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In Brasilien sollen Social-Media-Konzerne für ihre Inhalte haften

Social-Media-Plattform X in Brasilien (Symbolbild)
X und Co. sollen in Brasilien gezwungen werden, konsequent gegen strafbare Postings vorzugehen.Bild: imago-images.de

In Brasilien sollen Social-Media-Konzerne neu für ihre Inhalte haften

Brasiliens Oberster Gerichtshof macht Meta und andere Social-Media-Konzerne künftig für illegale User-Postings haftbar. Eine Entscheidung mit Signalwirkung.
13.06.2025, 06:3113.06.2025, 08:52
Marcel Horzenek / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Brasiliens Oberster Gerichtshof hat eine wegweisende Entscheidung gefällt: Konzerne wie Meta, X und Google sollen künftig für illegale Inhalte ihrer Nutzer zur Verantwortung gezogen werden können. Sechs von elf Richtern stimmten für die Verschärfung der Haftungsregeln, berichtet die Nachrichtenagentur AP.

Bisher mussten die Plattformen nur dann handeln, wenn ein Gericht sie ausdrücklich zur Löschung aufforderte. Künftig sollen sie selbst die Initiative ergreifen und gegen strafbare Inhalte vorgehen.

«Es handelt sich um einen richtungsweisenden Fall für Lateinamerika mit Auswirkungen auf die Beziehungen zu den USA.»
Nachrichtenagentur AP

Warum handelt Brasiliens Justiz?

Richter kritisiert bisherige Praxis

Richter Gilmar Mendes begründete die Entscheidung dem Bericht zufolge mit deutlichen Worten: Das aktuelle brasilianische Recht stelle für digitale Plattformen «einen Schleier der Unverantwortlichkeit» dar: Auch wenn die Unternehmen über Verbrechen auf ihren Plattformen informiert würden, könnten sie bisher nicht für Schäden durch das Belassen der Inhalte belangt werden.

Nach der aktuellen Gesetzgebung können Social-Media-Unternehmen nur dann zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie gefährliche Inhalte nach einer gerichtlichen Anordnung nicht entfernen.

Mit dem neuen Ansatz nähert sich Brasilien dem Vorgehen der Europäischen Union an, die ebenfalls die Macht der Social-Media-Konzerne begrenzen will.

Plattformen müssen bei der Regulierung von Inhalten proaktiv vorgehen, zitiert die Nachrichtenagentur AP den Rechtsprofessor Alvaro Palma de Jorge:

«Sie [die Plattformen] müssen bestimmte Vorsichtsmassnahmen ergreifen, die nicht damit vereinbar sind, einfach darauf zu warten, dass ein Richter irgendwann eine Entscheidung zur Entfernung dieser Inhalte fällt.»

Richter Flávio Dino verwies auf jüngste Schul-Amokläufe in Brasilien, die durch Posts auf Social-Media-Plattformen angestachelt worden seien. Er las die Beiträge eines Nutzers vor, der schrieb, es mache ihm Freude, die Familien toter Kinder «weinend, blutend, sterbend» zu sehen.

Wie geht es weiter?

Gemäss den Berichten ist sich der Gerichtshof nicht einig über den Umfang der Entscheidung, etwa darüber, welche Arten von Inhalten als illegal gelten würden.

Der Vorsitzende des Gerichts, Luis Roberto Barroso, sagte, er werde mit den Mitgliedern des Gerichts zusammenarbeiten, um einen Konsens zu finden.

Vier Richter müssen in dem seit Monaten aufgeschobenen Verfahren noch ihre Stimmen abgeben. Bereits abgegebene Stimmen können ausserdem noch geändert werden, obwohl dies nicht üblich ist. Der Prozess soll am Donnerstag fortgesetzt werden.

Sollte das neue Gesetz beschlossen werden, könnte das nationale Parlament Brasiliens es noch durch ein Gegengesetz aufheben. Die Entscheidung betrifft einen der grössten digitalen Märkte weltweit mit über 200 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern.

Techkonzerne angeblich besorgt

Die betroffenen US-Konzerne reagierten zurückhaltend bis kritisch. Mark Zuckerbergs Meta-Konzern hatte bereits 2024 gewarnt, eine solche Entscheidung könne das Unternehmen «für praktisch alle Arten von Inhalten haftbar machen, auch ohne benachrichtigt worden zu sein».

Google forderte vor der Abstimmung klare Verfahrensgarantien, um «Rechtsunsicherheit und wahllose Entfernung von Inhalten» zu verhindern.

Was tut Europa?

Deutschland und EU bereits mit strengeren Regeln

In Deutschland und der EU gelten bereits schärfere Vorschriften für Social-Media-Plattformen. Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz verpflichtet grosse Netzwerke seit 2017, eindeutig rechtswidrige Inhalte binnen 24 Stunden zu löschen. Verstösse können mit Bussgeldern bis zu 50 Millionen Euro geahndet werden.

Die EU führte 2022 den Digital Services Act (DSA) ein, der Plattformen zur Bekämpfung illegaler Inhalte verpflichtet und mehr Transparenz bei der Inhaltsmoderation fordert. Grosse Plattformen müssen zusätzlich gegen systemische Risiken wie Desinformation vorgehen. Strafen können bis zu sechs Prozent des weltweiten Jahresumsatzes betragen.

Und die Schweiz?

Der Bundesrat zögert. Laut Quellen in Bundesbern haben vor allem die SVP-Regierungsmitglieder Bedenken, mit einer Regulierung der Social-Media-Plattformen den US-Präsidenten Donald Trump zu verärgern.

(t-online/dsc)

Quellen

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