Es gab eine Zeit, als die Vorstandsmitglieder der Traditionshersteller über Tesla lächelten, den Möchtegern-Autohersteller mit Spaltmassen wie die Zahnreihen von Andres Ambühl. Beim Abendsherry wetteten sie auf den Bankrott der Kalifornier – um danach noch etwas die Abgaswerte zu fälschen.
Doch wir kennen die Geschichte.
Spätestens mit dem Model 3 riss Tesla eine gigantische Wunde in die Autoindustrie. Der Aussenseiter ist plötzlich wertvollster Autobauer der Welt und hat einen Technikvorsprung von mehreren Jahren. Und als ob das nicht genug wäre, müssen die Traditionshersteller zusehen, wie der Disruptor in Rekordtempo riesige Fabriken hochzieht. Schneller wächst nur noch Teslas Fanbase.
Hastig werden Konkurrenzprodukte zusammengezimmert – und dann zum Teil der Lächerlichkeit preisgegeben. Doch während die teuren Tesla-Modelle S und X mittlerweile so etwas wie Konkurrenz erhielten, wagte sich bisher niemand daran, dem Model 3 Konkurrenz zu machen.
Bis jetzt.
Es erstaunt nicht, dass die erste richtige Konkurrenz des Model 3 ebenfalls von einem sehr jungen Hersteller kommt: Polestar. Das Tochterunternehmen von Volvo geht zurück auf ein Rennteam. Später wurde daraus der offizielle Volvo-Tuner und jetzt soll Polestar den Tesla-Weg gehen. Will heissen: ohne eingerostete Konzernstrukturen ein Elektroauto bauen. Wie Tesla begann Polestar mit dem 1 im Luxus-Segment. Der Polestar 2 soll nun das Model 3 angreifen.
Und?
Ich muss gestehen, ich bin ein bisschen ein Fanboy. Seit ich den Polestar 2 zum ersten Mal gesehen habe, bin ich verliebt. Genau so muss ein Auto aussehen: Verwegen, aber nicht rotzig, kräftig, aber nicht furchteinflössend – modern, aber nicht unelegant. Das Auto hat den Wow-Effekt. Kaum parkiert, steht auch schon ein Bewunderer da. Auf dem Elektroparkplatz im Einkaufszentrum kann sich ein Tesla-Fahrer (S) die Komplimente nicht verkneifen. Schüler drehen sich nach dem Wagen um. Kein Mittelklassewagen der letzten Jahre war jamesbondiger. Müsste sich 007 im Polestar 2 schämen? Of course not, my dear. Fühlt sich auch Michi Müller im Polestar 2 ein bisschen wie im Auftrag ihrer Majestät? Yes, absolutely.
Dafür sorgt auch der Innenraum. Der Stoffbezug ist etwas zwischen Zeltblache und Anzug: Abenteuer mit Stil quasi – ein Hauch von Jovialität –, aber nicht unwarm. Auch die sauber verarbeiteten Armaturen schaffen den Spagat zwischen stabil, aber doch nett anzuschauen. Die Kraft des Wagens ist förmlich spürbar – unaufdringlich, aber bestimmt. Das ist nicht einfach billige schwedische Inneneinrichtung. Die hier ist chic. Und sie kommt bereits montiert.
Unnötiger Schnickschnack fehlt im Polestar 2 wie im Model 3, Teslas Radikalkur macht Polestar aber nicht ganz mit. Es darf auch mal andeutungsweise verspielt sein. Dort, wo weniger das Auge, dafür die Krümel der Jungmannschaft hinfallen, herrscht Pragmatismus. Einzig die etwas dominante Mittelkonsole fällt ein wenig aus dem Rahmen. Sie wirkt einen Schuss zu klobig. Auch wenn mich das Model 3 manchmal an eine nasse Socke erinnert, ist es kein hässliches Auto. Optisch spielt der Polestar 2 aber in einer anderen Liga, und auch dieses Gefühl von Wertigkeit vermittelt das Model 3 nicht.
