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Hybrider Krieg: Wie sich Europa gegen Russland wehren muss

Police officers detain political activist Roman Dobrokhotov during the unauthorized meeting to mark Russian President Vladimir Putin's birthday in Moscow, Sunday Oct. 7, 2012. Vladimir Putin turn ...
Damals (2012) protestierte Roman Dobroсhotow in Moskau gegen Putin. Heute kämpft er mit journalistischen Mitteln gegen den Despoten.Bild: AP

Das steckt hinter den Sabotage-Aktionen, mit denen Russland Europa terrorisiert

Europas Demokratien müssen damit rechnen, dass Russland seinen hybriden Krieg fortführt und intensiviert. Fragt sich, wie wir reagieren.
07.01.2025, 09:0107.01.2025, 13:38
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Einige Staatsführerinnen und Staatsführer sprechen zwar offen über den hybriden Krieg, den Wladimir Putin gegen Europa führen lässt. Jedoch vermag man den immer dreisteren Sabotage-Aktionen und Desinformations-Kampagnen bislang keinen Riegel zu schieben.

Der im Ausland lebende russische Investigativ-Journalist Roman Dobroсhotow gibt in einem aktuellen Interview Einblicke in Russlands zunehmend aggressive Attacken, die unter der Kriegsschwelle stattfinden. watson fasst die wichtigsten Punkte zusammen.

«Putin betrachtet die Straflosigkeit als Ermutigung zum Handeln.»
Roman Dobroсhotow

Welche Rolle spielt Putin bei solchen Geheimdienst-Operationen?

Eine ganz zentrale, erklärt Dobroсhotow:

«Putin persönlich kontrolliert einen erheblichen Teil der Sabotage-Akte und Attentate. Die Gesamtstrategie besteht darin, Panik und Misstrauen gegenüber den Behörden innerhalb der EU zu erzeugen und die lokalen Geheimdienste zu überwältigen, indem ihre Aufmerksamkeit auf zahlreiche kleinere Sabotage-Aktionen gelenkt wird.»

Der russische Präsident entscheide, wer getötet werden soll. Was «das Einschlagen von Fenstern» betreffe, könnten solche Entscheidungen auf der Ebene einzelner Generäle getroffen werden. Vorausgesetzt, die Aktionen stimmten mit der Kreml-Strategie überein.

Was wissen die russischen Diplomaten über solche Aktionen?

Hier gilt es laut Dobroсhotow zu differenzieren.

«Normale Diplomaten wissen in der Regel nichts. Allerdings sind etwa ein Drittel aller Diplomaten Mitglieder von Geheimdiensten und können selbst in bestimmte Operationen verwickelt sein. Selbst innerhalb dieser Reihen weiss die linke Hand nicht immer, was die rechte tut.»
Roman Dobroсhotow (2022)
Roman Dobroсhotow bei einem früheren Auftritt, 2022.Screenshot: YouTube

Warum ist Telegram wichtig für Russlands hybriden Krieg?

Investigativ-Journalist Dobroсhotow erklärt, dass die russischen Geheimdienste GRU und FSB immer häufiger «unbedeutende Personen» über Telegram anwerben, um in Europa «kleine Provokationen» durchzuführen.

«Die Ziele müssen dabei nicht unbedingt militärischer oder politischer Natur sein, sondern können auch zivile Infrastruktur umfassen – etwa das Platzieren eines Sprengsatzes in einem DHL-Paket, das Malen antisemitischer Graffiti an einer Wand oder das Anzünden eines Einkaufszentrums.»

Hierzu muss man wissen, dass Telegram nicht nur ein Messenger-Dienst mit (optionaler) Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist, sondern auch eine Social-Media-Plattform. Gemäss EU-Einschätzung zählt Telegram mit über 40 Millionen registrierten Nutzerinnen und Nutzern zu den wenigen sehr grossen Plattformen, die einer strengen gesetzlichen Regulierung bedürfen.

Allerdings belegen unabhängige Untersuchungen eine mangelhafte Inhalte-Moderation in öffentlich zugänglichen Telegram-Kanälen. Die Plattform gilt denn auch als Tummelplatz für Kriminelle. Die Firma dahinter, die dem russischen Milliardär Pawel Durov gehört, scheint nur auf massiven Druck der Behörden zu reagieren.

Wie sind die Sabotage-Aktionen in der Ostsee einzuschätzen?

Dobroсhotow findet klare Worte:

«Zumindest bis die Friedensgespräche in der Ukraine beginnen, wird Russland seine Sabotage-Aktivitäten so aktiv wie möglich fortsetzen. Die einzige Möglichkeit, dies zu stoppen, sind Gegenmassnahmen – Massenbeschlagnahmungen von Schiffen und öffentliche Enthüllungen. Putin betrachtet die Straflosigkeit als Ermutigung zum Handeln.»

