Seit etwas mehr als einem Jahr ist Huawei inzwischen vom Google-Ökosystem abgeschnitten. Schuld daran ist der Handelskrieg zwischen den USA und China, für den Huawei schon fast stellvertretend steht. Seither versucht der Smartphone-Hersteller mit allen Mitteln, die riesige Lücke zu stopfen, die der fehlende Zugang zum Play Store hinterlassen hat.
Dafür greifen die Chinesen zu jedem nur erdenklichen Kniff und werden bisweilen ziemlich kreativ. Innert beeindruckend kurzer Zeit hat Huawei sein eigenes Ökosystem so massiv ausgebaut. Dass dies sehr wohl nötig ist, zeigt die Tatsache, dass Trump den Bann erst vor kurzem um ein weiteres Jahr verlängert hat.
Nachdem das Mate 30 Pro im Herbst noch sehr limitiert auf den europäischen Markt gekommen war, scheinen die Chinesen nun neues Selbstvertrauen zu haben: Ende März hat man die neue P40-Reihe präsentiert, deren Modelle wieder in ganz Europa erhältlich sind. Ich habe das Huawei P40 Pro nun beinahe zwei Monate ausprobiert. Zum einen natürlich, um die Hardware zu testen, vor allem aber, um zu sehen, ob ein Leben ohne Google-Ökosystem möglich ist.
Mit Standardgrössen von über sechs Zoll ist ein heutiges Handy für einige eine Herausforderung. Auch das P40 Pro bildet mit 6,58 Zoll keine Ausnahme. Immerhin hat es Huawei aber geschafft, den grossen Screen in ein äusserst kompaktes Gehäuse zu verbauen. Damit ist das Gerät sogar etwas kleiner als die der Konkurrenten mit einer vergleichbaren Displaygrösse.
Fairerweise muss man aber auch sagen, dass Huawei hier ein kleines bisschen trickst: Das grosse Display ergibt sich auch dadurch, dass es seitlich gebogen ist. Das ergibt im Falle des P40 Pro schätzungsweise etwa einen halben Zoll, der «um die Kante gebogen ist». Dieser Bereich des Bildschirms wird also zur Display-Diagonale dazugezählt, obwohl er einem nicht viel nützt. Das tun heutzutage aber fast alle Hersteller, von daher ist das nichts Neues.
Neu ist dafür, dass Huawei das Display auch um die Ränder oben und unten herumbiegt. Damit soll der Eindruck eines komplett randlosen Displays noch verstärkt werden. Das gelingt bedingt.
Betrachtet man das Handy frontal von oben, hebt sich der Bildschirm deutlich von Konkurrenzmodellen ab. Den Eindruck, es habe keinen Rand, verfehlt das Design aber etwas, da man ja doch noch die schwarzen Einfassungen des Displays sehen kann.
Oft müssen sich Handys mit gebogenen Displays den Vorwurf gefallen lassen, dass sie schneller kaputtgehen. In den Anfangszeiten mag das so gewesen sein. Inzwischen sind die Curved-Displays aber so stark geworden, dass sie doch einiges aushalten, selbst wenn sie herunterfallen.
Der bekannte YouTube-Kanal JerryRigEverything, der Handys mit diversen Messern zu Leibe rückt, gibt dem P40 Pro eine gute Note. In seinem «Durability Test» zerkratzte das Display ab Stufe 6, was ein guter Wert ist. Auch der Versuch, das Handy zu verbiegen, blieb trotz gebogenem Display erfolglos.
Trotzdem stellt sich natürlich auch hier wieder die altbekannte Frage: Was, ausser, dass das Gerät etwas schmaler ist, bringt ein gebogenes Display im Alltag tatsächlich? Mir ist zumindest noch kein Handy mit gebogenem Rand untergekommen, bei dem ich sagen konnte: Doch, das ist eine sinnvolle Sache. Hier begrüsse ich Samsungs Tendenz, von stark gebogenen Displays wegzukommen.
Beim Display ist Huawei mit zwei Auflösungen am Start. Nebst 1760 x 800 Pixel kann man sich auch 2640 x 1200 Pixel gönnen. Damit ist das P40 Pro nicht bei den Spitzenreitern dabei, was die Auflösung angeht. Dasselbe gilt für die Bildschirmaktualisierungsrate: Hier kann man maximal 90 Hertz auswählen. Bei anderen Smartphones gibt's da schon 120 Hertz.
