Diese YouTuber lehren Putin-Fans mit ihren schonungslosen Analysen das Fürchten
Der Name mag langweilig klingen, doch dieser YouTube-Kanal ist höchst spannend und ein rotes Tuch für russische Internet-Trolle und Putin-Versteher: Falls du «VisualPolitik» noch nicht kennst, empfehle ich einen Besuch.
Gerade am 9. Mai, an dem Kriegsrhetorik und Propaganda die Schlagzeilen dominierten, lohnte es sich, eines der neusten Videos bei VisualPolitik zu gucken. Der Titel: «Was macht die RUSSISCHE ARMEE so INEFFEKTIV?»
Das Video ist mit 30 Minuten deutlich länger als die meisten Beiträge, die Tag für Tag auf der Google-Plattform veröffentlicht werden. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Werken hält es inhaltlich und optisch, was es verspricht.
Worum geht's?
Der Beschrieb der Video-Macher bringt es auf den Punkt:
Abgesehen von den Gräueltaten der russischen Truppen zeigt dieses russische Versagen eine Realität auf, die viele überrascht hat: Die russische Armee wird den Erwartungen, die sie seit Jahren weckt, nicht gerecht. Im Jahr 2008 leitete Wladimir Putin einen ehrgeizigen Prozess zur Modernisierung des Militärs ein. Schlüsselfiguren wie Sergej Schoigu und vor allem General Waleri Gerassimow leiteten einen Reformprozess ein, um das sowjetische Erbe abzuschaffen und die Streitkräfte auf das 21. Jahrhundert vorzubereiten.
Die Realität ist jedoch, dass die alten Probleme der sowjetischen Armee fortbestehen oder sogar noch schlimmer geworden sind.
In diesem Video beantworten wir daher die springende Frage, warum das russische Militär noch immer so ineffektiv ist.»
Die Analyse gliedert sich in drei Teile:
- «Das Ausbildungsdefizit»
- «Eine Armee ohne Unteroffiziere»
- «Des Diktators neue Kleider»
Kurz zusammengefasst: Das Versagen der russischen Armee im Krieg gegen die Ukraine geht auf massive strukturelle Probleme der Streitkräfte sowie auf krasse militärische Fehleinschätzungen des Alleinherrschers Putin zurück.
Der russischen Armee mangelt es trotz intensiver Nachwuchsförderung und Propaganda an Unteroffizieren. Doch genau die bräuchte es dringend, um die Ausbildung der Rekruten sicherzustellen – und als Bindeglied zu den Offizieren.
Der Personalmangel ist auf ein Phänomen zurückzuführen, das auf Russisch Dedowschtschina genannt wird und bei watson schon vom Schweizer Militärpsychologen Hubert Annen in einem lesenswerten Interview thematisiert wurde.
VisualPolitik konstatiert treffend:
Das Video ruft auch ein spannendes Detail zu Russlands Diktator in Erinnerung, das vielen nicht bekannt sein dürfte: Der junge Wladimir Putin missbrauchte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein internationales Hilfsprogramm, das die darbende Bevölkerung mit Lebensmittel versorgen sollte, um seine ersten 100 Millionen Dollar zu stehlen.
Ironie der Geschichte: 30 Jahre später steckte einer seiner Geheimdienst-Generäle die gleiche Summe in die eigene Tasche, statt den von Russlands Führung geplanten Umsturz in der Ukraine zu finanzieren.
Das treffende Fazit von VisualPolitik:
Wichtig: Lass dich nicht vom bunten Hawaiihemd abschrecken, das der deutschsprachige Moderator trägt. Dabei handelt es sich um den deutschen Informatiker Mark Reicher, der 2018 dem Team von VisualPolitik beitrat (siehe unten).
Was war der Auslöser für das Russland-Video?
Reicher erklärt, dass das aktuelle Video auf einer früheren Analyse basiere, die grosse Kontroversen auslöste. Im September 2020 habe VisualPolitik ein Video mit dem Titel «Was taugt Putins Armee?» veröffentlicht. Daraufhin habe ihnen der YouTube-Algorithmus «einen Haufen Putin-Fans und deutschsprechender Russonationalisten in den Kanal gespült».
Dabei habe das VisualPolitik-Team schon damals «nur anhand konkreter Fakten und Daten kühl analysiert», wie gross die Modernisierungs-Defizite nach Putins erster grosser Armeereform noch immer waren und welch gewaltiger Graben zwischen Schein und Sein der Streitkräfte klaffte.
Mehr als anderthalb Jahre später hätten viele YouTube-Nutzerinnen und -Nutzer um ein «Update» zum damaligen Video gebeten. Denn zum einen habe der russische Krieg in der Ukraine ja gezeigt, dass alle von VisualPolitik vorgebrachten Kritikpunkte der Wahrheit entsprochen hätten. Zum anderen aber auch, dass die Defizite der russischen Armee noch viel weitreichender seien, als damals vorhergesagt.
Wer steht hinter «VisualPolitik»?
Der YouTube-Kanal geht auf eine Initiative von drei jungen spanischen Uni-Absolventen zurück. Enrique Fonseca, Alberto Rodríguez und Enrique Couto lernten sich bei einem Politologie-Sommerkurs kennen und wurden Freunde.
Sie seien fasziniert davon gewesen, «ideologieunabhängig zu ergründen», was in der Welt aus welchem Grund passiere. Per Skype diskutierten sie über Bücher, Artikel und Politik im Allgemeinen und kamen eines Tages auf die Idee, diese persönlichen Gespräche bei YouTube hochzuladen.
2016 ging ihr spanischsprachiger Kanal in Betrieb, ein Jahr später liessen die Macher – wegen des grossen Interesses – einen englischsprachigen Kanal folgen.
Im Februar 2020 ging die deutschsprachige Version von VisualPolitik auf YouTube online und im März 2020 wurde das erste deutschsprachige Video veröffentlicht
Die Video-Macher schreiben:
Der Blick in die YouTube-Playlists zeigt, dass das VisualPolitik-Team auch andere heisse Themen angeht.
Quellen
- wikipedia.org: VisualPolitik
- visualpolitik.de: Der unabhängige YouTube-Kanal über Geopolitik und Weltwirtschaft