Die Herleitung ist so offensichtlich, dass die Analogie beinahe schon banal erscheint. 2016 holte Donald Trumps erste Amtszeit den Roman aus der Literatur-Mottenkiste hervor und spülte ihn auf die Bestseller-Liste der «New York Times». Die deutschsprachige Neuauflage warb auf dem Umschlag mit dem Zitat aus der «Guardian»-Buchkritik: «Eine unheimliche Vorwegnahme der aktuellen Ereignisse.» Und wenige Wochen nach dem Sturm aufs Kapitol schrieb US-Feuilletonist John Diers: «Ich fürchte, dass es 2021 passiert ist.»
Diers' Befürchtung hat sich nach dem Ende von Trumps erster Amtszeit nicht bestätigt. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind trotz Kapitolsturm keine Diktatur geworden – noch nicht. Umso erstaunlicher wirkt daher, wie «It can't happen here» 2025 wieder in Vergessenheit gerät. Jetzt, da sich Donald Trump im zweiten Anlauf tatsächlich in atemberaubendem Tempo – und mit seinem Abrissmeister Elon Musk im Schlepptau – drauf und dran macht, die althergebrachten demokratischen Strukturen zu zerschlagen.
Gerade jetzt sollte «Das ist bei uns nicht möglich», so der deutsche Titel, wieder gekauft und gelesen werden: weil es zum einen eine spannende, tiefsinnige Lektüre aus der Hand des ersten amerikanischen Literaturnobelpreisträgers Sinclair Lewis ist. Und zum anderen, weil es nach wie vor durch seine dystopische Qualität zu verblüffen vermag.
Sinclair Lewis veröffentlichte seinen Roman 1935. Ein Jahr später folgte die weiterhin gültige deutsche Übersetzung des Kleist-Preisträgers und Exil-Autors Hans Meisel. Ebendiese Jahreszahl macht das Ganze weniger unheimlich, als es der «Guardian»-Rezensent vorgibt. Denn die Machtergreifung der Nazis in Deutschland musste einen klugen, sozialkritischen Beobachter wie Sinclair Lewis zwangsläufig zur Frage führen, was wäre, wenn.
Was wäre, wenn ein Politiker wie der damals als radikaler Populist gefürchtete Südstaatler Huey Long es geschafft hätte, in die Fussstapfen Mussolinis und Hitlers zu treten und aus den USA eine Diktatur zu machen? Was hätte ein rechtsextremer Präsidentschaftskandidat wie Long sagen und tun müssen, um den amtierenden Franklin D. Roosevelt in den Wahlen von 1936 zu besiegen und danach den Hort der Demokratie in einen faschistischen Staat zu verwandeln?
Die furchteinflössenden Umstürze in Europa und die aktuellen Entwicklungen in den USA rund um Huey Long brachten Sinclair Lewis dazu, rechtzeitig zum Wahlkampf von 1936 «It can't happen here» zu schreiben. Seine zweite Ehefrau, Dorothy Thompson, hatte als Auslandskorrespondentin in Berlin den Aufstieg der Nazis hautnah miterlebt und sogar Hitler interviewt.
Ihre Erlebnisse in Deutschland verschafften Lewis zusätzliche, wertvolle Hintergrundinformationen zu den Prinzipien neu etablierter Diktaturen. Dass einen Monat vor der Veröffentlichung Huey Long dem Kugelhagel eines Attentäters zum Opfer fiel, schmälerte den Erfolg der Romans keineswegs, im Gegenteil.
«It can't happen here» wurde umgehend ein Bestseller und von seinen Zeitgenossen als Warnung verstanden, wie eine Demokratie langsam und unauffällig in eine Diktatur abgleiten kann, wenn die Bürgerinnen und Bürger nicht wachsam sind und ihre Freiheiten verteidigen. Das einflussreiche US-Wochenmagazin «The New Yorker» erklärte die Neuerscheinung zur Pflichtlektüre. Denn im Roman schafft es der fiktive Demagoge Berzelius «Buzz» Windrip, was dem realen Huey Long versagt blieb: Franklin D. Roosevelt in der 1936er-Wahl zu besiegen und anschliessend zielstrebig ein autoritäres Regime zu errichten.
