Bundesrat verrät, wie er Big Tech an die Leine legen will – und «vergisst» die KI-Chatbots
Sehr grosse Social-Media-Plattformen wie Facebook, X und TikTok, aber auch die Suchmaschinen-Betreiberin Google sollen ihren Nutzerinnen und Nutzern künftig ein Verfahren anbieten müssen, mit dem sie bestimmte, mutmasslich rechtswidrige Inhalte unkompliziert melden können. Dies schlägt der Bundesrat vor.
Er hat am Mittwoch das Bundesgesetz über Kommunikationsplattformen und Suchmaschinen in die Vernehmlassung geschickt – gut anderthalb Jahre später als zunächst angekündigt.
Ferner will die Schweizer Landesregierung die Techkonzerne, die für die weltgrössten Plattformen verantwortlich sind und damit Milliarden verdienen, durch das neue Gesetz zu weiteren Massnahmen verpflichten:
- Vorgesehen seien auch Transparenz-Vorgaben im Hinblick auf die Kennzeichnung und Adressierung von Werbung sowie den Einsatz von automatisierten Empfehlungssystemen (Algorithmen).
- Zudem müssen die vom Gesetz betroffenen Dienste (siehe unten) ein öffentlich zugängliches Werbearchiv einrichten und der Verwaltung sowie der Forschung Zugang zu ihren Daten gewähren.
- Sehr grosse Social-Media-Plattformen und Suchmaschinen sollen ausserdem dazu verpflichtet werden, eine Rechtsvertretung in der Schweiz zu bezeichnen, wenn sich der Sitz der Unternehmung im Ausland befindet. Dies stärkt laut Bundesrat die Durchsetzung des Gesetzes gegenüber Anbieterinnen, die keine Niederlassung in der Schweiz haben.
Allerdings vertritt der Bundesrat auch weiter die Auffassung, es brauche keine staatliche Bekämpfung von Desinformation auf den Plattformen. Und irgendwie scheint er das Thema KI-Chatbots vergessen zu haben.
Welche Plattformen sollen reguliert werden?
Der nun präsentierte Vorentwurf beschränkt sich auf sehr grosse Social-Media-Plattformen und Suchmaschinen. Diese beeinflussten wegen ihrer Reichweite die öffentliche Debatte und Meinungsbildung stark, schreibt der Bundesrat. Als sehr gross gelten Dienste, die monatlich durchschnittlich von zehn Prozent der ständigen Schweizer Wohnbevölkerung genutzt werden – das sind aktuell rund 900'000 Nutzende.
In der bundesrätlichen Medienmitteilung vom Mittwoch ist von «wenigen international tätigen Unternehmen wie Alphabet (u. a. Google, YouTube), Meta (Facebook, Instagram), TikTok und X» die Rede.
Wieso ist das nötig?
Intransparenz, fehlende Rechenschaftspflicht und die Konzentration von Markt- und Meinungsmacht: Die Plattformen der Techkonzerne stellen Demokratien wie die Schweiz vor grosse Herausforderungen.
Im erläuternden Bericht zum Vernehmlassungsverfahren (siehe Quellen) hält der Bundesrat fest:
Damit seien die Nutzerinnen und Nutzer weitgehend der Willkür der Betreiber solcher Plattformen oder Suchmaschinen ausgeliefert. Zudem seien die Regeln für die öffentliche Debatte auf diesen Webseiten intransparent und die Gleichbehandlung der Nutzenden sei nicht gewährleistet. Als ungenügend bezeichnet der Bundesrat ausserdem die bisherigen Verfahren der Plattformbetreiber, wenn es um das Entfernen, respektive Löschen von Inhalten und das Sperren von Usern geht.
Ebenso fehle eine gesetzliche Verpflichtung für die Techkonzerne, ein Meldeverfahren und ein Verfahren zur Bearbeitung der Meldungen einzurichten, mit dem sich die User «niederschwellig» gegen mutmasslich strafrechtlich relevante Inhalte wehren können. Konkret genannt werden Verleumdung, Beschimpfung, Diskriminierung und Aufruf zu Hass gemäss Strafgesetzbuch.
Warum hat das so lange gedauert?
Bereits im April 2023 hatte die Schweizer Landesregierung bekanntgegeben, dass eine Regulierung grosser Plattformen angestrebt werde. Mitunter wegen des von Donald Trump angezettelten US-Zollstreits wurde das Geschäft seither mehrmals verschoben.
Droht Vergeltung durch die Trump-Regierung?
Danach sieht es nicht aus. Der Bundesrat erachtet das Risiko einer Vergeltungsmassnahme der USA aufgrund des Starts der Vernehmlassung als klein.
