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Analyse

Wie Europa den digitalen Faschismus à la Zuckerberg bekämpfen kann

In einem Video teilt Meta-Chef Mark Zuckerberg mit, dass Meta Faktenchecks in den USA abgeschafft wird und kritisiert EU-Digitalgesetze als Zensur
Wieso lässt die Politik Facebook und Co. so viel durchgehen?Bild: imago-images.de
Analyse

Wie die Schweiz den digitalen Faschismus à la Zuckerberg bekämpfen kann

Die marktbeherrschenden Social-Media-Plattformen der amerikanischen und chinesischen Techkonzerne sind das perfekte Werkzeug für Demokratiefeinde. Das muss sich auf politischem Weg ändern.
26.01.2025, 13:2828.01.2025, 08:19
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«Hätte es Facebook in den 1930er-Jahren gegeben, hätte es Hitler für seine Lösung der Judenfrage werben lassen.»
Sacha Baron Cohen

Viele kennen ihn von schrillen Filmauftritten, als «Borat» oder «Ali G». Doch der britische Schauspieler Sacha Baron Cohen hat auch ein feines Gespür für die dunklen Seiten des Internet-Zeitalters. Schon 2019 warnte er vor der «grössten Propagandamaschine der Geschichte». Und meinte damit Facebook und Co.

Borat at the Conservative Political Action Conference (CPAC) February 27, 2020 - Oxon Hill, MD, United States: Sacha Baron Cohen dressed up as President Donald Trump holding a woman on his shoulder di ...
Sacha Baron Cohen, verkleidet als Trump, 2020.Bild: imago-images.de

Keine fünf Jahre später wissen wir, dass Cohen richtig lag. Die grossen Social-Media-Plattformen sind das bewährte Werkzeug für extremistische Kräfte, die nicht weniger als die Demokratie beseitigen wollen.

In ihrem 2020 veröffentlichten Sachbuch «Digitaler Faschismus» (siehe Quellen) beschreiben die beiden deutschen Wissenschaftler Maik Fielitz und Holger Marcks, wie aus den Social-Media-Plattformen «ein Motor für die Rechtsextremen» werden konnte.

«Politische Halbwahrheiten, Falschmeldungen, Desinformationen und Hassbotschaften sind zu einem bedeutenden Teil der digitalen Kommunikation geworden, auch weil das Geschäftsmodell der sozialen Medien sie nicht nur zulässt, sondern regelrecht danach verlangt.

Denn den Betreibern der Plattformen, deren Kapital aus dem Traffic von Informationen erzeugt wird, geht es primär darum, dass Inhalte – egal welcher Art – möglichst schnell und weit Verbreitung finden, ohne auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft zu werden.»

Egal, ob amerikanische Tech-Oligarchen wie Mark Zuckerberg, Elon Musk oder Jeff Bezos davon profitieren – oder wie bei TikTok das autoritäre Regime in Peking: Zu wenig regulierte Plattformen schaden der Gesellschaft. Sie gefährden den Zusammenhalt und die Demokratie.

Wieso digitaler Faschismus?
Der Konfliktforscher Maik Fielitz und der Sozialwissenschaftler Holger Marcks haben in ihrem Buch «Digitaler Faschismus» die politische Kommunikation der extremen Rechten analysiert. Sie weisen auf Parallelen zwischen dem historischen Faschismus (Hitler/Mussolini) und dem aktuellen Geschehen hin. Heute wie damals beschwöre man «Szenarien des nationalen Niedergangs oder gar Untergangs, um sich als Retter der bedrohten Nation inszenieren zu können».

Der klassische Faschismus gehörte «zu den eifrigsten Nutzern» damals neuer Technologien wie Film und Radio. Und auch heute sei unverkennbar, dass sich die Demokratiefeinde Massen-Technologien wie Social Media und Messenger-Dienste zunutze machten, um ihre Mythen der nationalen Bedrohung zu verbreiten und sich gegenseitig in ihnen zu bestärken.

Von alternativen Fakten zur Meinungsdiktatur

Trumps Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway erfand 2016 die Bezeichnung «alternative Fakten», um die stetigen Lügen-Orgien ihres Chefs zu verharmlosen.

Und nun kündigte Zuckerberg kurz vor der Rückkehr Trumps ins Weisse Haus an, dass der Facebook-Konzern bei der Bekämpfung von Falschbehauptungen auf seinen Plattformen kapituliert und unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit mehr Lügen und Hass zulässt.

Die Techkonzerne – respektive deren Eigentümer – tragen wegen des Einflusses ihrer Plattformen auf die Gesellschaft eine grosse Verantwortung. Und wenn sie dieser Verantwortung nicht mehr gerecht werden wollen, stellt sich für uns die dringliche Frage, warum wir ihnen solch eine Macht überhaupt noch zugestehen?

Anzumerken ist, dass der Meta-Konzern schon bislang viel zu wenig unternommen hat, um Desinformation und Hass auf seinen Plattformen zu bekämpfen. Darum ist es kein Trost, dass die Faktenchecker in Europa laut Versprechen von Meta vorläufig bleiben sollen.

