Eigentlich hätte ich an dieser Stelle gerne mit einem Test des Google-Phones Pixel 4 aufgewartet, aber Google hat für die Schweiz andere Pläne. Statt des neuen Smartphones lanciert Google bei uns zunächst «nur» zwei smarte Lautsprecher, die primär per Sprache bedient werden: den winzigen Nest Mini und den deutlich spannenderen Display-Lautsprecher Nest Hub. Ich konnte beide Geräte, die auch Schweizerdeutsch verstehen, vor dem Verkaufsstart testen.
Der Nest Hub verbindet Sprachassistent mit Display und Lautsprecher. Per Sprache kann man Musik und Videos streamen, Fotos anzeigen, beim Kochen ein Rezept einblenden oder das Smart-Home steuern.
Das Gerät lauscht dabei ständig auf das Aktivierungswort «Ok Google» (sofern das Mikrofon nicht manuell deaktiviert wird) – und ist somit nur für Leute zu empfehlen, die kein Problem damit haben, ihre Privatsphäre mit dem Datenkraken Google zu teilen.
Wer braucht sowas? «Ich auf jeden Fall nicht!», habe ich die letzten Jahre gesagt. Aber früher fand ich auch smarte Assistenten wie den Google Assistant überflüssig. Inzwischen brauche ich ihn täglich mehrfach. Also: Zuerst testen, dann bewerten.
Lautsprecher mit Tablet oder umgekehrt? Egal. Dank Display streamt das Gerät nicht nur Musik von Spotify und Co. oder liest die News von SRF und anderen Medien vor, es spielt auch TV-Shows, Nachrichtenbeiträge etc. in Videoform ab. Weitere Funktionen sind Fotos als Diashow abspielen, Anrufe tätigen oder einfach das Wetter oder die Uhr anzeigen.
Die meisten Käufer stellen den Lautsprecher in die Küche, sagt Google, wo er als modernes Küchenradio dient – entsprechend ist die Soundqualität bescheiden. Wer beim Kochen nebenher etwas Musik hören oder YouTube-Videos schauen möchte, dürfte sich daran nicht gross stören. Eher unschön ist allerdings, dass z.B. Netflix auf dem Smart-Display noch nicht läuft.
Ein Hinweis vorweg: Wer mag, kann den Nest Hub mit anderen Lautsprechern im WLAN oder per Bluetooth koppeln, um mehrere Räume gleichzeitig zu beschallen (mehr Infos dazu weiter unten im Artikel).
Was man mit dem 139 Franken teuren Display-Lautsprecher Nest Hub anstellen kann, zeigt das folgende Video (Ton einschalten nicht vergessen).
Wie man unschwer hört, versteht Googles Lautsprecher Schweizerdeutsch und ich bin etwas erstaunt, wie gut es klappt (zumindest bei einfachen Anweisungen). Dies dürfte denn auch der Grund sein, warum Google seine Lautsprecher nun endlich in die Schweiz bringt und somit Amazon, Apple und Co. zuvorkommt.
Wie gut er einen versteht, dürfte stark vom Dialekt abhängen. Was man aber auch sagen muss: Grundsätzlich funktioniert die Sprachsteuerung auf Hochdeutsch zuverlässiger. Man muss übrigens nicht neben dem Gerät stehen, sondern kann mehrere Meter entfernt sein und in normaler Lautstärke sprechen.
Persönlich muss ich mich fast dazu zwingen, mit dem Gerät Mundart zu sprechen, da ich seit Jahren daran gewöhnt bin, mit dem Google Assistant auf dem Smartphone Hochdeutsch zu parlieren. Dass er Mundart versteht, ist natürlich trotzdem erfreulich.
Am Morgen liest der Nest Hub auf Zuruf «Hey Google, guetä Morgä» die News vor, zeigt den Wetterbericht, schlägt die schnellste Route zum Arbeitsort vor und macht auf anstehende Kalendertermine aufmerksam (siehe Video). Das hat schon seinen Reiz, aber bereits am dritten Morgen hatte ich keine Lust mehr, mich während des Frühstücks von Google berieseln zu lassen.