Doch an Ähnlichkeiten soll es nicht mangeln:
Ob es auch die Eltern nervlich bis Kroatien aushalten würden, steht in den Sternen geschrieben. Und damit sind wir wieder bei einem grossen Unterschied zwischen den beiden Fahrzeugen: das Android-Tablet. Jep. Fast alles lässt sich im Polestar per Android steuern: Fahrassistenten, Klimaanlage, das Navi (Google Maps) und und und. Und – das freut vor allem die Jungmannschaft – das funktioniert auch per Spracheingabe. Und so befehlen zwei hohe, aber energische Stimmchen der bemitleidenswerten Frau Google-Assistentin immer wieder aufs Neue, Witze zu erzählen. Sie fallen in der Tendenz flach aus. Der Vorteil von Google im Auto: Die Bedienungs-Software wächst mit den Verbesserungen durch den Techgiganten. Hoffentlich auch die Witzqualität.
Beim Parkieren hilft der Screen ebenfalls mit einer live gerenderten Vogelperspektive von Umschwung und Wagen. Wer nicht genau hinschaut, fühlt sich satellitenüberwacht. In Tat und Wahrheit sind die Kameras an der Seite angebracht und die Perspektive wird berechnet. Well done, Polestar.
Die 2,1 Tonnen lassen sich entspannt mit zwei Fingern steuern, wie direkt, bestimmt die Fahrerin per Knopfdruck. Bisweilen wirkt die Fahrt etwas hart. Das mag an den Einstellungen des Performance-Modells (+ 6000 Franken) liegen, das wir testen. Dafür gibt es Öhlins und Brembo-Bremsen. Das Gaspedal vergibt sehr grosszügig. Wer richtig Umpf will, bekommt ihn. Aber nur, wenn richtig durchgedrückt wird. Weil kein Motor aufheult, wirkt der Kraftakt wie bei anderen E-Autos mehr wie ein Hüpfer. Der Sound der hochdrehenden Elektromotoren hat was von einem Raumschiff.
Die Magie des Polestars liegt aber im Zusammenspiel sämtlicher Komponenten. Die Kombination aus fast absoluter Ruhe während der Fahrt, dem einlullenden Interieur und dem fast schwerelosen Dahingleiten wirkt meditativ. Kreuzt ein entgegenkommendes Auto, blendet der Wagen einige seiner zahlreichen Pixel-LEDs ab. Ja. Der Polestar 2 ist auch gut zu den anderen Verkehrsteilnehmern. Leises Tropfen auf das Glasdach, zufriedenes Summen der Motoren. Eine Fahrt wie eine Yoga-Stunde. Der Polestar kann weiss Gott auch Achterbahn. Und wie. Seine herausragendste Eigenschaft aber liegt in der Geborgenheit, die er während der ganz alltäglichen Fahrt ausstrahlt.
Im Vergleich zum Model 3 kassiert der Polestar 2 in Sachen Reichweite und Fahrassistenz zwei klare Niederlagen. Reichweitenfetischisten sind mit dem Model 3 besser aufgehoben – zumal Polestarfahrer nicht auf das Tesla-Ladenetzwerk zugreifen können. Der Unterschied beim Fahrassistenten ist nach heutiger Gesetzeslage im Prinzip nur theoretischer Natur. Das könnte sich natürlich irgendwann einmal ändern. Und da hat der Ami die Nase deutlich vorn. Klare Siege erringt der Polestar 2 beim Kofferraum (mit Ski-Klappe), vor allem aber bei der Ausstrahlung.
Wer Wert aufs Optische legt, wer sich in seinem Wagen gerne zuhause fühlen will und die radikale Nüchternheit des Teslas als abstossend empfindet, der kriegt mit dem Polestar 2 die perfekte Alternative. Eine Alternative ist der Polestar selbstverständlich auch für benzinverbrennende Audi- und BMW-Fahrer, die langsam genug davon haben. Auch sie werden angenehm überrascht sein von der freundlichen und einladenden Ausstrahlung, die auch ein kraftvoller Wagen haben kann.
Well done, Polestar.
So. Und nach so viel Gesäusel wollt ihr sicher noch wissen, was «jebeno» bedeutet:
Kauft wenn immer möglich Europäische Produkte, wir brauchen unbedingt Solidarität und keine Chinesische Übernahme unserer Wirtschaft! Bitte!