Tatsächlich sind wir wegen der toxischen Kombination von Social-Media-Plattformen und Rechtspopulismus mit einer besonderen Bedrohungslage konfrontiert. Der deutsche Medienwissenschaftler Martin Andree bringt das Problem in einer Analyse auf den Punkt:

«Die Plattformen boosten emotionale und aufrührerische Inhalte, die viel Aufmerksamkeit binden, algorithmisch. Inhalte mit Hass, Hetze und Häme werden dort also verstärkt ausgespielt. Die Digitalkonzerne unterstützen so die Radikalisierung von Positionen ebenso wie die Polarisierung in unserer Gesellschaft.»
quelle: fes.de

Schon vor dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten musste die Welt mitverfolgen, wie Donald Trump und seine willigen Helfer die USA umkrempeln und dabei die reichweitenstärksten Social-Media-Plattformen für ihre Zwecke instrumentalisieren. Was auffällt: Sie attackieren auch vermehrt die Institutionen, die gemeinhin als die vierte Gewalt bekannt sind: die Medien. Denn diese sind unverzichtbar für demokratische Staaten.

Es gibt keine funktionierende Demokratie ohne freie und unabhängige Medien. Oder kennst du eine?

Journalistinnen und Journalisten schaffen Transparenz, prangern Missstände an und tragen entscheidend zur politischen Meinungsbildung bei. Wer die Medien aus dem Weg räumt, hat freie Hand. Dies zeigt sich in allen autoritären Staaten – von China bis Russland.

Wenn Extremisten an die Macht kommen, ist es vorbei mit der Meinungsäusserungsfreiheit, für die sie sich so lauthals eingesetzt hatten. Das ist heute schon am Verhalten von Elon Musk zu erkennen. Der reichste Mann der Welt hat aus Twitter eine Waffe gemacht, mit der er unliebsame Personen verunglimpft und attackiert. Zudem führt (begründete) Kritik an ihm dazu, dass man bei X an Reichweite verliert oder gar ausgesperrt wird.

Musk hat bei X diverse Länder aufs Übelste attackiert und unter anderem die demokratisch legitimierten Regierungsparteien in Deutschland und Grossbritannien verunglimpft. Der gesellschaftliche Widerspruch auf seiner eigenen Plattform verhallt wirkungslos, weil der Techmilliardär die Algorithmen kontrolliert und damit die Aufmerksamkeit nach eigenem Gusto steuert.

Fragt sich, warum wichtige Persönlichkeiten wie die Schweizer Bundespräsidentin, Bundesrätin Karin Keller-Sutter, und die meisten ihrer Amtskolleginnen und -kollegen eine zunehmend toxische Plattform mit ihrer Präsenz weiter unterstützen.

Medien im Würgegriff der Techkonzerne

Das Perverse an der heutigen Situation in der Schweiz und allen demokratischen Staaten ist, dass es wegen der Übermacht der Plattformbetreiber keine autoritären Regierungen braucht, um die journalistische Arbeit der redaktionellen Medien massiv zu beeinträchtigen.

Wenn wir die marktbeherrschenden Digitalkonzerne nicht an die Leine legen, kommt uns das als Gesellschaft teuer zu stehen.

Die vom Bundesrat beauftragten Expertinnen und Experten, die die «Plattformmacht» der grossen Techkonzerne untersucht haben, schlugen kürzlich Alarm.

Allen voran Google, Meta, Microsoft, Apple und Amazon haben mit ihren Plattformen eine gefährliche Position erreicht. Sie binden die grosse Mehrheit der User an sich und lassen der Konkurrenz keine faire Chance.

Die Abschaffung des Wettbewerbs in wichtigen digitalen Märkten hat gravierende Konsequenzen, wie sich die Fachleute einig sind. Denn dadurch verlieren die Medien zunehmend ihre Finanzierungsgrundlage.

Dazu der deutsche Medienwissenschaftler Andree:

«Schon jetzt liegt in den Ländern der westlichen Welt der Anteil der grössten drei Digitalmonopolisten (Alphabet, Meta und Amazon) an den gesamten digitalen Werbeeinnahmen in einem Korridor zwischen 80 und 90 Prozent – wohingegen sich tausende weitere Medienunternehmen mit den verbleibenden 10 bis 20 Prozent begnügen müssen.»

Die Fachleute von der Eidgenössischen Medienkommission (Emek) geben zu bedenken, dass die Medien darauf angewiesen seien, dass ihre Inhalte über Suchmaschinen und Social Media angezeigt werden. Dies, weil sich viele Nutzerinnen und Nutzer heute nicht mehr direkt bei den Medien informieren, sondern via Plattformen.

Während Redaktionen die berichtenswerten Themen und Inhalte hauptsächlich nach professionellen journalistischen Kriterien auswählen und bei fehlerhafter Berichterstattung haften, verbreiten die Social-Media-Plattformen ungestraft Lügen, Hass und Hetze.

Durch die Empfehlungsalgorithmen werden insbesondere emotionale Inhalte stark verbreitet. Die Vorstellung einer angeblichen «Neutralität» der Plattformen sei deshalb irreführend, erklärt Andree.

Was würde helfen?

