Was sich derzeit zwischen Russland und dem Westen abspielt, ist ein schlecht gemachtes Remake eines Filmes: Der Westen weist russische Diplomaten aus und umgekehrt. Das war schon im Original dröge, aber immerhin besser inszeniert. Die Szenen, in denen am Berliner Checkpoint Charlie jeweils Agenten ausgetauscht wurden, entbehrten nicht eines dramatischen Moments.
Heute hingegen ist das Ritual nicht nur langweilig, sondern auch unbedeutend geworden. Sowohl der Kreml als auch die westlichen Regierungen können die Vertreibungen locker verkraften. Das Personal dürfte bald ohne grosses Aufsehen wieder aufgestockt werden.
Wenn der Westen die Russen wirklich schmerzhaft für den versuchten Mord an Sergei Skripal bestrafen wollte, dann müsste er die Elite dort treffen, wo es weh tut: beim Portemonnaie. Würden die Bankkonten mit gewaschenen Geldern der Oligarchen geschlossen oder ihre Villen in London und Südfrankreich konfisziert, dann hätte das wahrscheinlich Wirkung. Davon sind wir weit entfernt.
Trotzdem ist der Ausdruck eines neuen Kalten Krieges derzeit in aller Munde. Es handelt sich dabei um einen Irrtum, wie der Harvard-Politologe Odd Arne Westad erklärt. «Die internationale Politik ist derzeit undurchsichtig und herausfordernd», stellt er in Foreign Affairs fest. «Aber sie ist weit von einem Kalten Krieg entfernt.»
Der eigentliche Kalte Krieg begann kurz nach dem Zweiten Weltkrieg und dauerte bis zum Fall der Berliner Mauer. Er fand zwischen den beiden Supermächten USA und der UdSSR statt. Die USA gingen als Sieger aus dem Konflikt hervor, die Sowjetunion zerbrach.
Der Kalte Krieg war kein Ponyhof. «Es handelte sich um ein bipolares System von totalem Sieg oder totaler Niederlage», so Westad. «Keiner der beiden Kontrahenten konnte sich einen dauernden Kompromiss vorstellen.»
Beide Seiten rüsteten daher in grossem Stil mit Atomwaffen auf und hätten die Welt um ein X-faches zerstören können. Ein paar Mal taten sie es auch beinahe. Der passende Ausdruck dafür war «MAD», eine Abkürzung, die für den Begriff «mutual assured destruction» (Deutsch: gegenseitig gesicherte Vernichtung) steht, aber auch «verrückt» bedeutet.
Seinem Wesen nach fand der Kalte Krieg nicht zwischen zwei Nationen statt, sondern zwischen zwei Ideologien. Es ging um Kapitalismus gegen Kommunismus. Beide Seiten waren überzeugt, den Schlüssel für das Glück der Menschheit gefunden zu haben und trugen ihre Botschaft missionarisch in die hintersten Winkel der Erde.
Die Folge davon waren sogenannte Stellvertreterkriege in Asien, Afrika und Südamerika. Der bekannteste davon ist der Vietnamkrieg.
Der Ideologiestreit ist heute kalter Kaffee. Der sowjetische Kommunismus ist völlig diskreditiert, der amerikanische Kapitalismus zwar nicht tot, aber er riecht bereits komisch. Dafür ist der Nationalismus neu entbrannt, und es hat sich ein neuer Spieler dazugesellt: China.
Geopolitisch gesehen ist Russland nicht vergleichbar mit der ehemaligen Sowjetunion. Der Kommunismus war seinerzeit eine Alternative – eine schlechte zwar, aber immerhin. Die russische Gesellschaft der Gegenwart hingegen ist vor allem eines: bedauernswert. Wirtschaftlich spielt Putin in der Regionalliga.
Ganz anders China. Die Chinesen sind stolz darauf, das grösste wirtschaftliche Wunder in der menschlichen Geschichte vollbracht zu haben. Jetzt sind sie daran, dieses Wunder in alle Welt hinauszutragen: Das Projekt «One Belt One Road» wird China mit 65 Prozent der Weltbevölkerung verbinden.
Mit Maos Steinzeitkommunismus hat der moderne «Sozialismus mit chinesischen Charakteristiken» nichts mehr gemein. China hat eine der modernsten Infrastrukturen der Welt, und in Chinas Wirtschaft wimmelt es von dynamischen jungen Start-ups. Selbst die Umweltverschmutzung scheint Peking langsam in den Griff zu bekommen. Chinas Staatskapitalismus ist deshalb für die Schwellen- und Entwicklungsländer zu einer Alternative zum dekadenten US-Kapitalismus geworden.
China ist heute eine aufstrebende Supermacht, vor der sich Washington immer mehr fürchtet. In dieser Auseinandersetzung kann Putin höchstens Spielverderber spielen.
Die Welt ist sehr gefährlich geworden, aber wir befinden uns nicht in einem neuen Kalten Krieg. Wir befinden uns in einer Welt, in welcher der Nationalismus wieder sein hässliches Haupt erhebt und jedes Land für seine eigenen Interessen kämpft.
Nochmals Professor Westad: «Im Kalten Krieg gingen die Internationalisten davon aus, dass nationale Kriterien immer unbedeutender würden. Die Post-Kalter-Krieg-Ära hat gezeigt, dass sie sich geirrt haben. Die Nationalisten leben bestens auf den Trümmern der Ideologie-getriebenen grossen Pläne für ein besseres Leben für die Menschheit.»