Sie betreiben angeblich nur Meeresforschung, transportieren Güter und fangen Fische: Jedoch sind viele vermeintlich zivile russische Schiffe in militärische Spionage involviert, wie nordeuropäische Journalisten recherchiert haben.
Das beunruhigende Fazit der im April 2023 publizierten Berichte: Russland hat mögliche Sabotage-Akte gegen Offshore-Windkraftanlagen, Gasleitungen und Unterseekabel in Dänemark und Skandinavien vorbereitet.
Nun haben die nordeuropäischen Staaten reagiert und verstärken ihre Zusammenarbeit. Und auch das Verteidigungsbündnis NATO rüstet sich.
Mit einem geheimen Militärprogramm hat Russland in den letzten Jahren Offshore-Windparks, Gaspipelines sowie Strom- und Internetkabel in den Gewässern um Dänemark, Norwegen, Finnland und Schweden kartiert.
Zu dieser Feststellung kam ein Team von nordeuropäischen Journalistinnen und Journalisten im April. Sie arbeiten für öffentlich-rechtliche Rundfunksender in Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland und hatten sich für die gemeinsame Untersuchung zusammengeschlossen.
In mehrmonatiger Arbeit recherchierten die Medienleute an der Küste und auf dem Meer, werteten Funkverbindungen und Standortdaten aus und sprachen mit Geheimdienstvertretern und unabhängigen Fachleuten.
Ihre Quellen sagten ihnen, das aufgedeckte Militärprogramm sei von zentraler Bedeutung für Russlands Vorbereitungen auf «einen grossen Konflikt mit dem Westen».
Russland betreibt in der Nordsee eine Flotte von Schiffen, die als Fischtrawler und Forschungsschiffe getarnt sind. Sie führen Unterwasser-Überwachungsausrüstung mit und kartieren Schlüsselstellen für mögliche Sabotageakte.
Die Journalisten kamen mithilfe eines pensionierten Geheimagenten auf die Spur des russischen Forschungsschiffes Admiral Vladimirsky. Dieses Schiff bewegte sich seit Monaten durch die nordischen Gewässer – meistens mit ausgeschaltetem Satelliten-Identifikationssystem.
Die recherchierenden Journalisten gelangten in den Besitz von abgefangener Funkkommunikation der russischen Marine. Die Auswertung der Daten zeigte, wie sich die «Geisterschiffe» in den nordischen Gewässern bewegten.
Einer dänischen Filmcrew gelang es, die Position des «Forschungsschiffes» ausfindig zu machen. Als sie sich mit einem kleinen Motorboot annäherte, tauchten mit Sturmgewehren bewaffnete maskierte Männer an Deck auf.
Die Admiral Vladimirsky war nicht das einzige Schiff, das offensichtlich militärische oder nachrichtendienstliche Aufklärungsmissionen durchführte, heisst es im Bericht: Innert zehn Jahren habe man 50 russische Schiffe mit verdächtigen Bewegungsmustern identifiziert, die sie über Öl- und Gasfelder sowie in die Nähe von NATO-Übungen führten.
Nein.
Die russische Bedrohung besteht nicht nur für die nordeuropäischen Staaten, sondern auch für weiter südliche Meer-Anrainer wie Grossbritannien oder die Niederlande.
Im Herbst 2022 wurde ein russisches Marineschiff bei Offshore-Windparks und anderen kritischen Infrastrukturen vor Belgien und den Niederlanden beobachtet. Laut Berichten war es wahrscheinlich die Admiral Vladimirsky. Dies habe eine Geheimdienstquelle gegenüber DR bestätigt.
Entspannt hat sich die Lage nicht. Im Gegenteil.
Der russische Ex-Präsident Medwedew droht am Mittwoch mit der Zerstörung der Kabelverbindungen zwischen Europa und den USA. Dies als Reaktion auf unbestätigte Medienberichte, wonach eine Spur für die Attacken auf die Nord-Stream-Pipelines in die Ukraine führe und westliche Geheimdienste vorab über die Anschlagspläne informiert gewesen seien.
Der Vizechef des russischen nationalen Sicherheitsrates äusserte die bei Twitter verbreitete Drohung in seinem Telegram-Kanal. Anzumerken ist, dass Medwedew immer wieder versucht, mit kruden öffentlichen Drohungen bei russischen Ultranationalisten und Kriegstreibern zu punkten.
Abgesehen von den russischen Drohgebärden, die seit der Invasion im Februar 2022 fast schon normal sind, gab es zuletzt auch reale Entwicklungen, die Besorgnis erregen.
Der britische Marineexperte H. I. Sutton wies kürzlich darauf hin, dass Russland an einem wichtigen Marine-Stützpunkt in der Arktis Verteidigungsanlagen platziere.
Es sei nicht klar, warum Russland dies tue. Der Stützpunkt liege Tausende Kilometer vom Schwarzen Meer entfernt, wo ukrainische Meeresdrohnen eine Bedrohung seien.
Es ist die Heimat russischer Spionage-U-Boote, Fachleute sprechen von der GUGI-Flotte. Das Kürzel steht für Glavnoye Upravlenie Glubokovodnikh Issledovanii – Hauptdirektion für Tiefseeforschung – ein geheimer Zweig der Marine.
Die dortigen U-Boote sind auf die Meeresboden-Kriegsführung («Seabed Warfare») spezialisiert, auf Angriffs- und Verteidigungseinsätze in mehr als 200 Metern Tiefe. Dafür verfügen die Atom-U-Boote über einen Rumpf aus Titan.
Nun haben die Russen in Olenya Guba also begonnen, Unterwasser-Verteidigungsbarrieren zu platzieren. Laut Sutton könnte das darauf hindeuten, dass man die Infiltration durch Unterwasserdrohnen der US-Marine befürchtet.
