sofort aus unserem Floskel-Fundus streichen.
14.02.2017, 19:5714.02.2017, 20:00
Folge mir
Mehr «Leben»
Wieso ist jetzt alles mint?
Liebe User, herzlich willkommen zu unserem neuen watson-Blog mint! Ihr findet hier die Themen:

«Flair&Fair» (Design, Streaming, Reisen, Foodwaste)
«Fit&Food» (Katzen-Yoga, Rezepte, fein! – und gesund)
«Fuck&Feel» (selbsterklärend)

In mint schreiben watson-Autoren und freie Autoren aus aller Welt. Die Geschichten erkennt ihr auf der watson-Startseite an einem «m.» im Bild. So, und nun: Viel Spass. :)

Und nun wieder zurück zum Artikel.

«Ich liebe dich!» – schier schreiend werfe ich meiner Romanze diesen bedeutungsschwangeren Satz an den Kopf. Es ist eine spontane Reaktion auf einen schönen Zufall. Mein Lieblingsmensch bietet mir Pomade für meine ausgetrockneten, fast schon blutenden Lippen an. So gut, ahh, wie lieb!

Doch schon beim «ch», dem letzten Laut dieser diabolischen Floskel, verstumme ich. Ich wende meinen Blick dem Schnee bedeckten Boden zu und hoffe sehnlichst auf ein Ende der monströsen Peinlichkeit, die mir wie ein schmelzender Klumpen Eis den Rücken hinab rinnt.

«Scheisse, für diesen Satz sind wir nicht bereit. Wir werden es gar nie sein. Fuck! Wieso hab' ich das nur gesagt?»
Mein übervolles Gehirn, als ich dummerweise «ich liebe dich» gesagt habe

Ich wollte nicht «ich liebe dich» sagen. Das wollte ich wirklich nicht, auf keinen Fall! Aber nicht, weil aus dieser «Sache» nichts Ernstes werden soll! Nicht, weil ich keine Schmetterlinge im Bauch habe oder ich unter Bindungsängsten leide. Nein. Ich will diesen Satz aller Sätze mit niemandem austauschen – niemals! Um ehrlich zu sein: Ich fürchte mich vor dieser Phrase.

Die Wirkung gleicht derer von Nervengas. Egal, ob ich es gesagt bekomme oder ob ich's selber ausspreche – sobald ein «ich liebe dich» im Raum herumschwirrt, fühle ich mich gelähmt. 

«Okay. Was soll ich sagen? Muss ich was sagen? Hilfe!»
Mein übervolles Gehirn, wenn ich dummerweise «ich liebe dich» gesagt bekomme

Es steckt kein Trauma hinter meiner Furcht und auch keine Verbittertheit. Ich blicke nicht auf eine lieblose Kindheit zurück und wurde als Teenie auch nie grausam verarscht. Meine Abneigung gegenüber dieser standardisierten Liebeserklärung gründet in anderen Gewässern.

Ein Kuss. Schwarzblende. The End.
Ein Kuss. Schwarzblende. The End.illustration: shutterstock

«Ich liebe dich» ist keine spontane Kundtuung der inneren Gefühle, sondern eine ausgelutschte Floskel aus platten Liebesfilmen und schnulzigen Jugendromanen. So oft fuhr sie schon über die Lippen von irgendwelchen Jacks und Roses, von Edwards und Bellas, dass sie für mich nicht nur jegliche Echtheit verloren hat, sondern auch mit fremden, ungewollten Erwartungen belastet ist.

Bild

Obwohl es eigentlich «nur» eine Ansage ist, verlangt ein Liebesgeständnis eine Antwort. «Komm schon, sag jetzt, tu es!», brummt es fordernd im Subton.

Egal, ob ich mein Gegenüber für seine unglaubliche Treue liebe oder für den Fakt, dass es just im richtigen Moment einen Pomadenstift zur Hand hat: Sobald der Satz laut ausgesprochen wird, fühlt sich der andere zur Erwiderung gezwungen.

Ich dich auch msg

Draussen ist es. Endlich haben wir's beide gesagt, endlich haben wir alles gesagt! – Einen Moment lang scheint die Welt ewig zu werden. Scheint man gemeinsam zu Jack und Rose zu werden. Einen Moment lang. Bis einem auffällt, dass der Film aufhört, bevor die Beziehung anfängt.  

Inhaltsloses Mantra

«Ich liebe dich.» – «Ich dich auch.»: Dieser Wortwechsel wird zu einem einstudierten Dialog. Er beendet jedes Telefonat und ersetzt jegliche Gute-Nacht-Wünsche. Diese beiden Sätze verlieren ihre tiefe Bedeutung an die Seichtheit einer inhaltlosen Floskel.

Wenn wir uns «lieben» und «auch lieben» sind das zwei verschiedene Gefühle, von denen wir uns vorgaukeln, sie wären genau gleich.