Das Huawei sich hier nicht für die bestmögliche Leistung entscheiden hat, begründet der Hersteller mit der Akkulaufzeit. Die aktuelle Konfiguration sei der perfekte Kompromiss, um eine möglichst lange Batterielaufzeit zu gewährleisten. Diese Taktik fuhr Huawei bereits in der Vergangenheit. Während Samsung oder Sony sich mit immer höheren Auflösungen überboten hatten, verbaute Huawei lange nur Full-HD-Displays.
In Kombination mit grossen Akkus erarbeitete sich Huawei so einen überaus guten Ruf, was die Akkulaufzeit betraf. Dass der Entscheid, vorerst noch nicht auf 120 Hertz zu setzen, richtig sein könnte, zeigte unser Test zum Samsung Galaxy S20 Ultra. Mit aktivierten 120 Hertz ging die Akkulaufzeit um deutliche zwei bis drei Stunden zurück.
Wer unbedingt 120 Hertz möchte, wird mit dem P40 Pro also nicht glücklich. Alle anderen erhalten ein gestochen scharfes Display, mit flüssigen Animationen, das für Videos genauso taugt, wie für die tägliche WhatsApp-Nachrichtenflut. Für Streaming-Fans gibt's auch HDR10, was heutzutage bei Flaggschiff-Smarpthones aber bereits Standard ist.
Wer darauf gehofft hat, dass der Fingerabdruck im Display schneller als beim P30 Pro geworden ist, wird enttäuscht. In der Theorie ist der Scanner laut Datenblatt zwar ein paar Prozent schneller, in der Praxis merkt man das aber nicht wirklich.
Dennoch geht das Entsperren per Fingerabdruck schnell vonstatten und funktioniert zuverlässig. Erfreulich ist auch, dass der Scanner nun auch dann fast fehlerfrei funktioniert, wenn man nasse Finger hat. In diesem Bereich hat Huawei den Scanner im Vergleich zum Vorgängermodell merklich verbessert.
Etwas nervig – im Vergleich zum P30 Pro – ist, dass Huawei den Scanner nun um einiges weiter oben im Display positioniert hat. Daran gewöhnt man sich zwar, allerdings erst, nachdem man seinen Finger aus Gewohnheit einige Tage lang immer wieder am falschen Ort platziert hat.
Zum Innenleben braucht man eigentlich nicht viel zu sagen, denn diese ist erwartungsgemäss top. Der neuste Kirin-Prozessor wird von 8 GB RAM Arbeitsspeicher flankiert. Das ist mehr als mancher Einsteigerlaptop leistet. Zwar gibt es von Oppo oder Samsung bereits Handys mit mehr Arbeitsspeicher, doch selbst ein Intensivnutzer dürfte das P40 Pro kaum ins Schwitzen bringen.
Beim Speicher gibt es intern 256 GB, was einige Zeit reichen dürfte. Wem das zu wenig ist, kann den Speicher erweitern. Wie in der Vergangenheit setzt Huawei dabei nicht mehr auf microSD-Karten, sondern auf NanoSD.
Huawei ist in Sachen Smartphone-Kameras schon seit Jahren führend. Mit ihren Kamerasystemen, die sie in den Top-Modellen verbauen, setzen sie sich regelmässig an die Kameraspitze der Experten von DxOMark.
Die Chinesen haben dabei begriffen, auf was es beim Fotografieren wirklich ankommt. Statt mit möglichst vielen Megapixeln zu protzen, verbaut Huawei lieber einen grossen Sensor. So steckt im P40 Pro der grösste Sensor, der aktuell für Smartphones erhältlich ist. Bei der Auflösung gibt es dann dafür «nur» 50 Megapixel.
Das macht sich beim P40 Pro dann natürlich bei Situationen mit schlechtem Licht bemerkbar. Selbst nachts, wenn nur wenig Licht vorhanden ist, schafft es die Kamera, noch erstaunlich viele Details aus einer Szenerie herauszuholen.
Bei genügend Licht muss man nicht einmal in den Nachtmodus wechseln, der normale Fotomodus reicht da vollkommen. Hier ist dann auch der einzige Kritikpunkt zu finden, wenn man denn so will: Fotografiert man im Nachtmodus, hellt dieser das Foto manchmal so stark auf, dass vor allem beim Himmel oft Rauschen auftritt. Hier sehen Fotos mit dem normalen Kameramodus manchmal sogar besser aus.
