Am 8. März 2014 verschwand Flug MH370, eine Boeing 777 von Malaysia Airlines, auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking. Mit 239 Menschen an Bord.
Fast 11 Jahre später ist das grösste Rätsel in der Geschichte der zivilen Luftfahrt noch immer ungelöst. Für die Angehörigen eine unhaltbare Situation.
Um die Katastrophe ranken sich bis heute Verschwörungserzählungen und wilde Spekulationen. Es gibt aber auch unabhängige Fachleute in aller Welt, die gewissenhaft neue Fakten zusammentragen und sich für die lückenlose Aufklärung des Falles einsetzen.
Am 20. Dezember 2024 informierte die Regierung von Malaysia, dass die Suche nach dem Flugzeugwrack wieder aufgenommen werden soll. Und zwar durch die Meeresrobotik-Firma Ocean Infinity, die auf die Kartografierung des Meeresbodens spezialisiert ist und über die nötige Hightech-Ausrüstung verfügt.
Es gibt allerdings ein in jeglicher Hinsicht beunruhigendes Problem: Die malaysische Regierung scheint nicht an einer raschen Aufklärung interessiert zu sein.
watson konnte mit dem pensionierten britischen Luft- und Raumfahrtingenieur Richard Godfrey sprechen. Der in Deutschland lebende MH370-Experte hat sich intensiv mit den Hintergründen der Katastrophe befasst und steht auch in Kontakt mit Angehörigen. Und er gilt als einer der Väter einer neuartigen und potenziell bahnbrechenden Flugzeug-Ortungs-Technik, die vielleicht die entscheidenden Hinweise zu MH370 liefert.
Obwohl die Finanzierung gesichert und die Planung einer neuen MH370-Suche abgeschlossen ist, verzögert sich das Vorhaben aus fragwürdigen Gründen. Und dabei steht die Regierung von Malaysia im Zentrum.
Der malaysische Verkehrsminister Anthony Loke gab am 20. Dezember 2024 öffentlich bekannt, dass die malaysische Regierung einer neuen Suche von Ocean Infinity «grundsätzlich» zugestimmt habe. Er sagte, es müssten nur noch die Bedingungen festgelegt werden.
Tatsächlich trägt Malaysia kein finanzielles Risiko. Das Privatunternehmen Ocean Infinity übernimmt die Kosten der Unterwasser-Suche. Vorgesehen ist ein sogenannter «No Find, No Fee»-Vertrag. Nur wenn das Wrack gefunden wird, soll der malaysische Staat eine Erfolgsprämie von bis zu 70 Millionen US-Dollar bezahlen.
In einem Interview, das der renommierte Aviatik-Journalist Geoffrey Thomas kürzlich mit Richard Godfrey führte, ist jedoch von einer «unverantwortlichen Hinhaltetaktik» der malaysischen Regierung die Rede.
Gegenüber watson bekräftigt der MH370-Experte einen bösen Verdacht, der sich immer stärker aufdrängt:
Anzumerken ist, dass der geeignete Zeitraum für eine Suche per Schiff und Unterwasser-Drohnen wegen der schwierigen meteorologischen Bedingungen im Indischen Ozean begrenzt ist. Januar bis April sei die beste Zeit dafür, erklärt Godfrey. November bis Juni sei grundsätzlich ebenfalls möglich (zum Suchort folgt unten mehr).
In einer schriftlichen Stellungnahme, die watson vorliegt, erklärt MH370-Experte Richard Godfrey:
Zwei auf Tiefsee-Missionen spezialisierte Forschungsschiffe von Ocean Infinity waren zuletzt in Mauritius beobachtet worden und hatten die Hoffnung genährt, dass es nun endlich mit der MH370-Suche losgehe.
Doch diese Hoffnungen wurden enttäuscht.
Zu den Gründen sagt Godfrey:
Der malaysische Verkehrsminister Anthony Loke unterstütze eine neue Suche, sagt Godfrey. Die Anhänger von Najib Razak und der malaysischen Streitkräfte (RMAF) hingegen seien dagegen. Und der Premierminister Anwar Ibrahim sitze zwischen den Stühlen und wolle den Steuerzahlern nicht noch mehr Kosten aufbürden.
Godfrey sagt zum vermuteten Motiv:
Im Worst-Case wäre man mit Entschädigungsforderungen in Höhe von mehreren Millionen Dollar von den Familien der Passagiere und der Besatzung konfrontiert.