Die Vernehmlassungsvorlage enthalte zwar wie die entsprechende Plattform-Regulierung der EU Sanktionsmassnahmen bis maximal sechs Prozent des weltweit erzielten Jahresumsatzes. Doch handle es sich dabei um einen Maximalbetrag, der nur in ausserordentlich schweren Fällen ausgeschöpft werden dürfe.
Ganz allgemein sei die Vorlage «ausgeglichen und weder diskriminierend noch unverhältnismässig auf amerikanische Firmen zugeschnitten». Deren Anwendung orientiere sich an objektiven Kriterien (Anbieterinnen mit einer Mindestanzahl Nutzenden in der Schweiz).
Was sagen unabhängige Fachleute zur Vorlage?
Zunächst ist zu betonen, dass die Vernehmlassung nun eben erst gestartet wurde. Interessierte können bis zum 16. Februar 2026 zur Vorlage Stellung nehmen.
Die gemeinnützige Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) AlgorithmWatch CH hat sich bereits intensiv mit der Problematik befasst und umgehend auf die Mitteilung des Bundesrates reagiert. Die unabhängigen Fachleute begrüssen grundsätzlich das Vorhaben:
Um eine konstruktive öffentliche Debatte zu ermöglichen, hat die NGO denn auch ein Positionspapier zum Thema erarbeitet, das alle wichtigen Punkte erläutert.
Was fehlt in der Vorlage?
Die Problematik der KI-Chatbots. Und mehr.
Estelle Pannatier, Senior Policy Managerin bei AlgorithmWatch CH, gibt zu bedenken:
Der Gesetzesentwurf des Bundesrates ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, damit wir wissen können, welche Auswirkungen Social Media und Suchmaschinen auf einzelne Menschen und die Gesellschaft haben. Gleichzeitig zeigen sich Lücken, etwa mit Blick auf generative KI-Chatbots, die vom Gesetz voraussichtlich nicht erfasst werden.»
Die Problematik der auf generativer künstlicher Intelligenz basierenden KI-Chatbots, Bild- oder Videogeneratoren wie ChatGPT wird im erläuternden Bericht des Bundesrates mit keinem Wort erwähnt.
AlgorithmWatch CH warnt:
Daneben zeigen sich gemäss der NGO verschiedene Herausforderungen, bei denen noch unklar sei, inwiefern der Gesetzesentwurf ihnen gerecht wird.
- Eine zentrale Frage stelle sich hinsichtlich des Geltungsbereichs der Regulierung. Denn der aktuelle Entwurf gelte nur für sehr grosse Plattformen, deren monatliche Nutzenden mindestens zehn Prozent der Bevölkerung der Schweiz ausmachen.
- Der Einfluss einer Plattform könne aber auch durch andere Faktoren als die User-Zahl bedingt sein, etwa durch besonders viele einflussreiche Persönlichkeiten oder Institutionen, die sich dort austauschen.
- Entsprechend fordert AlgorithmWatch CH, dass auch kleinere Plattformen nicht automatisch ausser Acht gelassen werden.
Was ebenfalls in der Vorlage fehlt, sind staatliche Massnahmen zur Bekämpfung von Desinformation, die auf den Plattformen der Techmilliardäre grassiert.
Während die Europäische Union in ihrer Social-Media-Regulierung einen Krisenreaktionsmechanismus vorsieht, der in Fällen wie Krieg, Pandemie oder Terror die Auswirkungen von Manipulation im Netz begrenzen soll, will die Schweizer Regierung darauf verzichten. Man beschränkt sich auf die Stärkung der Rechte der Nutzerinnen und Nutzer und die Erhöhung der Transparenz.
Abschliessend mahnt AlgorithmWatch CH: Die Erfahrungen mit dem Digital Services Act der EU hätten schon jetzt gezeigt, dass die Schweiz die Umsetzung «vorausschauend angehen» müsse, damit ihre Regulierung nicht einfach zum zahnlosen Papiertiger verkomme.
Quellen
- news.admin.ch: Neues Gesetz über Kommunikationsplattformen und Suchmaschinen: Start der Vernehmlassung (Medienmitteilung)
- news.admin.ch: Erläuternder Bericht zur Eröffnung des Vernehmlassungsverfahrens (PDF)
- algorithmwatch.ch: Meinungsmacht von Social Media: Bundesrat schlägt endlich Gesetz vor (Medienmitteilung)
- algorithmwatch.ch: Online-Plattformen: Rahmenbedingungen für eine konstruktive öffentliche Debatte (Positionspapier)
- Mit Material von Keystone-SDA
