Vor vierzig Jahren hat das Individuum die endgültige Herrschaft über die Musik gewonnen. Zuvor mussten sich junge Leute in Discos dem Geschmack der DJs unterwerfen. Sie waren an Konzerten von der Tagesform der Band abhängig. Oder sie mussten in der elterlichen Stube darum kämpfen, zwischen Mozart und Beethoven an der Stereoanlage ein Zeitfenster für «YMCA» und «Stayin’ Alive» zu erhalten.
Dann, am 1. Juli 1979, kam ein Gerät auf den Markt, in das jede und jeder jederzeit und allerorts die Kassette nach Wahl einlegen und sich über Kopfhörer zu Gemüte führen konnte: der Walkman. Genau genommen der Sony Walkman TPS-L2, wie das erste Modell hiess. Es war der Beginn einer Ära, in der Musik mit kleinen, tragbaren Geräten abgespielt wird, jener Ära, in der wir bis heute leben.
Zuvor hatten Jugendliche auf ihren Radiorekordern an belebten Plätzen in voller Lautstärke «Highway To Hell» abgespielt und damit der Welt gesagt: Hier bin ich, ob es euch passt oder nicht. Die Generation Walkman dagegen zog den Kopfhörer über die Ohren und signalisierte damit: Lasst mich in Ruhe, so wie ich euch in Ruhe lasse.
Damit wurde das Musikhören von einem kollektiven zu einem persönlichen Erlebnis. Doch es ging nicht nur um Musik, sondern auch um Stil. Die Stereoanlagen und Radiorekorder der Siebziger mussten gross, ja wuchtig sein, um gut zu wirken. Der Walkman kam dagegen – für damalige Verhältnisse – klein und chic daher. Schon das erste Modell sah mit seiner blauen Farbe eher nach Spielzeug als nach Maschine aus. Spätere Ausgaben wurden etwas eleganter, runder und kleiner, doch der Miniaturisierung waren durch die Dimensionen der Audiokassetten Grenzen gesetzt.
Hinzu kam die eine oder andere technische Spielerei; Geräte, bei denen die Kassette nicht mehr gewendet werden musste, was Musikgenuss in Endlosschlaufe ermöglichte. Equalizer und Knöpfe zur Verstärkung der Bassfrequenzen, welche die miserable Qualität der miniaturisierten Kopfhörer wettmachen sollten. Und der Suchlauf, der automatisch den Beginn des nächsten Liedes fand. Letzteres war für Kassettenliebhaber ein Segen: Endlich waren sie nicht mehr gezwungen, auch die weniger genehmen Songs anzuhören oder durch mühsames Hin- und Herspulen das Lieblingsstück zu suchen.
Doch im Grunde war diese Funktion ein verzweifelter Versuch, mit Kassetten den CDs nachzueilen, bei denen in Sekundenbruchteilen auf jedes Lied zugegriffen werden konnte. Drei Jahre nach dem Walkman kamen die ersten CDs auf den Markt, und bereits nach weiteren zwei Jahren gab es auch für sie mobile Abspielgeräte zu kaufen.
Jedes Unternehmen, das Unterhaltungselektronik herstellte, musste damals ein Walkman-Modell anbieten. Doch nur eines durfte die Geräte so nennen: Sony hielt die alleinigen Rechte für den Begriff. Es waren Glanzjahre für die japanische Firma. Weniger glänzend ging es derweil einem gewissen Andreas Pavel aus Deutschland. Er hatte bereits im Jahr 1977 ein Patent für ein tragbares Gerät zum Abspielen von Musikkassetten eingereicht, die «körpergebundene Kleinanlage für hochwertige Wiedergabe von Hörereignissen».
Seine Pläne trug er ein Jahr zuvor an einer Messe in Düsseldorf vor – auch Vertretern von Sony. Es kam zu einem jahrelangen Rechtsstreit, der Pavel fast ruinierte. Bis man sich schliesslich aussergerichtlich einigen konnte: Sony zahlte ihm einen zweistelligen Millionenbetrag – und gab so indirekt zu, dass Pavel den Walkman erfunden hatte.
Das war 2004, zu einer Zeit, als der iPod das portable Musikgerät der Stunde war. Und als Sony 2010 bekannt gab, die Produktion von Walkmans einzustellen, interessierte dies niemanden; Musik kommt heute aus dem Smartphone. Doch auf Plattformen wie Ebay werden für den TPS-L2 gut und gern 500 Franken oder mehr bezahlt – was ziemlich nahe am Preis eines Smartphones liegt. (aargauerzeitung.ch)