Herr Stüssi-Lauterburg, Sie sind 70 Jahre alt. Seit wann leben Sie ohne Handy?
Jürg Stüssi-Lauterburg: Ich hatte noch nie ein Mobiltelefon.
Wirklich noch nie?
Nein.
Wieso nicht?
Das ist eine merkwürdige Frage. Als ob man sich rechtfertigen müsste, etwas nicht zu kaufen oder nicht zu haben. Was 90 Prozent der Bevölkerung hat, muss ich doch nicht auch haben, nur weil es modern ist. Ausser ich empfinde es wirklich für nötig, aber bis jetzt war es noch nie ein Lebensbedürfnis von mir, ein Handy zu haben.
Haben Sie nie darüber nachgedacht, sich eines zuzulegen?
Ich habe es mir einmal ernsthaft überlegt, als Adolf Ogi Bundespräsident war. Ich war ja einer seiner Mitarbeiter und ich war mir nicht sicher, ob es in diesem wichtigen Jahr ohne gehen wird. Aber es ging ohne. Adolf Ogi wusste, wie meine Einstellung dazu war, und er hat das respektiert.
Aber in Ihrem Alltag kommt es sicher immer wieder zu Schwierigkeiten so ganz ohne Handy.
Nein, das ist ein Irrtum. In mehr als 40 Jahren gab es nur zwei Situationen, in denen ich wirklich froh war, dass zumindest meine Frau ein Handy hat.
Was waren das für Situationen?
Einmal handelte es sich um einen ernsthaften Unfall und das andere Mal ist die ägyptische Revolution ausgebrochen. Wir waren zufällig in Ägypten und ich musste vor Ort in Kairo einen Freund erreichen. Vor allem beim Unfall war das Handy extrem wertvoll. Ich bin durchaus dankbar für diese Möglichkeiten, die früher nicht existiert haben und die heute Leben retten können. Ich bin auch kein technikfeindlicher Mensch. Es sind einfach unterschiedliche Arten zu leben – mit und ohne Handy.
Aber brauchen Sie in gewissen Alltagssituationen nicht zwingend ein Handy? Beispielsweise beim E-Banking?
Nein. Ich habe kein E-Banking.
Oder wenn Sie einen Weg nachschauen müssen?
Ich habe Landkarten und einen PC. Gestern habe ich zum Beispiel eine Wanderung rekognosziert, die ich bald mit einer Gruppe durchführe. Dafür bereite ich mich vor. Ich schaue den Weg im Internet nach und drucke ihn aus. Den Ausdruck habe ich dann zusammen mit der Landkarte dabei.
Und wie lösen Sie ein Zug- oder Busbillett?
Ich habe ein GA. Aber ich sehe durchaus, dass das für Menschen ohne Handy, die jeweils einzelne Billetts lösen müssen, mit Schwierigkeiten verbunden ist.
Dauert alles nicht viel länger ohne ein Handy?
Nein, das glaube ich nicht. Es ist alles eine Frage der Organisation.
Vorher haben Sie gesagt, dass Ihre Frau ein Handy hat. Lagern Sie Handy-Abklärungen an Ihre Frau aus?
Fragt seine Frau: «Barbara, gebe ich dir jeweils Aufträge zum Googeln oder Ähnliches?» Sie verneint. Ich bin auch viel ohne meine Frau unterwegs, daher ist das gar nicht immer möglich.
Mussten Sie in der Not schon einmal ein fremdes Handy benutzen?
Ja, einmal, da bin ich im Zug eingeschlafen.
Was sind positive Effekte, wenn man ohne Handy lebt?
Ich bin mir über die Bedeutung meines Wortes sehr bewusst. Wenn ich einen Termin abmache, dann halte ich ihn ein. Wenn ich sage, ich bin zu einer gewissen Zeit an einem gewissen Ort, setze ich dementsprechend Energie ein, dass ich dann auch wirklich dort bin. Man verlässt sich auf mich, weil ich nicht einfach kurz telefonieren kann, wenn ich den Zug verpasst habe. Ich bin dann dort. Das hilft mir und auch den anderen.
Wie machen Sie ein Treffen ab?
Ich kann da sehr penibel werden. Ich mache ganz klare Treffpunkte ab, mit einer genauen Zeit an einem genauen Ort. Die Leute kennen mich und sind pünktlich. Es kommt eigentlich nie vor, dass ich versetzt werde.
Gibt es noch etwas Positives ausser der gegenseitigen Verlässlichkeit?
Wenn ich einen Tag im Archiv arbeite, dann arbeite ich einen Tag im Archiv und dann mache ich sonst nichts. Man hat immer den Eindruck, man verpasst etwas. Man verpasst aber eigentlich gar nichts.
Was stört Sie denn am Handy?
Ich habe nicht viele Geheimnisse, aber ich lege auch keinen Wert darauf, dass andere jederzeit wissen, wo ich bin und was ich mache. Man sollte sich keine Illusionen machen, wer ein Handy hat, ist jederzeit ortbar.
Hat das Handy Ihrer Meinung nach einen negativen Einfluss auf die Gesellschaft?
Nein, das denke ich nicht. Wenn es zur Sucht wird, muss man aber aufpassen. Eine Sucht bringt einen Menschen aus dem Gleichgewicht. Wenn eine junge Frau sich nicht vom Handy lösen kann, den Rand des Trottoirs darum nicht sieht und dann – wie ich es schon selbst gesehen habe – flach auf der Strasse liegt, ist das natürlich suboptimal und auch gefährlich. Die Risiken sollte man aber auch nicht überschätzen.
Die meisten Menschen sind heute in WhatsApp-Chats organisiert. Einladungen werden darin verschickt und Fotos geteilt. Fühlen Sie sich denn nicht manchmal ausgeschlossen?
Nein. Ich wurde bei Einladungen auch schon mal vergessen, aber das ist nicht so tragisch. Wenn mich jemand will, dann sucht er mich, bis er mich findet. Und er wird mich finden. So wie Sie mich gefunden haben. Und wenn mir meine Frau ein Foto der Partnerin unseres Sohnes im Liegestuhl mit der Katze auf dem Schoss zeigt, dann finde ich das schön und lustig. Aber das reicht mir dann auch.
Haben Sie denn noch nie soziale Nachteile erlebt ohne Handy?
Das habe ich bis jetzt wirklich noch nicht. Die Leute finden es teilweise etwas komisch, aber mit dem muss man leben, wenn man eigenwillige Sachen macht.
In welchen Bereichen sind Sie sonst noch eigenwillig?
Ich habe zum Beispiel auch keine Kreditkarte und bezahle alles bar. Das geht eigentlich auch immer ohne Probleme. Die Leute wollen ja grundsätzlich, dass man etwas kauft.
Mein Leben ist halt auf Erreichbarkeit ausgerichtet, sei es Familiär oder auch Beruflich( was mir nicht so gefällt)
Schön das es noch Leute gibt die anders ticken!