Simple Anweisungen wie die Nachrichten oder den Wetterbericht vorlesen lassen etc. funktionieren tadellos, möchte ich aber zum Beispiel die «Heute Show» in der ZDFmediathek auf dem Display streamen, stellt sich der Nest Hub quer: «Ein Fehler ist aufgetreten», antwortet er wiederholt. Vom Smartphone aus kann ich die «Heute Show» hingegen problemlos auf den Nest Hub streamen... Ganz kurios wird es bei der Schweizer TV-Streaming-App Zattoo: «Tut mir leid, Zattoo ist in deinem Land nicht verfügbar.» Google, you're drunk.
Solche Fails zeigen, dass Smartspeaker immer noch in den Kinderschuhen stecken. Die Sprachsteuerung, die mein Leben vereinfachen sollte, verkompliziert es eher. Für simple Anweisungen (Suchanfrage, setze einen Timer, spiele Musik etc.) ist die Sprachsteuerung trotzdem schon heute die schnellste und bequemste Eingabemethode.
Stösst man mit der Sprache an Grenzen, blendet der Google Assistant auf dem Display des Nest Hub weitere Optionen ein, die man per Toucheingabe auswählt. Für mich ein klarer Pluspunkt beim Display-Lautsprecher.
Im Folgenden ein paar weitere Beispiele in der Übersicht, wie man den Display-Lautsprecher nutzen könnte:
Der Nest Hub hat keine Kamera. Bei der Präsentation des Geräts wurde dies als Privatsphäre-«Feature» angepriesen: «Wir haben uns bewusst entschieden, keine Kamera einzubauen, sodass ihr euch wohl fühlt, das Gerät in privaten Räumen wie dem Schlafzimmer zu platzieren», hiess es damals.
Der Nachteil ist, dass man bei Videoanrufen zwar den anderen sieht, das Gegenüber einen aber nicht. Dass es sich bei der Privatsphäre um ein fadenscheiniges Argument handelt, beweist die Tatsache, dass in der grösseren Version des Nest Hubs (bei uns nicht erhältlich) eine Kamera steckt.
Sind weitere kompatible Apps wie Netflix, Zattoo, ZDFmediathek etc. mit dem Lautsprecher verbunden, kann man auch diese Apps per Sprachbefehl bedienen. «Hey Google, spiele ‹Batman› auf Wohnzimmer-TV», würde also den Film auf dem Fernseher starten, wie das oben stehende Video zeigt. Der Fernseher muss sich hierzu im gleichen WLAN befinden und Googles Chromecast-Technologie unterstützen. Netflix direkt auf dem Nest Hub schauen, geht wie erwähnt nicht.
«Fortgeschrittenere» Nutzer, die ein sogenanntes Smart-Home haben, können über den Display-Lautsprecher auch das Licht dimmen (Philips-Hue-Lampen), die Raumtemperatur regulieren oder schauen, wer vor der Tür steht. Laut Google lassen sich inzwischen «Hunderte von kompatiblen Smart-Home-Geräten» über das Display des Nest Hub steuern.
Nebst dem Display-Lautsprecher bringt Google auch den kleinen Lautsprecher Nest Mini erstmals in die Schweiz.
Der Nest Mini ist quasi der Einstieg in die Welt der Smart-Home-Lautsprecher. Er ist mit mit 69 Franken bezahlbar und so klein, dass er eigentlich überall in der Wohnung unauffällig platziert werden kann.
Für seine Grösse ist der Klang erstaunlich. Ein Bass-Wunder darf man aber nicht erwarten, auch wenn Google betont, dass die zweite Generation des Mini-Lautsprechers einen doppelt so starken Bass habe.
Ich hab den Nest Mini mit dem Nest Hub gekoppelt, was ein deutlich besseres Klangerlebnis liefert, als einer der Lautsprecher für sich alleine. Für ein grosses Wohnzimmer und eine angrenzende, offene Küche reichen die beiden Geräte zum Beispiel locker, sofern man wie ich keine besonderen Anforderungen an den Klang stellt. Als audiophile Nutzerin oder Nutzer kann man im heimischen Soundsystem auch beliebige Bluetooth-Lautsprecher oder höherwertige Geräte einbinden, die Googles Chromecast-Technologie unterstützen.