Hier wird es für uns heute besonders spannend. In der Tat muss man in fast jedem Kapitel und bei fortlaufender Lesedauer automatisch an Donald Trumps Erfolgsstrategien und das Gebaren seines «Make America Great Again»-Gefolges denken. Für den US-Kritiker Lary Bloom war es sogar Sinclair Lewis, der «die Figur Trump erfunden hat». Lewis' zeitgenössische Leserschaft dagegen suchte und fand ihre Analogien in Nazi-Deutschland.
Der Protagonist des Romans, der liberale Journalist Doremus Jessup, kämpft mit zunehmender Verzweiflung gegen diesen Umsturz an. Dabei muss er miterleben, wie Bekannte, Freunde und schliesslich sein eigener Sohn ins feindliche Lager überlaufen. Nach seiner Verhaftung wird Jessup in einem der neu entstandenen Konzentrationslager gefoltert, kann aber dank glücklicher Umstände ins Exil entkommen. Von Kanada aus setzt er seinen Widerstand im Untergrund fort.
Die Brutalität, mit der die amerikanischen KZ geführt werden, gehört zu den visionärsten Beschreibungen überhaupt und nimmt Hannah Arendts «Banalität des Bösen» um Jahre vorweg. Ein keineswegs sadistisch veranlagter KZ-Wächter quält seinen ehemaligen Nachbarn einfach aus dem Grund, weil dieser auf der falschen Seite des Gitters gelandet ist.
Nicht minder genial-maliziös schildert Lewis, wie die Revolution ihre eigenen Kinder zu fressen beginnt. Der unbequem gewordene Bischof Prang verschwindet auf Nimmerwiedersehen in einer psychiatrischen Anstalt. Der verachtenswerte Minute-Men-Anführer und Denunziant «Shad» Ledue, einst Jessups fauler Angestellter, landet selbst im von ihm errichteten KZ, wo er von seinen gequälten Opfern umgebracht wird.
Obschon Diktator «Buzz» Windrip die US-Wirtschaft an die Wand fährt und von zahlreichen Aufständen bedrängt wird, kann er sich zwei Jahre lang an der Macht halten. Erst als das «ewige Morden» selbst seinem engsten Umfeld zu viel wird, wird er von seinem besten Freund Lee Sarason gestürzt. Dieser wird dann seinerseits vom Kriegsminister Dewey Haik liquidiert, der 1939 (!) umgehend einen grossen Angriffskrieg gegen Mexiko vom Zaun bricht.
Zu einem Happy End mochte sich Sinclair Lewis 1935 nicht durchringen. In seinem Roman wird die eine US-Diktatur durch die nächste, noch schlimmere ersetzt. Unter Haik herrscht im Land Bürgerkrieg, während der gestürzte Diktator Windrip sich im Pariser Exil ein schönes Leben macht. Ob Jessups Kampf für die Wiederherstellung der Demokratie einst vom Erfolg gekrönt sein wird, bleibt bis zur letzten Buchseite offen.
Für die deutsche Autorin und Soziologin Katja Kullmann ist «It can't happen here» heute dennoch eine «tröstliche Lektüre», wie sie in einem Interview im Deutschlandfunk sagte – «weil die Unwägbarkeit dessen, was gerade in Amerika passiert, schon mal jemand angedacht hat. Man kann ein bisschen was daraus lernen.»
Ah ja, auch darum sind Faschisten darauf aus die Geschichte umzuschreiben, schätze ich mal.
Gleicher Ansatz, vier Jahre später: Philip Roth hat in "The plot against America" beschrieben, wie es hätte kommen können, wenn Roosevelt 1940 die Präsidentschaftswahl gegen den Nazifreud Lindbergh verloren hätte. Auch sehr empfehlenswert.