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HSG-Professorin: Trumps Politik ist näher am Kommunismus als am Kapitalismus

Interview

«Bürgerkrieg ist kein Tabuwort mehr – er ist ein reales Risiko»

HSG-Professorin und Amerika-Kennerin Miriam Meckel erklärt, warum Donald Trump das Gegenteil dessen tut, was Experten raten. Und sie sagt, was passieren könnte, wenn die Zölle in eine tiefe Rezession münden: «Bürgerkrieg ist kein Tabuwort mehr - er ist ein reales Risiko.»
04.04.2025, 19:5304.04.2025, 20:55
Patrik Müller / ch media
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Donald Trump will mit Zöllen ein «goldenes Zeitalter» für die USA einläuten. Glauben ihm die Amerikanerinnen und Amerikaner, dass er das schafft?
Miriam Meckel: Ein Teil glaubt ihm – aber nicht, weil er ökonomisch überzeugt, sondern weil er dramaturgisch dominiert. Trump verkauft keine Politik, er verkauft ein Gefühl: Stolz, Wut, Hoffnung auf Wiedererlangung verlorener Grösse. In einer postfaktischen Öffentlichkeit reicht das. Wer heute noch glaubt, politische Programme müssten ökonomisch fundiert oder ideologisch kohärent sein, hat das Zeitalter des Aufmerksamkeits-Autoritarismus nicht verstanden. Real ist nur noch, was Aufmerksamkeit bekommt.

Miriam Meckel
Miriam Meckel: «Trump aber spielt den allwissenden Dominator – mit Erfolg.»Bild: HO

Unter Ökonomen ist klar: Zölle bewirken das Gegenteil von Wohlstand. Warum foutiert sich Trump darum?
Trump verachtet Expertinnen und Experten. Wer Expertise braucht, gibt zu, dass er nicht alles weiss. Trump aber spielt den allwissenden Dominator – mit Erfolg. Der Angriff auf ökonomische Rationalität ist ein kalkulierter Akt der Delegitimierung: von Institutionen, von Wissenschaft, von Journalismus.

Der Widerspruch kommt ihm gelegen?
Wenn alle Experten widersprechen, dann sind sie halt Teil des Systems – und er, Trump, der Rebell dagegen. Für seine Anhänger ist das der Beweis seiner Authentizität.

Trump und seine Partei sind eigentlich Kapitalisten. Zölle aber widersprechen dieser Ideologie.
Die Zeiten gängiger Unterscheidungen sind vorbei. Ideologie ist in der Ära Trump zweitrangig. Es zählt der Moment: der Medienmoment, der Mobilisierungsmoment. Wer glaubt, die Republikaner seien noch Hüter einer konsistenten Wirtschaftsdoktrin, wird wohl spätestens jetzt aufwachen. Es geht nicht mehr um Kapitalismus oder Sozialstaat.

Um was geht es denn?
Um Machttechniken, um Dauerinszenierung, um ein politisches Theater, das bewusst auf Paradoxien setzt. Der Widerspruch ist Teil der Show. Für mich ist Trumps Politik näher am autoritären sowjetischen Kommunismus als am Kapitalismus. Die Liebe zum Geld gibt es in beiden Systemen.

Mit Elon Musk hat er einen Unternehmer an der Seite, der dank dem Verkauf seiner Produkte in alle Welt reich geworden ist. Wie passt das zum neuen Protektionismus dieser Regierung?
Das passt perfekt – im Sinne der Doppelmoral. Trump nutzt Musk wie einen Joker: disruptiv, reich, unkontrollierbar. Die Idee, dass Musk durch weltweiten Handel gross geworden ist, interessiert nicht. Musk ist jetzt Teil der neuen Staatspropaganda: Tech-Guru, Datenherrscher, Zivilisationsbeschleuniger. Ihm wird Zugang zu Regierungssystemen gewährt, die er selbst für korrupt erklärt – ohne Beweise.

Wirtschaftskreise hofften, dass Musk den Präsidenten in der Wirtschaftspolitik zur Vernunft bringen würde.
Was hier passiert, ist keine Wirtschaftspolitik. Es ist eine gefährliche Fusion aus Populismus und Techno-Faschismus. Übrigens: Die Bürokratie, die die USA aufbauen müssen, um die neuen Zölle durchzusetzen und zu kontrollieren, sind komplett gegenläufig zu der vermeintlichen Verschlankung des Staates.