Der Stützpunkt sei auch die Heimat des berüchtigten Spionageschiffes Yantar, das im Verdacht stehe, Operationen bei Tiefsee-Internetkabeln durchgeführt zu haben.
Das westliche Verteidigungsbündnis will mit einer neuen Spezialeinheit für den besseren Schutz von Pipelines und anderer kritischer Infrastruktur in den Meeren sorgen.
Es gehe darum, das Lagebild und die maritime Präsenz zur Abschreckung und Verteidigung zu stärken, sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch in Brüssel.
Das neue «Maritime Zentrum für die Sicherheit kritischer Unterwasser-Infrastruktur» soll beim Marinehauptquartier Marcom in Northwood bei London angesiedelt werden. Er erwarte eine entsprechende Entscheidung beim Treffen der Verteidigungsminister, das diese Woche stattfindet.
Zuletzt hatte die NATO bereits in Brüssel eine Koordinierungszelle für einen besseren Schutz von Pipelines und anderer kritischer Infrastruktur eingerichtet.
Der Aufbau erfolgte in Reaktion auf die Sabotageakte gegen die Erdgasleitungen Nord Stream 1 und Nord Stream 2.
Ziel ist am Ende eine bessere Überwachung besonders gefährdeter Pipelines oder Unterwasser-Kabel – zum Beispiel auch mit Unterwasserdrohnen oder U-Booten.
Zehn nordeuropäische Staaten wollen ihre Infrastruktur auf hoher See gemeinsam besser vor drohender Sabotage schützen. Das vereinbarten die Verteidigungsminister dieser Länder am vergangenen Dienstag in Amsterdam.
Die zehn Länder – Grossbritannien, die Niederlande, Norwegen, Schweden, Dänemark, Island, Estland, Finnland, Lettland und Litauen – hatten sich 2018 zusammengeschlossen. Das Bündnis mit dem Namen Joint Expeditionary Force (JEF) wird von Grossbritannien geleitet.
Wichtige Pipelines, Windparks oder Kabel im Meer würden immer häufiger Angriffsziele, sagte die niederländische Verteidigungsministerin Kajsa Ollongren in Amsterdam. «Wir haben dafür in den vergangenen Monaten viele Beispiele gesehen, wie etwa die Sabotage von Nord-Stream.»
Die Ministerin erinnerte auch daran, dass russische Schiffe zu Beginn des Jahres Informationen über Windparks in der Nordsee gesammelt hätten (dazu unten mehr).
Die Minister vereinbarten, Informationen über Bedrohungen auszutauschen. Auch wollen sie die Präsenz auf hoher See besser aufeinander abstimmen, wie aus der gemeinsamen Erklärung hervorgeht. Beim Schutz der Infrastruktur soll auch mit der Industrie zusammengearbeitet werden.
Die russischen Aktivitäten in diesem Bereich seien auf dem höchsten Niveau seit dem Kalten Krieg: Dies sagte NATO-Generalsekretär Stoltenberg Ende 2017.
Hochrangige Vertreter des westlichen Verteidigungs- und Sicherheitsbündnisses äusserten sich schon damals besorgt über zunehmende Aktivitäten russischer U-Boote.
Vor allem hielten sich russische U-Boote immer häufiger in der Nähe wichtiger Datenkabel im Nordatlantik auf. Russland zeigte schon damals ein klares Interesse an der Unterwasser-Infrastruktur der NATO und von NATO-Ländern.
Im Februar dieses Jahres veröffentlichte der niederländische Geheimdienst eine ungewöhnliche offizielle Warnung vor russischen Aktivitäten, die auf die Vorbereitung einer Störung oder Sabotage der «Meeresinfrastruktur» hindeuten.
Der Chef des Militärgeheimdienstes erklärte, ein russisches Schiff sei in der Nähe eines Windparks in der Nordsee entdeckt worden und habe Standorte kartiert.
Die russischen Botschaften in Kopenhagen, Stockholm und Helsinki wollten trotz wiederholter Anfragen nicht zu den in der skandinavischen Dokumentation aufgedeckten Zuständen und Ereignissen Stellung nehmen, heisst es am Ende des Videos.
Russlands Botschafter in Oslo schrieb in einer E-Mail, dass norwegische Behörden Russland regelmässig Spionage, Einflussnahme, Hackerangriffe und hybride Bedrohungen vorwerfen würden, ohne Beweise vorzulegen.
In der Folge wiesen russische Beamte die in den Berichten geäusserten Vorwürfe als unbegründet zurück, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete.
Die Aufklärung «sensibler Orte» sei nicht ungewöhnlich, und westliche Länder würden wahrscheinlich ähnliche Aktivitäten gegen Russland durchführen, hiess es weiter.
Das wäre ein Ausfall des Internets in Europa. Und damit verbunden massive volkswirtschaftliche Schäden. Allenfalls ein Börsen-Crash mit verheerenden globalen Folgen.
Sicher ist: Europa würde hart getroffen.
Zwar sind fast alle Regionen redundant über mehrere Glasfaserleitungen (Land und Meer) verbunden, ein Ausfall könnte aber zu grossflächigen Kapazitätsengpässen und in weniger fortschrittlichen Regionen zu Totalausfällen fuhren, wie es in einem Bericht des deutschen Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) von 2022 heisst.
Die BSI-Fachleute beurteilten das Schadenspotenzial in verschiedener Hinsicht als bedenklich hoch:
Es werden aber auch zunehmend Stromleitungen am Meeresboden verlegt – nicht nur von Offshore-Windenergieanlagen zum Festland, sondern auch über weitere Strecken. Das Durchtrennen könnte – bei einer Verkettung von unglücklichen Umständen – zu einem Blackout führen.
Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA