Von der Datenschutzorganisation «Digitale Gesellschaft» am Mittwoch publik gemachte Formulare geben einen Einblick in die Überwachungspraxis der Schweiz. Sie schlüsseln auf, welche Überwachungsmassnahmen Nachrichtendienst, Polizei und Staatsanwaltschaften bei der Überwachungsbehörde Dienst ÜPF anordnen können: Telefongespräche mithören, E-Mails mitlesen, Briefpost abfangen bis hin zum sogenannten Antennensuchlauf. Gemeint ist die Identifikation aller Smartphones, die mit einer bestimmten Mobilfunkantenne während eines gewissen Zeitraums verbunden sind.
Die Digitale Gesellschaft stellt alle Formulare als Download (PDF) zur Verfügung.
Die Datenschützer der Digitalen Gesellschaft kritisieren insbesondere die in den Formularen zu findenden und längst bekannten Möglichkeiten des sogenannten Antennensuchlaufs. «Dies ermöglicht eine Rasterfahndung, bei der allenfalls viele hundert oder tausend Personen gezwungen sind, ihre Unschuld zu beweisen, was unangenehm bis sehr schwierig ist, da sie sich ja offensichtlich am Ort befunden haben», sagt Erik Schönenberger, Geschäftsleiter der Digitalen Gesellschaft.
Eigentlich seien Überwachungsgesetze darauf ausgelegt, dass bereits verdächtige Personen überwacht werden können. Beim Antennensuchlauf werde hingegen «in einem grossen Datentopf nach Verdächtigen gesucht», kritisiert Schönenberger. Diese Form der Rasterfahndung wurde in den letzten drei Jahren schweizweit über 6000 Mal angeordnet. Dies, obwohl «für die schwerwiegende Massnahme eine formelle, gesetzliche Grundlage im Überwachungsgesetz Büpf fehlt», wie die Datenschützer schreiben.
Mit den nun vorliegenden Formularen können die Ermittler auch rückwirkend bei den Providern Auskünfte zur Identifikation der Internet- und Mobilfunk-User einholen. Um dieser Auskunftspflicht nachzukommen, speichern die Provider die besuchten Webserver, was nebenher Rückschlüsse auf das Surfverhalten erlaubt.
Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte (EDÖB) hatte sich im Konsultationsverfahren zum revidierten Überwachungsgesetz (Büpf) stets gegen die Speicherung des Surfverhaltens ausgesprochen, drang damit aber nicht durch.
«Diese weitreichende Form der Vorratsdatenspeicherung ist gesetzlich nicht vorgesehen», moniert die Digitale Gesellschaft, die sich für Grundrechte im Internet einsetzt. Es handle sich «um eine weitere Form der Massenüberwachung aller Menschen ohne Anlass und Verdacht».
Er sei indes nicht überrascht, «die Formulare widerspiegeln den ausgebauten und gut geölten Überwachungsstaat», sagt Schönenberger.
Es geht wohlverstanden um leere Formulare, wie sie vom Dienst ÜPF den verschiedenen Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt werden. Doch auch diese leeren Formularvorlagen erlauben einen ungewohnten Einblick in die Mühlen der staatlichen Überwachung.
Der Verein Digitale Gesellschaft hat die Freigabe der Formulare auf dem Rechtsweg erstritten. Der zuständige «Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr» (Dienst ÜPF) wollte selbst die leeren Formulare, die für die Anordnung von Überwachungsmassnahmen verwendet werden, unter Verschluss halten, blitzte aber Ende März vor Gericht ab.
Das Bundesverwaltungsgericht gab den Netzaktivisten recht und war der Meinung, dass Transparenz hergestellt werden soll. Es wies den Dienst ÜPF an, die geforderten Formulare auszuhändigen.
Die Digitale Gesellschaft hatte bereits im April 2020 gestützt auf das Bundesgesetz über das Öffentlichkeitsprinzip der Verwaltung um Einsicht in die leeren Formulare gebeten. Der Dienst ÜPF lehnte das Gesuch ab, da man Missbrauch befürchte. «Die Veröffentlichung der Formulare könnte zur Folge haben, dass diese mit krimineller Energie verwendet würden, was beim Dienst ÜPF zumindest mit einer Erhöhung des administrativen Aufwands verbunden wäre», sagt Jean-Louis Biberstein, Stv. Leiter Dienst ÜPF.
Die nun ausgehändigten Formulare werden immer noch vereinzelt von Strafverfolgungsbehörden digital im PDF-Format ausgefüllt. Im Alltag der Strafverfolgungsbehörden spielen sie aber kaum mehr eine Rolle. «Nahezu sämtliche Aufträge werden dem Dienst ÜPF über das elektronische Auftragsverwaltungssystem erteilt», sagt Biberstein.
Die Absender der Überwachungsaufträge über das elektronische System seien ausschliesslich Mitarbeitende der Strafverfolgungsbehörden oder des Nachrichtendienstes des Bundes. Diese Mitarbeitenden seien beim Dienst ÜPF registriert und verfügten über einen Zugriff auf das Auftragsverwaltungssystem. Anders als bei den PDF-Formularen sei der Zugriff mehrfach gesichert und persönlich.
Da aber nicht alle Mitarbeitenden der Strafverfolgungsbehörden oder des Nachrichtendienstes des Bundes über einen solchen Zugriff verfügten, «kommt es ab und an vor, dass Aufträge mittels den genannten Formularen erteilt werden», sagt Biberstein. Die Absender dieser Formulare seien, anders als die Nutzer des elektronischen Systems, «nicht direkt eindeutig identifizierbar».
Eine Missbrauchsgefahr aufgrund der Veröffentlichung der Formulare ist für die Digitale Gesellschaft «nicht nachvollziehbar», zumal die PDF-Formulare «nur ausgedruckt vorliegen und gescannt veröffentlicht werden».
Auch das Gericht kam zum Schluss, dass es dem Dienst ÜPF nicht gelungen sei, eine konkrete Missbrauchsgefahr nachzuweisen, die es rechtfertigen würde, sich der Herausgabe der Formulare zu widersetzen. Diese enthielten keine kritischen Elemente. Zwar könnten die Formulare zu Überwachungsgesuchen von nicht autorisierten Personen führen, doch der Dienst ÜPF prüfe nach eigenen Angaben bereits jetzt die eingehenden Gesuche.
Der Dienst ÜPF hält daran fest, dass die operative Umsetzung der Überwachungsaufträge und somit auch die Formulare «aus sicherheitstechnischen Gründen» nicht öffentlich sein sollten.
- Wer hätte es gedacht
- "Nein, doch, OH!!"
- Wasser ist nass.
Wer jetzt überrascht ist, ist schon ein bisschen dumm.
Der Herr und die Dame haben ja nichts zu verbergen, wa?