Auch während des Tages überzeugt die Kamera durchs Band. Es scheint kaum eine Situation zu geben, mit der das Huawei P40 Pro nicht klar kommt. Das Gerät fokussiert blitzschnell und zuverlässig, etwas, bei dem Samsung mit dem Galaxy S20 Ultra ordentlich gepatzt hatte.
Auch bei Gegenlicht hat das P40 Pro die Nase noch immer ein bisschen vorne. Wo vergleichbare Handys bei den Details Probleme kriegen und Farben ineinander fliessen lassen, kann das P40 Pro noch immer ein paar Details herausholen.
Huawei setzt seit etwa zwei Jahren verstärkt auf guten Zoom und setzt daher möglichst auf optische statt digitale Vergrösserung. Inzwischen ist auch die Konkurrenz auf den Zoomzug aufgesprungen. Hier zeigt sich, welchen Vorsprung Huawei hat. Denn während viele andere Hersteller den Rückstand mit digitalem Zoom kompensieren wollen, hat Huawei weiterhin an der optischen Vergrösserung geschraubt.
So hat man mit dem P40 Pro die Möglichkeit, fünffach optisch zu zoomen. Danach gibt's zehnfachen Hybridzoom, dann geht es digital weiter. Ende Juni wurde mit dem P40 Pro Plus sogar ein optischer Zehnfachzoom eingeführt werden.
Zum Vergleich: Das Topmodell von Samsung, das Galaxy S20 Ultra hat zwar einen 100fachen Digitalzooom («Space Zoom»), optisch kommt das Gerät aber nicht über eine dreifache Vergrösserung hinaus.
Noch im letzten Jahr hatte ich die Makrolinse des P30 und P30 Pro hervorgehoben. Mit einem Nahbereich von 25 Millimeter gelangen mit dem Smartphone erstaunlich gute Aufnahmen. Leider hat Huawei die Makrolinse im P40 Pro gestrichen. Das ist umso erstaunlicher, da Huawei diese Linse nicht ganz aus der P40-Reihe verbannt hat: Im abgespeckten Schwestermodell P40 ist weiterhin ein Makromodus zu finden.
Ob es nun einen Makromodus braucht oder nicht, darüber kann man diskutieren. Dennoch enttäuscht Huawei damit Fans von Makroaufnahmen und riskiert, dass diese zu Oppo abwandern. Diese haben in ihrer Flaggschiffserie selbst beim günstigsten Modell, dem Find X2 Lite, eine Makrolinse verbaut.
Bereits im Mate 40 Pro hatte Huawei mit einer Zeitlupe geprotzt, die eine 256-fache Verlangsamung ermöglicht. Das sind 7860 Bilder pro Sekunde. Mit dem P40 Pro hält dieses Feature nun auch in der P-Reihe Einzug. Allerdings hat sich seit dem Mate 40 Pro nicht merklich etwas verbessert. Ja, es ist beeindruckend, dass ich mit einem Smartphone mit 7860 fps Filmen kann. Allerdings klappt das auch nur für eine Sekunde, wodurch man nicht wirklich Kontrolle über das Video hat. Es ist dann also mehr Zufall, ob die Bewegung, die man als Zeitlupe einfangen will, auch drauf ist.
Ebenfalls muss die Szene äusserst gut ausgeleuchtet sein. Hier merkt man, dass der Kamerasensor an seine Grenzen gerät: Nur schon bei Tageslicht in einem schlecht beleuchteten Innenraum wird das Video mit 7860 fps schnell so dunkel, dass man nicht mehr viel erkennt.
Huawei spendiert dem P40 Pro einen Akku von 4200 mAh. Das ist heutzutage nichts Aussergewöhnliches mehr. Natürlich kommt es beim Akku vor allem auch auf das System an. Ist dieses schlecht auf die Hardware abgestimmt, macht der Akku schneller schlapp.
Beim P40 Pro hält der Akku gut durch, so wie man das von Huawei gewohnt ist. Bei durchschnittlicher Nutzung kommt man so problemlos durch den Tag – auch dann, wenn man die höchste Displayauflösung und 90 Hertz aktiviert hat.
Wer sein Handy den ganzen Tag wirklich intensiv nutzt, kommt ebenfalls gut durch einen Arbeitstag. Am Abend sollte man dann aber doch schauen, dass die nächste Steckdose nicht allzu weit weg ist.
