Kommt es innerhalb der Rechten Grossbritanniens zu einem Kampf um die Vormachtstellung? Eine Woche nach dem überaus erfolgreichen Parteitag der Reform-Party von Nationalpopulist Nigel Farage mobilisierte am vergangenen Samstag der Rechtsextremist Tommy Robinson bis zu 150'000 Menschen zu einem Protestmarsch in London. In einem Meer britischer und englischer Fahnen protestierten sie gegen Einwanderer und gegen jegliche Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Robinsons Aufrufe für die Gross-Demo sprachen vorab von einer «Stellungnahme gegen die Tyrannei» und für die Meinungsfreiheit. Was der verurteilte Rechtsextremist, der sich selbst als Journalist bezeichnet, darunter versteht, geht aus Äusserungen seiner Website «Urban Scoop» hervor: Die herrschende Klasse finanziere «Transgender-Operationen, Dschihadisten und die Nazi-Milizen in der Ukraine». Geplant sei die Verdrängung der indigenen Bevölkerung.
Offenbar finden solche Parolen zunehmend Anklang in Teilen der Bevölkerung, zumal Robinson und seine Gesinnungsgenossen die rechtsextremen Parolen geschickt in patriotische Symbole hüllen. So stand der Protestzug unter dem Motto «Unite the Kingdom», ein Wortspiel mit der offiziellen Bezeichnung Grossbritanniens als «vereinigtes Königreich». Über den Sommer hatten Robinson und seine assoziierten Organisationen die Kampagne «Fly the Flag» propagiert. Vielerorts, aber besonders vor Asyl-Unterkünften, wurden der britische Union Jack sowie die englische Georgsflagge gehisst.
Auf der Kundgebung sprach Robinson von einer «Revolution, die sich nicht stoppen lässt». Als Überraschungsredner trat der Milliardär und Besitzer der Plattform X, Elon Musk, auf. Gegen die «Zerstörung des Landes» durch zu viele Einwanderer gebe es nur die Alternative «Kämpfen oder Sterben». Als sei dies noch nicht deutlich genug, sagte er den jubelnden Fahnenschwenkern: «Ob ihr Gewalt wählt oder nicht, Gewalt kommt ohnehin. Entweder kämpft ihr oder ihr sterbt, das ist die Wahrheit.»
Der 54-Jährige trat zudem für einen Regierungswechsel ein. Die Zeit bis zur nächsten Unterhauswahl «vier Jahre, oder wann auch immer», sei zu lang: «Etwas muss getan werden. Das Parlament muss aufgelöst werden, es muss Neuwahlen geben.»
Ohne auf Musks Gewalt-Fantasien und Wahl-Empfehlungen einzugehen, sprach der Premierminister vom Demonstrationsrecht als «Kern unserer Werte». Angriffe auf Polizisten oder die Einschüchterung von Bürgern aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft aber werde er nicht dulden: «Unsere Flagge repräsentiert unser Land, das auf Toleranz, Diversität und Respekt basiert. Wir werden sie niemals aufgeben für jene, die sie als Symbol für Gewalt und Angst missbrauchen.»
Während der Demonstrationszug und die anschliessende Kundgebung weitgehend friedlich verliefen, kam es zu Auseinandersetzungen an der Stelle, wo die Polizei die Marschierer und anti-rassistische, teils maskierte Gegendemonstranten voneinander fernhalten musste. Die Robinson-Jünger warfen mit Flaschen und Bierdosen. 24 Beamte erlitten Kopfverletzungen und ausgeschlagene Zähne. 25 Menschen wurden wegen Delikten von Widerstand gegen die Staatsgewalt und Landfriedensbruch bis zu Körperverletzung festgenommen.
Innenministerin Shabana Mahmood bedankte sich bei den Ordnungshütern für deren «harte Arbeit». Das Demonstrationsrecht gehöre «fundamental zu unserer Nation», aber Gewalttäter würden «mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgt».
Robinson, 42, hat mehrfach Zeit im Gefängnis verbracht. Zuletzt wurde der Agitator mit mehr als einer Million Kontakten auf den sozialen Netzwerken vom High Court wegen Missachtung eines Gerichtsverbots verurteilt. Nach sechs Monaten durfte er das Gefängnis vorzeitig verlassen, im Gegenzug gegen die Beteuerung, in Zukunft die Gerichtsauflagen einzuhalten.
Nicht zuletzt wegen solcher Gesetzesverstösse und der Nähe zu gewalttätigen Neonazis hat sich Nigel Farage stets von Robinson distanziert. Darüber kam es zu Jahresbeginn zum Zerwürfnis mit Musk, nachdem dieser Farages Reform-Party eine Millionenspende in Aussicht gestellt, gleichzeitig aber von Robinson als einem «politischen Gefangenen» gesprochen hatte. Farage benutzt zwar selbst markige Parolen gegen irreguläre Einwanderer und hält das vermehrte Fahnenschwenken für patriotisch, zieht aber eine scharfe Trennlinie zu Neonazis und Rechtsextremen, als deren Galionsfigur Robinson auftritt.