Weiss man nicht genau, was der Partner meint, fällt es einfach, die Aussage mit einem «ich dich auch» plump zu kopieren. Drückt man sich jedoch nur ein bisschen expliziter aus, wird klar, dass Liebe zwar gegenseitig, aber nicht identisch ist:

Szene im Badezimmer
A: Ich liebe die Art, wie du deine Haare kämmst.
B: Ich dich auch.
B: Ich liebe es, wie du mir jeden Tag auf's Neue deine Liebe kundtust.

beloved persons. abstrakte illustration.
Bild: shutterstock

Sagbare Liebe

Es sind Sätze, die im Grunde genauso einfach aufgebaut sind, wie das von mir verhasste «ich liebe dich». Aber es sind eben keine Floskeln. Viel mehr sind es verbalisierte Wohltaten, ohne Anforderungen und ohne Bedingungen, die ich meinen Liebsten ins Ohr hauche, wenn ich sie wissen lassen will, dass sie mir wichtig sind.

Sätze wie:

Herz geometrisch
Illustration: shutterstock
  • Ich respektiere dich.
    Du hast meinen Respekt. Nicht weil du ihn dir verdient hast, sondern weil ich will, dass du bei mir der Mensch sein kannst, der du wirklich bist.
  • Ich bin da.
    Ich nehme mir Zeit. Du hast bei mir Priorität, ohne dass ich dafür eine Gegenleistung erwarte.
  • Ich fühle mich wohl bei dir.
    Der Moment ist stimmig, –  das ist er deinetwegen. Ich will, dass du das weisst.
  • Ich vergebe dir.
    Ich vergebe dir deine schlechte Laune nach einem harten Tag. Ich vergebe dir dafür, dass du mich verletzt, wenn du es selber gar nicht merkst. Ich verzeihe dir deine nervigen Angewohnheiten, auch wenn sie mich zur Weissglut bringen.
  • Wie kann ich dich glücklich machen?
    Ich wünsche mir, dass du gerade so glücklich sein kannst, wie ich es bin. Kann ich etwas dafür tun?

Vielleicht waren es nur fünf Sekunden. Für mich fühlte sich dieser Moment an wie fünf Minuten, in denen ich am Boden festgewurzelt in die gläsernen Augen meines Lieblingsmenschen starrte. Doch noch bevor ich zu einer ausufernden Erklärung ansetzen konnte, schmiegt sich mein Lippenretter an meine Seite und lächelt mir zu: «Du hast ja mal eine impulsive Art ‹Danke› zu sagen.»

Wahre Liebe heisst, jemanden ein halbes Leben lang auszuhalten:

1 / 26
True Love of Old People
Wahre Liebe ist ...
Wenn sie der ganzen Welt zeigen wollen, wie lange ihre Liebe schon anhält.

Bild: imgur
Auf Facebook teilenAuf X teilen
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
38 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Wehrli
14.02.2017 21:01registriert September 2016
Im Gegenteil. Viel öfters sollen wir "ich liebe Dich!" Sagen, zu uns selber, zur Frau zu unseren Mitmenschen. Minte, hippe Realtivierer, mit Angst vor Emotion und Verantwortung, mögen sich davor fürchten. Ich liebe dich, heisst vor allem, ich spühre Dich.
Good night & good luck
1363
Melden
Zum Kommentar
avatar
Baba ♀️
14.02.2017 21:13registriert Januar 2014
Ich liebe es, meinem Seelengefährten immer wieder "ich liebe Dich" zu sagen, weil es ganz einfach das ausdrückt, was ich für ihn empfinde: tiefe, von Herzen kommende, innige Liebe. Und das schon über ein Vierteljahrhundert.

Und ich liebe es und freue mich jedes Mal, wenn er es zu mir sagt 💞 In all den Jahren ist dieser Satz für uns nie zur Floskel verkommen und auch nie 'selbstverständlich' geworden.

Geben Sie "ich liebe Dich..." eine Chance, ernst gemeint und von Herzen kommend sind es wunderbare Worte 😍
1202
Melden
Zum Kommentar
avatar
jjjj
14.02.2017 21:12registriert Dezember 2015
Millenials die kein Commitment kennen und immer alles vage halten...
boooring...
1189
Melden
Zum Kommentar
38
Wie du deinem Portfolio mit preisgekrönten «Strukis» Pep geben kannst
Was strukturierte Produkte sind, wie du sie nutzen kannst und interessante Beispiele der Preisträger der 19. Swiss Derivative Awards.

Letzte Woche am Donnerstag war es dann so weit, das Aura in Zürich knisterte nur so vor Spannung bei der Preisverleihung der 19. Swiss Derivative Awards co-hosted von SIX und Payoff. Anwesend eine grosse Community von Finanzexperten, prämiert wurden die von einer namhaften Jury bewerteten besten strukturierten Produkte respektive deren Emittenten nach verschiedenen Kriterien wie Originalität der Idee, Realisierung und Struktur des Produktes. Berücksichtigt wurden alle Produkte, die bis Ende 2023 in der Schweiz emittiert und an der SIX Swiss Exchange gelistet wurden. Ich war zum ersten Mal an den Derivative Awards und fand den kurzweiligen Anlass enorm spannend, viel spannender noch die vorgestellten Produkte, von denen ich euch hier im Artikel eine kleine Auswahl zeigen möchte.

Zur Story