Wer mit seinem P40 Pro aber möglichst lange ohne Strom auskommen möchte, sollte Auflösung und Bildwiederholungsrate heruntersetzten. Damit kommt man dann bei durchschnittlicher Nutzung weit über einen Tag ohne Ladekabel aus. Allerdings schaffen das auch Flaggschiffe der Konkurrenz ohne Probleme.
Auch geladen ist das P40 Pro ruckzuck. Dafür setzt Huawei auf einen Adapter mit 40 Watt. Beim Tempo muss man die Krone aber an Oppo abgeben. Die 34 Minuten, in denen das Oppo Find X2 Pro in unserem Test geladen war, kriegt Huawei (noch) nicht hin. Beim Find X2 Pro büsst man dafür die kabellose Ladefähigkeit ein. Bei Huawei geht diese umso rasanter: Mit 27 Watt lädt man schneller als manches Mittelklassehandy via Kabel. Dabei fliesst der Strom in beide Richtungen – man kann mit Reverse Charging also auch andere Geräte mit 27 Watt kabellos laden (wenn diese das unterstützen).
Die allgemeine Meinung über die ganze Huawei-Google-Situation scheint für viele klar zu sein: Huawei darf US-Apps nicht mehr nutzen. Damit fallen nicht nur einige der beliebtesten Anwendungen der Schweizer weg, sondern auch der Zugang zum Play Store. Nutzer des P40 Pro sind im ersten Moment also auch von Apps abgeschnitten, die eigentlich nicht vom US-Bann betroffen wären.
Huawei steht nun seit mehreren Monaten vor der grossen Aufgabe, genug Apps auf seinen neuen Handys verfügbar zu machen, um einen Kauf zu rechtfertigen. Dabei gibt es einige Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt – und es ist bei weitem nicht so simpel, als das man Apps einfach aus alternativen Quellen installieren könnte und dann läuft alles.
Grundsätzlich hat Huawei drei Hauptprobleme, die es zu bewältigen gilt:
Nachfolgend findet ihr eine detaillierte Übersicht, wie Huawei diese Probleme angeht – und ob man damit überzeugt.
Die Lösung für den versierten User klingt im ersten Moment einfach: Man besorgt sich die Apps einfach aus alternativen Quellen. Solche gibt es einige – mal mehr, mal weniger vertrauenswürdig.
Um dieses Problem zu lösen, hat Huawei diverse Ansätze gewählt, die sich gegenseitig ergänzen.
Diese Methode war einer der ersten Lösungsansätze von Huawei. Richtet man das P40 Pro neu ein, kann man via der App «Phone Clone» praktisch sämtliche Daten vom alten Handy übertragen. Die Prozedur ist relativ einfach und dürfte auch einem Laien nicht schwerfallen. Am besten klappt das natürlich, wenn man bereits ein altes Huawei-Smartphone hat. Auch mit anderen Android-Handys funktionierte das in mehreren Tests, die ich durchgeführt habe, problemlos.
Problematisch wird es beim iPhone. Hier können nicht einfach die Apps kopiert werden. Zuvor hat Phone Clone diese dann einfach aus dem Play Store geladen. Das ist nun natürlich nicht mehr möglich. Ob das P40 Pro die verfügbaren Apps dann einfach aus der AppGallery (Huaweis App-Store) herunterlädt, konnte ich mangels iPhone nicht testen. (Zumal die Apps in der AppGallery höchstwahrscheinlich sowieso nicht alle verfügbar sein dürften).
Was man via Phone Clone nicht kopieren kann, sind fast alle Google-Apps. Wer also hofft, auf diesem Weg einfach YouTube und Co. kopieren zu können, wird enttäuscht. Das Ganze würde auch nichts bringen, denn ohne Google Mobile Services laufen Google-Apps nicht fehlerfrei. Problemlos funktionieren dafür andere US-Apps wie Instagram oder auch Facebook, solange diese keine GMS nutzen.
Mit dieser Methode kann man also im ersten Moment relativ einfach seine alten Apps – mehr oder weniger komplett – auf das P40 Pro kopieren. Diese Methode hat aber auch einen ganz grossen Haken, den Huawei gerne verschweigt: Ist die App nicht in der AppGallery oder via Petal Search (siehe Lösungsansatz 4) verfügbar, kriegt man keine Updates – zumindest nicht mit einem Klick.