Trump gilt als brillant darin, Probleme zu erkennen und zu bewirtschaften. Hat er auch mit den Zöllen irgendwo einen Punkt?
Wenn Sie die Welt wieder mit der Brille des 19. Jahrhunderts betrachten: ja. Heute aber sind Zölle kein Mittel zur Wohlstandsmehrung, sondern zur Feindbildkonstruktion. China, Mexiko, Europa – sie alle werden zu Schuldigen erklärt. Als «wirtschaftlichen Unabhängigkeitstag» hat Trump die flächendeckenden Tarife bezeichnet. Als Vergeltung gegen die Jahrzehnte, in denen Freund und Feind die USA «gebrandschatzt, vergewaltigt und ausgeplündert» hätten. Die Wortwahl zeigt, worum es geht: Trump handelt. Laut, schnell, martialisch. Die ökonomischen Konsequenzen sind ihm egal. Er braucht keine Lösungen. Er braucht Bewunderung und Gefolgschaft.

Die Berechnung der Zölle basiert angeblich auf einer ausgeklügelten Formel.
Die lässt sich leicht entzaubern. Der ganze Ansatz schrumpft darauf zusammen, dass Trump die Handelsbilanzdefizite mit anderen Ländern durch die Zölle ausgleichen will. Alle Kommunikation drum herum, wie die Formel, ist schlicht abenteuerlich. Für mich ist das Pippi-Langstrumpf-Politik: 2 mal 3 macht 4, Widdewiddewitt und Drei macht Neune! Ich mach' mir die Welt, Widdewidde wie sie mir gefällt … Man kann es, ernster, auch mit George Orwells 1984 sagen: «Freiheit ist Sklaverei. Und zwei plus zwei macht fünf.»

Zölle werden Produkte verteuern und die Inflation anheizen. Das trifft die einfachen Leute am stärksten, die Trump vorgibt zu beschützen. Werden sie sich von ihm abwenden?
Schon vor der Ankündigung der neuen Zölle hatte sich die Stimmung der Konsumenten stark eingetrübt, die Wirtschaft war deutlich verunsichert. Aber Trump rechnet nicht in Wählergenerationen, sondern in Aufmerksamkeitszyklen. Wenn die Preise an der Supermarktkasse steigen, wird er ein neues Thema setzen – eine neue Mauer, ein neues Verbot, ein neuer Feind.

Und diese dauernde Ablenkung funktioniert?
Das Grundprinzip lautet nach seinem früheren Kommunikationsberater Steve Bannon: «Flood the zone with shit.» Solange die Leute über Empörung reden, denken sie nicht nach. Und wer trotzdem leidet, dem wird eingeredet, er leide fürs Vaterland.

Im Fall hoher Inflation oder einer Rezession könnte die Stimmung dennoch gegen Trump kippen.
Dann gilt: Was schert mich mein Geschwätz von gestern? Die bisherigen Wochen der Trump-Regierung waren ja allein in Sachen Zölle eine fast tägliche Kehrtwende. Ausserdem liebäugelt Trump bereits mit einer dritten Amtszeit. Durch eine reguläre Wahl wird die nicht zustande kommen. Sollen sich ein paar Nörgler doch beschweren.

Sie kennen Amerika gut. Wie gefährlich ist in diesem gespaltenen Land eine Wirtschaftskrise?
Extrem gefährlich. Wenn Sie in Texas an einer Tankstelle halten, steht schon mal ein SUV neben Ihnen mit einem Aufkleber, der sagt: «Wenn du mein Land madig machst, erschiess ich dich.» Amerika ist ein Land mit legalisierten Sturmgewehren, paramilitärischen Bürgerwehren und einer tief gespaltenen Gesellschaft. Eine drastische Wirtschaftskrise ist da kein Konjunkturproblem, sondern ein Funke im Pulverfass. Wenn Millionen ihre Jobs verlieren, die Inflation hochgeht und Trump weiter das Vertrauen in Institutionen, Medien und Wissenschaft schwächt, dann sind das die Zutaten für einen inneren Zerfall. Bürgerkrieg ist kein Tabuwort mehr – er ist ein reales Risiko.

Sie sind Wissenschafterin und reisen oft in die USA. Tun Sie das noch immer?
Im Juni möchte ich auf einer internationalen wissenschaftlichen Konferenz in den USA meine Forschung vorstellen. Ich bin sehr gespannt, ob das klappen wird. Aussenminister Marco Rubio hat angekündigt, dass Studenten, die mit Visum einreisen, nun auf ihre Social-Media-Aktivitäten bis auf Ebene von Likes kontrolliert werden. Die Wissenschaft ist dort nun extrem unter Druck, besonders wenn sie kritisch ist. Hunderte Millionen Dollar staatlicher Förderung sind Universitäten bereits entzogen worden. Das ist eine gezielte Säuberungsaktion im Sinne der Trump'schen Weltvorstellung.