Anzumerken ist, dass die meisten Familien der vermissten Passagiere und Besatzungsmitglieder laut BBC bereits Entschädigungen und «endgültige Abfindungen» von Malaysia Airlines akzeptiert haben.
Doch die Ungewissheit nagt an vielen. Der indische Staatsangehörige K.S. Narendran, dessen Frau an Bord von MH370 war, hat die traumatischen Ereignisse in einem Buch verarbeitet. In seinem Blog schreibt er:
Update 13. Februar: Der vertragliche Abschluss der Vereinbarung zwischen der Regierung von Malaysia und Ocean Infinity sei verschoben worden, teilt das malaysische Verkehrsministerium gegenüber watson mit.
Oberstleutnant Muhammad Amir bin Abdullah vom Büro für Flugunfalluntersuchungen (AAIB) begründet die Verzögerung damit, dass die Vereinbarung «noch immer einer abschliessenden Prüfung durch die Generalstaatsanwaltschaft unterzogen» werde. Während die finanziellen Aspekte eine wichtige Überlegung darstellten, prüfe die malaysische Regierung «auch mehrere andere wichtige Faktoren». Welche das sind, geht aus der Antwort des Ministeriums nicht hervor. Der Beamte erklärt:
Der Beginn der geplanten Suche nach MH370 hänge von «der Finalisierung der Vereinbarung» zwischen der malaysischen Regierung und Ocean Infinity ab.
Die Angehörigen und alle weiteren MH370-Interessierten müssen sich also weiter gedulden.
Update 14. Februar: Wie Richard Godfrey und Geoffrey Thomas in einem Interview erklären, sei das Suchschiff Armada 7806 von Ocean Infinity auf dem Weg nach Australien, «wahrscheinlich, um die Suche nach MH370 ohne Auftrag der malaysischen Regierung zu starten».
Das auf allen Weltmeeren tätige Unternehmen mit Sitz in Texas und England verfügt über die weltweit grösste und wahrscheinlich modernste Flotte von hoch spezialisierten Forschungsschiffen, Unterwasserdrohnen (AUV) und ferngesteuerten Tauchrobotern (ROV).
Ocean Infinity war schon an Such- und Bergungsprojekten für Schiffswracks in verschiedenen Weltmeeren beteiligt. Darunter eine erfolgreiche Mission im Jahr 2022, bei der das legendäre Expeditionsschiff «Endurance» des Antarktisforschers Ernest Shackleton entdeckt wurde, das vor über 100 Jahren gesunken war.
Die Unterwasser-Missionen der unbemannten Fahrzeuge werden von Hightech-Operationszentren gesteuert, von denen eines im englischen Southampton liegt. Die Kommunikation erfolgt über Satellit. In Echtzeit.
Ocean Infinity hatte 2018 zwischen Anfang Januar und Anfang Juni im südlichen Indischen Ozean nach den Trümmern von MH370 gesucht. Ohne Erfolg.
Fast vier Jahre nach dem Verschwinden von MH370 gab Malaysia am 10. Januar 2018 eine entsprechende Vereinbarung mit der Firma bekannt, wonach sie innerhalb von 90 Tagen entweder das Wrack des Flugzeugs oder die beiden Flugschreiber aufspüren sollte. Schon damals gab es eine sogenannte «No Find, No Fee»-Vereinbarung in der Höhe von bis zu 70 Millionen US-Dollar.
Jene fehlbare Mission ist nach Einschätzung von Godfrey und weiteren Fachleuten auf eine ungenaue Eingrenzung des Suchgebietes zurückzuführen. Mittlerweile liegen neue Erkenntnisse zum Absturzort vor. Ausserdem verfügt Ocean Infinity inzwischen über leistungsfähigere Forschungsschiffe und neue Suchtechnik.
Der CEO von Ocean Infinity, Oliver Plunkett, sagte bei der 9. Gedenkveranstaltung zu MH370 im Jahr 2023 gegenüber den Angehörigen, es sei eines seiner Lebensziele, zurückzukehren und nach MH370 zu suchen.
Leider eine sehr problematische.
Die internationalen Medien haben es bislang versäumt, Druck auf die malaysische Regierung auszuüben. Wohl auch deshalb kommt die Suche nicht voran.
Schlimmer noch: Da es praktisch in allen Redaktionen an Aviatik-Fachwissen mangelt, wurde in der Vergangenheit immer wieder unkritisch über wilde Spekulationen und Verschwörungstheorien zu MH370 berichtet.