Nun gut, vielleicht kann man bei gewissen Apps ohne Updates leben. In erster Linie kommt man so nicht in den Genuss von neuen Funktionen. Problematischer wird es aber, wenn eine Anwendung dringend aktualisiert werden muss, weil eine Sicherheitslücke geschlossen entdeckt wurde. Hier müsste man sich dann über Umwege die aktuellste APK-Datei besorgen und installieren. Das ist mühsam.
Wenn der Play Store weg ist, muss eben ein Ersatz her. Huaweis AppGallery ist dabei nicht neu, fristete in den vergangenen Jahren, ähnlich wie beispielsweise Samsungs Galaxy Store, aber eher ein stiefmütterliches Dasein. Verständlich, denn wegen des Play Stores gab es weder für Entwickler noch für Huawei einen Grund, allzu viele Ressourcen in die AppGallery zu stecken.
Das hat sich nun natürlich schlagartig geändert. Seit etwa einem halben Jahr wächst die AppGallery kontinuierlich, sodass fast täglich neue Apps darin auftauchen. Da Huawei weiterhin Android als Betriebssystem nutzen kann, ist es für Entwickler verhältnissmässig einfach, ihre Apps in die AppGallery zu bringen.
Entsprechend viele grosse Namen sind bereits in Huaweis eigenem Shop zu finden. Klickt man sich etwas durch den Store, findet man bekannte Apps wie:
Im ersten Moment verwundert, dass auch US-Apps wie Microsofts Office-Suite offiziell verfügbar ist. Das liegt daran, dass US-Unternehmen Ausnahmelizenzen für den Handel mit Huawei bei der Regierung beantragen können. Microsoft hat diese erhalten – während Google noch immer auf die Ausnahmebewilligung wartet.
Nicht immer sind die Apps aber direkt in der AppGallery verfügbar. In einigen Fällen wird man auf die Herstellerseite weitergeleitet und muss die Installationsdatei direkt von da herunterladen. Dies ist zum Beispiel bei WhatsApp oder Facebook der Fall. Huawei hat so einen Weg gefunden, den US-Bann zu umgehen. Hier muss aber natürlich der Entwickler mitspielen und die App auf seiner Website zum Download anbieten.
Praktisch: Auch wenn man eine APK-Datei via AppGallery extern herunterlädt, soll man laut Huawei über neue Versionen informiert werden.
Quick Apps ist mit Abstand der schwächste Lösungsansatz, den Huawei vorgestellt hat. Im Wesentlichen sind Quick Apps nichts anderes als die Mobile Website einer Anwendung. Zwar findet man die Quick Apps in der AppGallery, klickt man aber auf Öffnen, fügt der Shop einfach ein Icon zum Handy-Startbildschirm hinzu. Das ist nichts anderes, als wenn man via Browser eine Seitenverknüpfung zum Startbildschirm hinzufügt.
Das mag bei gewissen Diensten wie YouTube als passabler Ersatz funktionieren, geht bei einigen aber auch gründlich schief. Bestes Beispiel dafür ist die Quick App für Twint: Was nützt mir die mobile Website von Twint? Ausser mich über den Dienst informieren kann ich damit nämlich nichts weiter anfangen.
Twint zeigt aber noch eine weitere Problematik auf, die bei gewissen Apps, die noch Google Mobile Services nutzen, auftreten kann: So lassen sich die Twint-Versionen von Postfinance und UBS auf dem P40 Pro ohne GMS problemlos nutzen. Die Prepaid-Version von Twint hingegen, bemängelt beim Aufstarten die fehlenden Google Mobile Services und lässt sich daraufhin nicht nutzen.
Das liegt laut Huawei daran, dass die verschiedenen Twint-Varianten unterschiedliche GMS-Anforderungen stellten: Zwar würden alle Twint-Varianten Google-Schnittstellen nutzen, allerdings setzten gewisse Twint-Varianten diese nicht zwingend voraus. Daher funktionierten dann schlussendlich gewisse Twint-Versionen doch. Die unterschiedlichen Anforderungen liessen sich damit erklären, dass die Banken bei ihren Versionen mitreden können. Eine einheitliche Funktionsweise wäre also nur garantiert, wenn die Twint-Apps für HMS angepasst werden.
