
Friedlicher Protest auf dem Bundesplatz in Bern: Die Landesregierung soll die Regulierung grosser Online-Plattformen nicht weiter verzögern.Bild: zvg
Persönlichkeiten und Organisationen aus der Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik appellieren an die Schweizer Regierung, TikTok und Co. an die Kandare zu nehmen. Abwarten sei keine Lösung.
08.05.2025, 19:1009.05.2025, 07:39
Auf dem Bundesplatz in Bern haben sich am Mittwoch Vertreterinnen und Vertreter einer breiten zivilgesellschaftlichen Allianz getroffen, um öffentlichkeitswirksam gegen das zögerliche Verhalten des Bundesrates zu protestieren. Konkret steht die Schweizer Landesregierung in der Kritik, weil sie die längst fällige Regulierung grosser Online-Plattformen aufgeschoben hat.
Warum ist das wichtig?
Dazu hält die zivilgesellschaftliche Allianz fest:
«Die intransparenten Algorithmen und willkürlichen Regeln auf Online-Plattformen sowie die Konzentration von Markt- und Meinungsmacht bei den wenigen Technologieunternehmen dahinter stellen eine Gefahr dar – für unsere öffentliche Debatte, für das Wohlergehen und die Grundrechte einzelner Nutzenden.»
Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner des offenen Briefes (siehe unten) fordern vom Bundesrat, er müsse sich jetzt «unmissverständlich für den Schutz der Grundrechte der Bevölkerung, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine konstruktive öffentliche Debatte auf Online-Plattformen aussprechen». Ausserdem solle die Regierung einen Fahrplan für die seit Langem angekündigte Plattformregulierung vorlegen.
Am 16. April war publik geworden, dass der Bundesrat das Vorhaben auf unbestimmte Zeit verschoben hat – wohl um die US-Regierung unter Präsident Donald Trump nicht zu erzürnen. Ein entsprechender Beschluss wurde schon mehrfach hinausgezögert.
Um welche Plattformen geht es?
Im Visier sind die marktbeherrschenden Techkonzerne und grossen Social-Media-Plattformen wie Instagram, X, LinkedIn, YouTube oder TikTok, aber auch die führenden Suchmaschinen wie Google oder Bing, in die zunehmend auch KI-Chatbots integriert werden.
Wer steht hinter der Allianz, die den Bundesrat zum Handel auffordert?
Es sind vier nicht-staatliche, gemeinnützige Organisationen:
- AlgorithmWatch CH – eine zivilgesellschaftliche Organisation, die sich gemäss eigenen Angaben dafür einsetzt, «dass Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) Gerechtigkeit, Demokratie, Grundrechte und Nachhaltigkeit stärken, statt sie zu schwächen».
- Digitale Gesellschaft Schweiz (DigiGes) – ein 2011 gegründeter Verein für Bürger- und Konsumentenschutz im digitalen Zeitalter, der die Grundrechte in einer digital vernetzten Welt verteidigen will.
- CH++ ist ein 2021 vom EPFL-Professor Marcel Salathé und weiteren Persönlichkeiten gegründeter Verein, der die wissenschaftlichen und technologischen Kompetenzen von Politik, Behörden und Gesellschaft stärken will.
- OpenData.ch – ein 2012 gegründeter Verein, der sich für die Stärkung von Transparenz, Partizipation und Innovation in der Schweiz einsetzt.
Warum soll die Macht der Plattformen eingedämmt werden?
In einem im Februar 2025 veröffentlichten Positionspapier hält Algorithmwatch fest:
«Inhalte, die Menschen schaden oder die Meinungsbildung beeinträchtigen können, werden durch intransparente Algorithmen auf Plattformen verbreitet. Erstellt werden können diese heute unter anderem auch mithilfe von generativen KI-Systemen, etwa im Falle von Deepfakes.»
Ausserdem seien die Regeln, die auf den besagten Online-Plattformen gelten, nicht verlässlich und nachvollziehbar, sondern oft willkürlich und abhängig von den Launen, Geschäftsinteressen und politischen Zwängen ihrer Eigentümer. Dazu zählen US-Techmilliardäre wie Mark Zuckerberg (Meta) oder Elon Musk (X).
Was soll sich ändern?
In dem Positionspapier macht die Allianz auch konkrete Verbesserungsvorschläge, was sich ändern soll, und wie die Verantwortlichen der relevanten Plattformen in die Pflicht genommen werden sollen.