Anzumerken ist, dass die drei baltischen Länder Estland, Lettland und Litauen ihre Energiesysteme im Februar vom russischen Stromnetz abkoppeln und mit dem übrigen Kontinentaleuropa synchronisieren. Bislang erfolgte die Energieversorgung über ein gemeinsames Stromnetz mit Russland und Belarus. Wegen des Angriffskriegs gegen die Ukraine gilt dies als Sicherheitsrisiko.

Von wem stammen die Einschätzungen?

Von Roman Dobroсhotow, einem russischen Investigativ-Journalisten und Polit-Aktivisten, der im Exil lebt. Der 41-Jährige ist Chefredaktor bei The Insider, einem unabhängigen Medium, das auf die Aufdeckung russischer Geheimdienst-Operationen spezialisiert ist.

Seit der Gründung 2013 hat The Insider mit seinen Recherchen – oft im Verbund mit Bellingcat und renommierten Medienhäusern – für Furore gesorgt. Eine der bekanntesten Untersuchungen drehte sich um die Nowitschok-Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny, die Täter und Auftraggeber.

2021 erklärte der Kreml The Insider zum «ausländischen Agenten», um das journalistische Angebot zu zensieren. Ein Jahr später landete Dobroсhotow selbst auf der Agentenliste. Das heisst, er kann sich nicht mehr frei in Russland bewegen, sondern muss vielmehr mit Verfolgung, Folter und gar Ermordung rechnen.

Dobroсhotow hat kürzlich The Baltic Sentinel ein Interview gegeben (siehe Quellen).

Was hat Europa Putins hybridem Krieg entgegenzusetzen?

Das Center for European Policy Analysis (CEPA) hat im November 2024 einen Meinungsartikel mit dem Titel «Russland für hybride Angriffe bezahlen lassen» veröffentlicht. Darin argumentiert der Autor, der litauische Diplomat Eitvydas Bajarunas, der Westen solle mit harten Vergeltungsmassnahmen dagegenhalten.

Dieser eigene hybride Krieg müsse «genügend verheerend sein, um Russland Tränen in die Augen zu treiben und zukünftiges Fehlverhalten zu verhindern».

Bajarunas empfiehlt:

  • die Verschärfung der Wirtschaftssanktionen gegen «russische Entscheidungsträger»,
  • die Einleitung rechtlicher Schritte gegen Personen, die «an hybriden Aktionen beteiligt» sind,
  • die Nutzung von Cyberangriffen zur Deaktivierung «russisch kontrollierter» Botnetze und Server,
  • die Entfernung von Social-Media-Konten, die «falsche Informationen verbreiten», und
  • «die Intensivierung militärischer Anstrengungen zur Bekämpfung russischer Sabotage».

Entscheidend sei eine klare Kommunikation gegenüber Russland. Es sei wichtig, Entschlossenheit und die Fähigkeit zur Vergeltung zu signalisieren.

«Untätigkeit oder mangelnde Entschlossenheit untergraben die Abschreckung von vornherein, da das Versäumnis, Kosten aufzuerlegen, unbeabsichtigt weitere Aggressionen provozieren kann.»
quelle: cepa.org

Was die Bekämpfung von russischer Desinformation betrifft, ist vom wichtigsten NATO-Partner Europas, den USA, in Zukunft jedoch weniger zu erwarten. Den Republikanern im US-Kongress ist es gelungen, das Global Engagement Center des Aussenministeriums zu schliessen. Diese Institution hatte der Überwachung und Bekämpfung von Desinformationskampagnen aus Russland, China und anderen Staaten gedient.

Europa muss auch hier selbstständig agieren.

Quellen

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160 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dr. Atomi
07.01.2025 09:15registriert Juli 2024
Was muss noch geschehen, damit alle westlichen Regierungen endlich einheitlich und konsequent gegen Russland vorgehen und dieselben Massstäbe ansetzen?
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Mulumbi
07.01.2025 10:10registriert April 2024
Wie wird Europa reagieren? Dank der vielen Kollaborateure und Verräter der 5. Kolonne Moskaus, die sich in unserer Politik breitgemacht haben, mit devotem Appeasement.
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flausch
07.01.2025 10:01registriert Februar 2017
Dieser hybride Krieg wird bereits seit allerspätestens 2014 ziemlich offensichtlich geführt. Vor allem in den nördlichen Ländern Europas kam es auch immer wieder zu Sabotagen an Kabeln etc. Es war aber im Interesse der Politik, nicht offen zu reagieren. Mit dem direkten unverdeckten zweiten Angriff auf die Ukraine durch Russland liess sich das offensichtliche aber nicht mehr stillschweigen. Nun endlich nach über 10 Jahren der hybriden Kriegsführung fangen wir an aufzuwachen? Was denkt ihr eigentlich, warum es hier so eine gesellschaftliche Spaltung gibt? Der Brexit z.B. war ein Riesensieg für Putin.
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