Wie reagieren Wissenschafterinnen und Wissenschafter in den USA, die Sie kennen? Denken sie ans Auswandern?
Sehr viele, ja. Andere halten aus, weil sie kämpfen wollen. Aber der Preis steigt. Wenn Wissenschafterinnen verklagt werden, weil sie Desinformation entlarven, wenn Forschungsgelder abhängig gemacht werden von politischer Loyalität – dann ist das keine offene Gesellschaft mehr. Es ist ein autoritäres System im demokratischen Gewand – mit zuweilen absurden Zügen. Das Pentagon hat Fotos des Flugzeugs von seiner Website verbannt, das 1945 die Atombombe auf Hiroshima abgeworfen hat. Das Flugzeug hiess «Enola Gay».

Sie bezeichneten Trumps Politik als «Aufmerksamkeits-Autoritarismus». Wie lange lässt sich dieses Prinzip weitertreiben?
So lange, bis die Aufmerksamkeit versiegt – oder das System kippt. Es ist ein Hochfrequenzregime, das sich von Empörung ernährt. Aber jedes System hat seine Ermüdungspunkte. Wenn die Menschen abstumpfen, wenn die Wirtschaft in die Rezession rutscht, dann kommt die Stunde der Wahrheit. Nur: Bis dahin kann irreparabler Schaden entstehen. Institutionen, Daten, Vertrauen – all das ist leicht zu zerstören, aber schwer wiederaufzubauen.

Wo führt es hin?
Wenn wir nichts tun: in die Selbstentmachtung der Demokratie, und zwar nicht nur in Amerika. Die Trump-Regierung warnt nun alle von den neuen Zöllen betroffenen Staaten, ja nicht zurückzuschlagen. Sind wir schon die Lämmer, die sich freiwillig zur Schlachtbank führen lassen? Wenn nicht, dann gibt es viel zu tun, zum Beispiel die Bande zwischen den von Trumps Zöllen Betroffenen enger zu schnüren.

Noch scheint es eher so, dass sich Länder und auch Unternehmen in vorauseilendem Gehorsam üben ...
Ich nehme mit Besorgnis zur Kenntnis, dass auch Schweizer Konzerne Trump'sche Politikvorgaben umsetzen und beispielsweise Diversity-Programme stoppen. Bei aller Sorge über das, was in den USA geschieht: Es wird auch dort wieder eine andere Zeit der Rückkehr zur Zivilisation kommen. Wir müssen uns jetzt fragen, auf welcher Seite wir dann gefunden werden wollen. (aargauerzeitung.ch)

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181 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ich-möchte-verstehen
04.04.2025 20:20registriert April 2022
Danke Miriam Meckel für dieses Interview - das bringt alles auf den Punkt.

Mein Highlight ist: "Für mich ist das Pippi-Langstrumpf-Politik: 2 mal 3 macht 4, Widdewiddewitt und Drei macht Neune!"

Ich würde mich über ein weiteres Interview freuen, in welchem von Miriam Meckel Antworten zu den Reaktionen der Schweiz vertieft werden.
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Liebu
04.04.2025 20:40registriert Oktober 2020
Gutes Interview. Deckt sich ziemlich mit meinem Verständnis und das Wichtigste sagt sie am Schluss mit:
Es wird auch dort wieder eine andere Zeit der Rückkehr zur Zivilisation kommen. Wir müssen uns jetzt fragen, auf welcher Seite wir dann gefunden werden wollen.
Das gilt nicht nur für Trump und die USA sondern auch für Europa, die Ukraine und Russland.
Hier kann auch die Schweiz nicht den Fünfer und das Weggli haben und muss für ihre Werte einstehen.
Es gilt sich zu entscheiden und auch Flagge zu zeigen.
Quo vadis Schweiz?
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Gurgelhals
04.04.2025 20:30registriert Mai 2015
Betr. dem präzisen Konzept des "Aufmerksamkeits-Autoritarismus" noch folgender Aspekt, der im Interview natürlich wieder nicht zur Sprache kommt: Da sollten endlich auch mal die Medien vor ihrer eigenen Haustür kehren. Die befinden sich seit 10 Jahren mit Trump ja nur zu gerne in einer toxischen Beziehung und schenken ihm erst diese Daueraufmerksamkeit, weil er halt diesen schlagzeilenträchtigen Zirkus macht und eine nie versiegende Quelle von einschlägigem Content ist. Dass er daneben halt auch die Demokratie und die Weltwirtschaft kaputt macht? Egal. Vierte Gewalt ginge anders.
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