- Transparenz und Risikominimierung: Die Plattformbetreiber sollten verpflichtet werden, die Risiken für Grundrechte, Gesellschaft und Demokratie regelmässig zu untersuchen und konkrete Massnahmen zu ergreifen, um diese Risiken zu mindern.
- Unabhängige Aufsicht: Die Plattformbetreiber sollten verpflichtet werden, «einen zuverlässigen, rechtlich abgesicherten Zugang zu ihren Daten zur Verfügung zu stellen», für Forschung im öffentlichen Interesse durch die Wissenschaft, zivilgesellschaftliche Organisationen und Journalisten sicherzustellen.
Damit will man eine auf Fakten basierende gesellschaftliche Diskussion über die Plattformen ermöglichen:
«Unser Ziel muss sein, eine konstruktive öffentliche Debatte zu ermöglichen: eine Debatte, die förderlich ist für die Gesellschaft und die Demokratie, positiv für die Einzelnen und fair für alle.»
Was genau steht in dem offenen Brief?
Hier der Text im Original-Wortlaut, leicht gekürzt.
Sehr geehrter Herr Bundesrat Rösti, sehr geehrte Mitglieder des Bundesrates
Der Bundesrat hat am 16. April 2025 entschieden, den seit über einem Jahr angekündigten Gesetzesentwurf zur Regulierung von Social Media und Suchmaschinen wie Instagram, X oder Google weiter hinauszuzögern.
Die Unterzeichnenden bedauern diese erneute Verzögerung. Sie fordern den Bundesrat auf, sich jetzt unmissverständlich für den Schutz der Grundrechte der Schweizer Bevölkerung, für gesellschaftlichen Zusammenhalt und eine konstruktive öffentliche Debatte auf Online-Plattformen auszusprechen und einen Fahrplan für die lange angekündigte Plattformregulierung vorzulegen.
Die intransparenten Algorithmen und willkürlichen Regeln auf Online-Plattformen sowie die Konzentration von Markt- und Meinungsmacht bei den wenigen Technologieunternehmen dahinter stellen eine Gefahr dar – für unsere öffentliche Debatte, für das Wohlergehen und die Grundrechte einzelner Nutzer*innen, für den Zugang zu verlässlicher Information und damit für eine informierte Meinungsbildung.
Es ist klar, dass diese Verzögerung vor dem derzeitigen geopolitischen Kontext zu betrachten ist. Doch statt in die staatliche Handlungsfähigkeit und die digitale Souveränität der Schweiz zu investieren und Abhängigkeiten von US-Konzernen zu reduzieren, nimmt der Bundesrat mit seiner Verzögerung in Kauf, genau diese Abhängigkeiten weiter zu zementieren. Dies steht in einem Widerspruch zum Interesse der Schweizer Bevölkerung an informierter Meinungsbildung, verlässlicher Information und einer konstruktiven öffentlichen Debatte.
Die Unterzeichnenden fordern den Bundesrat auf, sich zu unseren Grundrechten und unserer Demokratie zu bekennen und einen klaren Fahrplan vorzulegen, wie er gedenkt, Social Media stärker zu einem Ort zu machen, an dem ein konstruktiver Dialog stattfinden kann, an dem Menschen aller Altersgruppen teilnehmen und der informierten Meinungsbildung befördert.
Gerade in unserer direkten Demokratie brauchen wir eine Debatte, die uns Zugang zu verlässlicher Information gibt, den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt und dabei die Grundrechte von Einzelpersonen achtet.
Die Unterzeichnenden aus der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft fordern den Bundesrat auf, ein klares Bekenntnis abzugeben, dass er bereit und willens ist, der Schweizer Bevölkerung eine konstruktive öffentliche Debatte online zu ermöglichen und einen Fahrplan zur Plattformregulierung vorzulegen.
Wir danken Ihnen für Ihre Kenntnisnahme und Ihre Bemühungen.
Der offene Brief sei innert weniger Tage von 24 Organisationen, 1600 Menschen und 40 prominenten Erstunterzeichnenden unterstützt worden. Darunter befänden sich Mitglieder aller Bundeshausfraktionen.
Quellen
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Chinas heimliche Propaganda-Armee: westliche Influencer
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quelle: ap / ng han guan
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