Nest Mini und Nest Hub lassen sich mit Googles Home-App für iOS und Android mit wenigen Klicks einrichten. Wer ein Smartphone nutzen kann, wird vermutlich auch die beiden Lautsprecher zum Laufen bringen. In Googles Home-App kann man zudem mehrere Lautsprecher zu Gruppen verbinden, um etwa Küche und Wohnzimmer gleichzeitig zu beschallen. Das funktioniert ebenfalls mit wenigen Klicks und ist relativ intuitiv gelöst. Auf jeden Fall habe ich es als absoluter Smartspeaker-Laie ohne Anleitung oder andere Hilfe hinbekommen.
Sprachgesteuerte Lautsprecher haben einen denkbar schlechten Ruf – und dies völlig zu Recht. Sie gelten als potenzielle Wanzen. Deutschen Sicherheitsforschern ist es beispielsweise eben erst gelungen, die Sicherheitskontrollen von Google und Amazon zu umgehen, so dass sie Nutzer theoretisch hätten belauschen können.
Allerdings sollte man nicht vergessen, dass zig andere Geräte ein Mikrofon haben, das missbraucht werden könnte: Smartphone, Tablet, Laptop, Smart-TV, Smartwatch, Babyphone, Auto etc. Grundsätzlich kann jedes Gerät gehackt werden und vermutlich ist ein Angriff auf einen PC oder ein Babyphone deutlich einfacher, da sie mehr Angriffsfläche bieten.
Auf der Rückseite der Google-Lautsprecher lässt sich das Mikrofon per Knopf ausschalten. Das ist ratsam: In den letzten Monaten mussten Google, Apple, Amazon und Microsoft allesamt zugeben, dass sie heimlich Sprachaufzeichnungen von Menschen auswerten liessen, um die Spracherkennung zu verbessern. Viele der aufgezeichneten Aufnahmen entstehen offenbar unabsichtlich, zum Beispiel, weil jemand etwas sagt, das so ähnlich wie «Hey Google» oder «Hey Siri» klingt.
Es gibt aber noch ganz andere Probleme:
Wer die Google-Lautsprecher einrichtet, braucht ein Google-Konto und die Google-Home-App. Diese will natürlich den Standort nutzen, den Google für zahlreiche Dienste wie Wetterbericht, Fahrplanauskünfte etc. braucht.
Alles, was man dem Lautsprecher diktiert, wird im Google-Konto unter «Meine Aktivitäten» gespeichert (wie bei der Nutzung des Google Assistant auf dem Handy auch). Diese Sprachaufzeichnungen kann man im Google-Konto anhören und löschen. Am besten stellt man ein, dass die Konversationen nicht gespeichert werden.
Brisant: Der Administrator des Lautsprechers kann andernfalls im Google-Konto alle Sprachbefehle seiner Familie, von Freunden, WG-Kollegen oder Besuchern anhören. Google warnt beim Einrichten im Kleingedruckten davor.
Google weiss, dass der Datenschutz insbesondere in Europa über Erfolg und Misserfolg eines Produkts mitentscheiden kann. Der Konzern schreibt: «Wir haben einen speziellen Chip für maschinelles Lernen [...] integriert, mit dem wir künftig Funktionen von Google Assistant direkt auf dem Gerät anstatt in unseren Rechenzentren ausführen lassen können.»
Intelligente Assistenten, die auf dem Gerät und nicht in der Cloud laufen, werden auch von anderen Techkonzernen gerne als Datenschutzbestrebung angepriesen. Für die neuen Chips direkt in den Geräten gibt es aber noch einen anderen Grund: Ein lokaler Assistent mit genug Rechenpower, der nicht den Weg über die Cloud nehmen muss, ist schneller und das Produkt somit wettbewerbsfähiger.
Die alten Stasi-Leute müssen weinen, wenn sie daran denken, wie sich die Leute heute freiwillig überwachen lassen.
Dass Google hauptsächlich mit den Daten seiner Benutzer Geld verdient sollte langsam bekannt sein.