Auf Anfrage von watson hat Twint mitgeteilt, dass man die Thematik auf dem Radar habe. Man könne aktuell aber noch kein konkretes Datum nennen, ab wann die Twint-Apps in der AppGallery verfügbar sein werden. Ähnlich klingt es vonseiten Huawei. Sprecher Pascal Landolt teilte uns mit, dass das Ecosystem-Team sich in einer frühen Phase der Verhandlungen mit Twint befinde.
Die App Petal Search ist nebst der AppGallery wohl die beste Alternative, um Anwendungen auf dem P40 Pro zu installieren. Petal Search liefert nebst normalen Suchergebnissen auch Downloadlinks für Android-Apps. Dabei werden nur Quellen durchsucht, die laut Huawei als sicher gelten.
Huawei gibt an, dass man so auf mehr als drei Millionen Apps und deren Updates Zugriff habe. Findet man die App via Petal Search, kann man sie direkt herunterladen und installieren. In Petal Search würden dabei nicht einfach willkürliche Links zu APK-Dateien angezeigt, sondern nur solche, die Huawei überprüft habe. So will der Konzern eine möglichst hohe Sicherheit garantieren.
Dennoch bleibt unter dem Strich ein Restrisiko für diese Anwendungen aus Drittquellen. Selbst Huawei gibt hier zu, dass bei Anwendungen, die via Petal Search installiert werden, immer ein Restrisiko bleibt und nur die AppGallery hier wirklich eine sichere Quelle ist.
Für den Fall, dass doch einmal eine schadhafte Installationsdatei auf das Handy gelangt, hat Huawei einen Virenscanner in sein angepasstest Betriebssystem integriert.
Dieser überprüft jede App auf schadhaften Code, bevor diese installiert werden kann. Wie verlässlich dieser Virenscanner schlussendlich wirklich ist, lässt sich leider nicht prüfen. Auf Anfrage von watson teilte Huawei mit, dass es sich beim Virenscanner um eine Eigenentwicklung handle und diese tief im System verankert sei.
Was auch noch nicht einwandfrei klappt, ist die App-Aktualisierung via Petal Search. Ja, die Apps scheinen zuverlässig im Update-Center aufzutauchen, wenn eine neue Version verfügbar ist. Installiert man dann aber das Update, passiert es manchmal, dass die aktualisierte App noch immer im Bereich «Aktualisierungen» angezeigt wird.
Stand heute ist es also so, dass man mit Bordmitteln, die Huawei zur Verfügung stellt, schon sehr viele der wichtigen Apps beziehen kann. Nur, weil man aber Anwendungen herunterladen kann, heisst das noch lange nicht, dass man sie dann auch nutzen kann.
Das Problem sind die Google Mobile Services (GMS). Das sind verschiedene Software-Schnittstellen, die Google für Entwickler zur Verfügung stellt. Diese nutzen die natürlich fleissig. Das Problem: Wenn diese Schnittstellen fehlen, funktionieren die Apps nicht mehr oder nur noch eingeschränkt. Apps wie YouTube oder Google Drive kann man gleich ganz vergessen, während beispielsweise bei der watson-App das Login via Google-Account nicht mehr möglich ist.
Huawei tritt diesem Problem entgegen, indem es eigene Software-Schnittstellen entwickelt und zur Verfügung stellt. Diese sind unter dem Namen Huawei Mobile Services zusammengefasst. Mittlerweile ist HMS soweit fortgeschritten, dass praktisch alle Google Mobile Services ersetzt werden können. Das Problem: Die Entwickler müssen ihre Apps dennoch dafür anpassen, was Aufwand bedeutet.
Huawei möchte dieses Problem mit Geld und lokalen Teams lösen. Diese Teams, von denen es auch eines in der Schweiz gibt, sollen Entwickler dazu animieren, ihre App nicht nur in die AppGallery zu laden, sondern auch auf HMS abzustimmen. Machen sie das nicht, bleibt die App auf dem P40 Pro und kommenden Huawei-Handys im schlimmsten Fall unbrauchbar – es kommt immer darauf an, ob und wie viele Google Mobile Services genutzt werden.
