Welchen Einfluss hat die chinesische Social-Media-Plattform TikTok auf demokratische Wahlen?
Diese Frage beschäftigt Europa.
Auslöser ist die Präsidentschaftswahl in Rumänien. Am 8. Dezember wird sich zeigen, ob dort ein von Russland finanzierter Ultranationalist an die Macht kommt.
Und das in einem Land am östlichen Rand der Europäischen Union, das an die Ukraine grenzt und als NATO-Mitglied grosse strategische Bedeutung hat.
Am Dienstag wandte sich Rumäniens nationale Medienaufsichtsbehörde mit einem Hilferuf an die EU. Es steht der Verdacht im Raum, dass TikTok entscheidend zu Wahlmanipulation beigetragen habe.
Ein Sprecher der EU-Kommission bestätigte, dass man einen Antrag erhalten habe, «eine formelle Untersuchung der Rolle von TikTok bei den rumänischen Wahlen» einzuleiten. Die rechtliche Grundlage dafür bildet der Digital Services Act (DSA) der Europäischen Union. Ein Gesetz, das sich speziell gegen die Übermacht grosser Techkonzerne und Social-Media-Plattformen richtet.
Der Sieg des ultranationalistischen, prorussischen Kandidaten Călin Georgescu in der ersten Runde habe Schockwellen über die politische Entwicklung des EU- und NATO-Landes ausgelöst, hält «Politico» fest. Viele Bedenken drehten sich darum, wie es mithilfe einer TikTok-Kampagne gelingen konnte, «einen unbekannten Kandidaten aus der Bedeutungslosigkeit zu holen».
Die französische Europa-Politikerin Valérie Hayer, Vorsitzende der liberalen Fraktion Renew Europe, erklärte, man fordere den CEO von TikTok auf, im EU-Parlament vorzusprechen und sicherzustellen, dass seine Plattform nicht gegen die europäischen Gesetze verstosse.
Der rumänische Premierminister Marcel Ciolacu sagte am Dienstag, die Finanzierung von Georgescus Kampagne auf TikTok müsse überprüft werden.
Und die rumänische Aufsichtsbehörde betonte, die Probleme seien der EU-Kommission bereits «in den vergangenen Monaten zur Kenntnis gebracht worden».
Man habe TikTok auf «verschiedene Unregelmässigkeiten im Zusammenhang mit den illegal verbreiteten Inhalten» hingewiesen und die Plattform aufgefordert, Massnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Wahl «unter legalen Bedingungen» abgehalten werde. TikTok habe jedoch nicht angemessen reagiert.
Der rumänische Fall bringe die EU-Kommission in eine schwierige Lage, konstatiert «Politico». Dies, weil eine Untersuchung der Vorgänge als Einmischung in nationale Wahlen angesehen werden könnte.
Ein TikTok-Sprecher in Brüssel wies die Manipulations-Vorwürfe zurück und sprach von höchst spekulativen Berichten über die rumänischen Wahlen. Solche Berichte seien «ungenau und irreführend». Dann liess der Sprecher der chinesischen Social-Media-Plattform auch noch einen Satz wie aus dem PR-Handbuch folgen:
Bis jetzt gibt es keine Beweise für eine Beteiligung Russlands oder anderer staatlicher Akteure bei der Wahlmanipulation in Rumänien mithilfe von TikTok.
Doch das will nichts heissen. Russland unterstützt und finanziert bereits in zahlreichen Ländern Europas nationalistische und rechtsextreme Parteien und versucht, die demokratischen Strukturen zu untergraben.
Obwohl bezahlte politische Werbung gemäss den Geschäftsbedingungen von TikTok nicht erlaubt ist, sei diese Regel bei der jüngsten Wahl in Rumänien «weitgehend wirkungslos» geblieben, zitiert «Politico» den Forscher Keith Kiely, Koordinator der bulgarisch-rumänischen Beobachtungsstelle für digitale Medien. Dieser spricht denn auch von einem «erheblichen Einfluss» der chinesischen Social-Media-Plattform auf die Wahlen.
Der rumänische Premierminister forderte, die Finanzierung von Georgescus Kampagne auf TikTok müsse überprüft werden. Es handle sich um «ein System», von dem er nicht wisse, ob es legal sei. Seiner Meinung nach müsse man der Finanzierungsquelle folgen. Auf Englisch: «Follow The Money».
Anzumerken ist, dass Georgescu mit Hilfe Dritter auch auf anderen Social-Media-Plattformen präsent ist. Zur Unterstützung seiner politischen Aktivitäten wurden zahlreiche (anonyme) Instagram- und X-Profile sowie Facebook-Gruppen gebildet.
Eine Erklärung für Georgescus kometenhaften Aufstieg hat Marius Ghincea, Politikwissenschaftler an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. Zu «Politico» sagte er, der Erfolg des Extremisten sei auf die Enttäuschung der Wähler über die beiden grossen Mainstream-Parteien zurückzuführen. Sie sind seit 2021 in einer grossen Koalition und gälten als «inkompetent».
In Rumänien hat der Präsident weitreichende Befugnisse. Er bestimmt die Aussen- und Verteidigungspolitik des Staates mit 19 Millionen Einwohnern und ist an der Kontrolle der Geheimdienste beteiligt.
Bislang habe Rumänien die Unterstützung des Westens für die Ukraine mitgetragen und den Hafen von Constanţa als wichtige Route für den Export ukrainischer Getreideexporte und die Einfuhr militärischer Lieferungen geöffnet, hält «Politico» fest.
Der russische Angriffskrieg gegen den Nachbarn habe auch die strategische Bedeutung des rumänischen Luftwaffenstützpunkts Mihail Kogălniceanu am Schwarzen Meer erhöht – dieser sei auf dem besten Weg, der grösste Stützpunkt der NATO zu werden.
Dies könnte sich jedoch alles ändern, falls Georgescu die Wahl am 8. Dezember gewinnt und das Ruder übernimmt.
Mit Material von Keystone-SDA