Medienwissenschaftler Andree findet in seiner Ende 2024 publizierten Analyse deutliche Worte, was die Bedrohung durch Facebook und Co. betrifft:

«Die Plattformen schädigen weiterhin ungestört unsere Demokratien, weil wir es ihnen erlauben.»

Doch das lässt sich auf politischem Weg ändern. Ja, es muss sich ändern, wie die Eidgenössische Medienkommission Emek in ihrem Bericht schreibt: Die Markt- und Meinungsmacht der grossen Techkonzerne sollte mit einer umfassenden Strategie geknackt werden.

Auch der deutsche Medienwissenschaftler Andree schlägt in seiner Analyse mit dem Titel «The Hunger Games» mehrere Massnahmen vor, um die Quasi-Monopole von Google und Co. aufzuweichen.

Ein Hauptproblem bei Social-Media-Plattformen besteht bekanntlich darin, dass die Plattformbetreiber nicht für die von den Usern generierten Inhalte haften.

Der plausible Vorschlag von Andree:

«Wir sollten den Plattformen verbieten, spezifische strafbare Inhalte zu monetarisieren (in der Regel durch Werbung), wenn sie dafür nicht die volle Haftung übernehmen.»

Wer «wirtschaftliche Verantwortung» für konkrete Inhalte übernehme, indem er Werbegelder kassiere, müsse auch die volle inhaltliche Verantwortung übernehmen. Dies entspräche den Bedingungen, unter denen alle redaktionellen Medien (wie watson) seit je arbeiten.

Andree erklärt, dass eine solche Regelung das aktuelle Problem lösen würde, dass die Social-Media-Plattformen unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit «nach wie vor ungestört strafbare Inhalte zu Geld machen».

Zugleich wäre durch die Regelung die Meinungsfreiheit nicht betroffen, denn nicht die Verbreitung, nur die Monetarisierung strafbarer Inhalte würde unterbunden.

Auch medienökonomisch sei die Unterscheidung zwischen herkömmlichen Medien und Social-Media-Plattformen irreführend, argumentiert Andree. Denn die Plattformbetreiber erzielten ihre Gewinne strukturell auf dieselbe Weise wie redaktionelle Medien.

PS: Und jetzt?

Die hiesige Politik hat die Verantwortlichen, also die amerikanischen (und chinesischen) Techkonzerne, schon viel zu lange gewähren lassen – und beobachtete das Treiben scheinbar hilflos vom Spielfeldrand.

Immerhin startet nun bald die öffentliche Vernehmlassung für eine vom Bundesrat angestrebte Plattformregulierung. Ziel ist es, sich der Europäischen Union mit ihren strengeren Regeln anzunähern. Doch das wird nicht reichen, wie auch die vom Bundesrat eingesetzte Eidgenössische Medienkommission bestätigt hat.

Innerhalb der EU gilt seit 2024 der Digital Services Act (DSA), der die Konsumentenrechte stärkt. Bereits seit 2023 gilt der Digital Markets Act (DMA), der die übermächtigen Techkonzerne in die Pflicht nimmt. Doch das Grundproblem der ungleichen Spiesse bleibt dabei ungelöst. Und mit Trump als US-Präsident wird sich der politische Druck auf die EU-Kommission, die US-Plattformen davon kommen zu lassen, massiv erhöhen.

Sicher ist: Wir müssen mehr tun, wenn wir die Demokratie, wie wir sie heute schätzen, bewahren wollen.

Quellen

«Ich stelle mein Handy nie auf lautlos» – Oksana erzählt von ihrem Leben seit der Flucht

Video: alina kilongan, nico bernasconi
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162 Kommentare
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CISG
26.01.2025 14:49registriert Oktober 2023
Ich halte mich für einen offenen Menschen der mit der Zeit geht. Internet, E-Mail, Natel habe ich seit den Neunzigern. Ich bezahle hauptsächlich bargeldlos, nutze easyride und gehe nur für Einschreiben&Pakete zur Post. Und seit fast schon einem Jahr nutze ich rege die KI.

Doch Facebook, X, Tiktok etc. habe ich nie genutzt. Was hätte ich denn davon? Diese angeblich sozialen Medien sind asozial und bei Mobbern beliebt. Reine Zeitvergeudung und Manipulation durch hinterlistige Algorithmen usw.

Verbietet sie! Ebenso Handys an Schulen. Alkohol und Tabak gibt’s schliesslich auch erst ab 18!
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Alnothur
26.01.2025 14:21registriert April 2014
Ich verstehe nicht, warum um die Abschaffung der (sowieso ziemlich nutzlosen) Faktenchecker bei Facebook so ein Trara gemacht wird - «Community Notes» sind sowieso die erwiesenermassen bessere Lösung, und das grosse Problem sind die Algorithmen, wie in diesem Artikel angesprochen.
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The Destiny // Team Telegram
26.01.2025 16:10registriert Mai 2014
Die Rede ist von Technofaschismus, aber wie hier gerade haufenweise Kommentare transparent, teilweise komplett, gelöscht werden, welche gegenüber des Autors kritisch sind, verleiht dem Thema eine bittere Note.
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