Die bislang vorliegenden gesicherten Informationen zu MH370 lassen nur einen Schluss zu: Die Boeing 777 wich durch menschliche Einwirkung im Cockpit von ihrem Flugkurs Richtung Peking ab und wurde in ein abgelegenes Gebiet im südlichen Indischen Ozean geflogen. Als der Treibstoff verbraucht war, stürzte sie ins Meer.
Richard Godfrey hat immer wieder betont, dass er sich nicht an Spekulationen beteilige, was den mutmasslichen «Pilotensuizid» betrifft – auf Englisch wird es treffender als «Murder-Suicide» bezeichnet. Er sagt nun:
Als sicher gilt, dass der Kapitän zu Hause einen Flugsimulator hatte, mit dem er einen Flug bis zur Treibstofferschöpfung im Indischen Ozean simulierte.
Aber was werden die Ermittler anhand der auf dem Meeresgrund gefundenen Wrackteile der Boeing 777 noch über die Absturzursache herausfinden?
Godfrey erwartet eindeutige Erkenntnisse:
Letzteres würde auch Rückschlüsse zulassen, ob versucht wurde, das Flugzeug zu wassern, um ein Zerbersten in Millionen von Teilchen zu verhindern.
Die Absturzstelle von MH370 befindet sich in der Nähe der Koordinaten 29.128°S 99.934°E in einer Tiefe von ca. 3750 Metern, ist Richard Godfrey überzeugt.
Der pensionierte Luft- und Raumfahrtingenieur war federführend bei der Entwicklung einer neuartigen Flugzeug-Ortungs-Technik, die auf der Auswertung von Funksignalen (WSPR) basiert und wertvolle Hinweise zum Flugweg und Absturzort geliefert haben soll.
Die unabhängige wissenschaftliche Evaluierung der Methode sei inzwischen weit fortgeschritten. Sie erfolgte durch ein Team an der Universität Liverpool, unter der Leitung von Professor Simon Maskell.
Professor Maskell plane, in den kommenden Monaten eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten zur WSPR-Technologie zu veröffentlichen, in den «IEEE Antennas and Wireless Propagation Letters», kurz AWP Letters. Und Godfrey soll dabei als Co-Autor mitwirken.
IEEE Xplore sei die führende digitale Plattform für die Entdeckung und den Zugriff auf wissenschaftliche und technische Inhalte, die vom IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) und seinen Verlagspartnern veröffentlicht werden, erklärt Godfrey.
Die wissenschaftliche Kommunikations-Plattform enthalte mehr als 6 Millionen Dokumente und andere Materialien aus einigen der weltweit am häufigsten zitierten Veröffentlichungen in den Bereichen Elektrotechnik, Informatik und verwandten Wissenschaften.
Anzumerken ist auch, dass Professor Maskell und Godfrey die WSPR-Technologie zuvor den Verantwortlichen bei Ocean Infinity und dem früheren MH370-Projektmanager Pete Foley von der Australischen Transportsicherheitsbehörde (ATSB) vorgestellt hatten.
Im Mai 2024 waren Maskell und Pete Foley zusammen mit Ocean-Infinity-Verantwortlichen an einem Treffen mit dem malaysischen Verkehrsminister, wo sie die Erkenntnisse zum wahrscheinlichen Absturzort von MH370 und der Hightech-Suche am Meeresgrund vorstellten.
Der malaysische Verkehrsminister liess dann im Dezember 2024 verlauten, dass es sich bei den Informationen um glaubwürdige neue Beweise handle.
Der Meeresboden sei dort völlig dunkel, es herrsche ein extremer Druck, die Wassertemperatur liege knapp über null Grad Celsius. Es gebe viel Schlick, Vulkanasche und Unterwasservulkane, Schluchten und Klippen.
Richard Godfrey nennt drei Gründe, warum die mysteriöse Flugkatastrophe aufgeklärt werden muss:
In der aktuellen Stellungnahme schreibt Godfrey:
Ich habe etwas über Ocean Infinity recherchiert und dessen Vita liest sich so, als wären sie genau die richtigen, um das Wrack zu suchen.
Das Unternehmen hat bisher schon zig verschollene Schiffe und U-Boote entdeckt. Unter anderem welche aus dem Zweiten Weltkrieg.
Es gibt wirklich extrem viele Verschwörungstheorien, aber womöglich ist das Naheliegendste die Wahrheit: Suizid. Wie der Germanwings-Fall.