Das Huawei durchaus eine Plattform ist, die Entwickler nicht so einfach ignorieren können, wie damals noch Windows Phone, zeigen die Zahlen. Alleine in Europa haben laut Huawei 76 Millionen Nutzer eine Huawei-ID angelegt. Weltweit seien monatlich über 460 Millionen Nutzer in der AppGallery aktiv. Diese Zahl beinhaltet allerdings auch die chinesischen Nutzer. In China dominiert Huawei den Markt mit über 60 Prozent Marktanteil. Im Moment sollen rund 81'000 Apps bereits HMS integriert haben. Insgesamt hätten sich bisher 1,6 Millionen Entwickler für HMS registriert.
Das klingt natürlich alles schön und gut, dennoch bleiben etliche Baustellen, die man als Endnutzer nicht ignorieren kann. Eine davon ist Google Pay. Zwar gibt es mit Huawei Pay bereits einen Ersatz, der auch bald nach Europa kommen soll – dass die Banken da aber zeitig aufspringen, ist unwahrscheinlich. Immerhin haben es einige Banken noch nicht einmal geschafft, bei ihren Kreditkarten Google Pay oder Apple Pay verfügbar zu machen.
Jetzt gibt es natürlich die Personen, die sagen: Kein Problem, ich besorge mir die Google Mobile Services aus alternativen Quellen und installier sie einfach. Das geht theoretisch. Allerdings ist das mit einiger Bastelei (und Aufwand) verbunden. Und Basteleien sind nie gut. Es erfordert einen tiefen Eingriff ins System, das Sicherheitslücken generieren und das Handy instabil machen könnte. Ausserdem muss man muss Software, deren Herkunft unklar ist, vollen Administratorzugriff gewähren. Das ist grob fahrlässig! Huawei und Google raten beide dringlichst davon ab.
Aber nehmen wir jetzt einmal an, man hat sich GMS installiert und diese laufen korrekt: Selbst dann gibt es noch einige Apps, die ihren Dienst verweigern werden. Der Grund: Android-Smartphones sind heutzutage von Google durch «Google Play Protect» geschützt, respektive zertifiziert. Dem Huawei P40 Pro fehlt diese Zertifizierung. Es gibt aber Apps, die auf Geräten, die nicht Google-Zertifiziert sind, ihren Dienst verweigern. Dazu gehören vor allem Sicherheits- und Banking-Apps. Selbst mit korrekt installiertem GMS werden diese also ohne Google Play Protect nicht funktionieren. Das ist auch sinnvoll, denn so kann schon ein Grossteil betrügerischer Aktivitäten vorgebeugt werden.
Auch hier ist der einzige Lösungsansatz, dass Huawei es schafft, die betreffenden App-Entwickler dazu zu bringen, zu HMS zu wechseln. Sind die Apps erst einmal darauf angepasst, laufen sie auch ohne Google Play Protect.
Übrigens: In unserem Test liefen die Apps der Smartphone-Banken Neon und ZAK auch auf dem P40 Pro problemlos. Auf Anfrage von watson teilte Neon-Sprecher Julius Kirscheneder mit, das läge daran, dass man nebst einigen Frontend-Sicherheistmerkmalen vor allem auf die Absicherung im Backend setze. Daher halte Neon seine App auch ohne Google Play Protect für sehr sicher. Dies sei im Rahmen von Security Audits wiederholt getestet und bestätigt worden. Trotzdem wolle man nun die Portierung in die AppGallery angehen.
Unsere Anfrage an die Bank Cler, welche die ZAK-App anbietet, blieb bisher leider unbeantwortet.
Huawei kann mit der AppGallery ein solides Grundangebot an Apps anbieten. Auch einige grosse Namen sind bereits dabei. Viele in der Schweiz beliebte Apps fehlen aber nach wie vor. Einige davon kann man sich allerdings über die neue Suchmaschine Petal Search sehr einfach auf das Handy holen. Hier bleibt allerdings immer ein leicht ungutes Gefühl, weil die Anwendungen nicht aus offiziellen Quellen kommen. Huawei bietet zwar einen Virenscanner an, doch wie zuverlässig dieser ist, lässt sich nicht überprüfen.
Auch die Problematik, dass viele Anwendungen noch auf Google Mobile Services oder die Google-Zertifizierung angewiesen sind, steht dem P40 Pro noch im Weg. Ob eine Anwendung läuft, wird damit zu einem wahrlichen Abenteuer. Hier braucht es Geduld und den Willen, zu experimentieren, auf (unbekannte) Alternativen zurückzugreifen oder schlicht zu verzichten.
Etwas, das einem erst im Laufe der Zeit bewusst wird, ist, dass Huawei es in Zeiten von Google verpasst hat, seine eigenen Lösungen aktuell zu halten. So waren zum Beispiel Apps wie Huawei Musik bezüglich Benutzeroberfläche bis vor kurzem nicht gerade bedienungsfreundlich.
Selten sind Bereiche sogar noch nicht 100 Prozent lokalisiert. Beispielsweise beim Bezahlsystem für Apps und Musik, wo Teile der Benutzeroberfläche noch auf Englisch und ganz selten sogar auf Chinesisch waren.
Ein Stück weit ist das verständlich, denn diese Bereiche wurden bisher in Europa nicht wirklich ausgerollt oder gepusht, da wir so stark auf Google-Dienste fixiert sind.
Nun sieht man aber fast wöchentlich, wie ein Ökosystem wächst und sich verändert – teilweise sogar massiv. Auf der einen Seite ist das ein Novum, immerhin finden solche Veränderungen ansonsten meist nur mit einem Major-Update des Betriebssystems statt. Auf der anderen Seite ist es auch spannend, zuzusehen, wie sich alles verändert und man sozusagen an vorderster Front dabei ist – auch wenn das einem natürlich bezüglich App-Verfügbarkeit nichts bringt.
In Sachen Hardware hat Huawei ein grossartiges Smartphone vorgestellt. Die Kamera ist aktuell etwas vom Besten, das man in einem Handy findet. Huawei zeigt, dass seine Smartphones noch immer die Geräte sind, an denen sich andere Hersteller messen müssen. In Anbetracht dessen, muss die Konkurrenz fast froh sein, das Huawei keine Google-Dienste nutzen darf. Das ist nämlich weiterhin das grosse Aber: Huaweis Ökosystem ist noch immer nicht flügge.
Die Probleme sind dabei weit vielfältiger als nur fehlende Apps von Google. Dennoch hat Huawei in einer äusserst kurzen Zeit softwareseitig einiges auf die Beine gestellt. Dadurch ist ein Leben ohne Play Store und GMS tatsächlich möglich – wenn man zu Kompromissen bereit ist und gerne experimentiert.
Im Endeffekt muss man sich bei Huawei ein Stück weit auf etwas Neues einlassen: Ein eigenes Ökosystem, dass noch gewisse Lücken hat, lange aber nicht mehr solch grosse, wie noch vor sechs Monaten. Für Google-Apps und viele grosse Apps gibt es fast immer alternative Lösungen. Diese funktionieren mal besser, mal schlechter.
Problematischer als die fehlenden Google-Apps ist aber, dass viele Anwendungen ohne Google-Schnittstellen nicht richtig oder gar nicht funktionieren. Zwar hat Huawei eigene Schnittstellen, aber diese sind erst in wenigen Apps integriert. Dadurch hinkt Huawei vor allem bei Banking- und Bezahl-Apps noch hoffnungslos hinterher. Im Moment scheint es, als würden nur Neo-Banken wie Neon oder ZAK problemlos funktionieren.
So kann ich nach zwei Monaten sagen: Ja, ein Smartphone-Leben ohne Google-Software-Unterbau ist möglich. Nicht ohne (teilweise grössere) Kompromisse aber lange nicht so mühsam wie gedacht. Dennoch sollte man sich bewusst sein, dass man sich mit einem P40 Pro noch immer auf ein Software-Abenteuer einlässt. Wer sich ein sorgloses App-Leben wünscht, sollte lieber zu einer Alternative greifen. Soll es Huawei sein, wäre beispielsweise das P30 Pro noch immer eine gute Wahl. Auch dieses gibt es mittlerweile in der Farbe Silver Frost. Doch auch ein Blick zu Oppo kann nicht schaden – vor allem im Bereich der Kamera eine der grössten Herausforderer von Hauwei.
Huawei verdient ja an der Hardware und muss nicht wie z.B. Apple die Benutzer einschränken, damit sie keine Musik mit Kollegen teilen oder so.
Habe gerade diese Woche mein Telefon (gerootet) "sauber" gemacht und war echt erstaunt, was, wo und von wann sich da überall Daten, gerade unter dem "Playservice" (knapp 500 MB gewachsen) von mir befanden. Kaum erledigt, war der Suchspeicher schon wieder mit rund 50 MB gefüllt, obwohl ich da noch nichts mit einer Google-App gemacht hatte.
Werde mal zu LineageOS wechseln...