Kein etabliertes Medium stirbt je komplett aus: Diese These formulierte der deutsche Journalist Wolfgang Riepl im Jahr 1913 – und schuf einen Leitsatz der Medienforschung. Doch würde Riepl heute leben, er würde den Satz vielleicht wieder aus seiner Dissertation streichen. Denn das Fernsehen droht gerade zu verschwinden.
Jüngere Menschen in der Deutschschweiz wenden sich gerade rasant vom Fernsehen ab. Die 15- bis 29-Jährigen schauen noch durchschnittlich 30 Minuten täglich fern – weniger als halb so lang wie vor fünf Jahren. Bei den 3- bis 14-Jährigen hat sich der Konsum mit knapp 26 Minuten pro Tag seit 2017 mehr als halbiert. In diesen Zahlen des Bundesamt für Statistik ist die zeitversetzte Nutzung eingeschlossen.
Zwar nimmt der Fernsehkonsum auch bei den 29- bis 64-Jährigen ab, aber langsamer – und die über 60-Jährigen schauten zuletzt sogar wieder länger fern. Selbst die Fernsehverbreiter, die mit TV-Angeboten ihr Geld verdienen, machen sich Sorgen über den Exodus. Roger Baur, der Newsroom-Chef der Swisscom, schreibt auf LinkedIn, die Fernsehnutzung bei den Jüngeren bewege sich «bedrohlich schnell auf den Nullpunkt zu».
Es werde spannend sein zu sehen, wie sich die Änderungen im Replay-TV auswirken. Ab Oktober können Werbeblöcke dort nur noch gegen Bezahlung überspult werden. Aber auch mit ihrem Programm sind die Sender nicht eben attraktiv für Jüngere. So schreibt Baur, die angekündigten Revivals älterer Sendungen – RTL bringt etwa die «100'000 Mark Show» zurück, RTL II das «Glücksrad» – könnten auch als «endgültige Positionierung als Senioren-Sender» verstanden werden.
«Vom Streaming her sozialisierte Nutzer sind sich komplexeres, schnelleres Storytelling gewohnt», so Baur. «Die auf mehrere Stunden hochgepanschten Shows, ausgelegt für möglichst viele Werbeunterbrechungen, wirken auf sie ebenso abschreckend wie zähflüssige Magazine, bei denen die Anmoderation länger dauert als drei durchschnittliche TikTok-Videos.»
Einen weiteren Grund für die Abkehr der Jüngeren vom Fernsehen kennt Thomas Friemel, Professor für Kommunikation und Medienforschung an der Universität Zürich: Das Smartphone. «Für Jugendliche, die sich aus dem elterlichen Wohnzimmer ins Kinder- oder WG-Zimmer zurückziehen, wird das Handy oder das Tablet zum primären Medium», sagt er. «Inhalte, die darauf nicht verfügbar sind, oder deren App es nicht auf den Homescreen schaffen, werden gar nicht mehr wahrgenommen.»
Friemel rechnet damit, dass die Entwicklung weiter geht. «Eine Stabilisierung wäre nur denkbar, wenn die gleichen Personen mit zunehmendem Alter anfangen, mehr fernzusehen. Dafür sehe ich keine Hinweise». Die jüngere Generation könne gar nicht zum Fernsehen zurückfinden, weil sie es gar nie intensiv genutzt habe. «Es müsste also eher ein ‹Entdecken› sein und das Fernsehen müsste andere Nutzungsgewohnheiten verdrängen. Mit den aktuellen Angeboten und Verbreitungsformen sehe ich da kaum Chancen.»
Für Sender heisse das nicht, dass sie die junge Zielgruppe abschreiben müssten – aber auf anderen Kanälen abholen. «Sie müssen es schaffen, Eingang in die täglichen Mediennutzungsroutinen zu finden und die werden bei den Jüngeren durch das Handy bestimmt», sagt Friemel. Mit Fernsehen im klassischen Sinn – also einem linearen Programm, das auf einem grossen Bildschirm konsumiert wird – gelinge das nur, wenn die Nutzung zu einem Event werde oder am nächsten Tag alle darüber sprächen.
Vereinzelt schaffen das die Sender noch. Das Finale der diverser gewordenen Show «Germany's Next Topmodel» auf Pro7 wurde in Deutschland im letzten Jahr von 1.13 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern im Alter zwischen 14 und 49 Jahren gesehen, der höchste Wert seit sechs Jahren. Das einmalige Revival von «Wetten, dass...?» im Jahr 2021 lockte 4.3 Millionen in dieser Altersgruppe vor den Schirm. Und auch im Sport, wo der Live-Aspekt wichtig ist, kann das Fernsehen punkten.
Noch ist die rasche Abkehr vom Fernsehen unter Jugendlichen sowieso ein Phänomen, das sich so deutlich vor allem in der Schweiz zeigt. In Deutschland schauen die 14- bis 19-Jährigen laut Zahlen von «Media Perspektiven» noch immer fast 100 Minuten TV täglich.
Das liegt auch daran, dass die Dichte an Flatrate-Abos hierzulande höher, die Qualität des Mobilfunk-Netzes besser und der Smartphone-Besitz unter Jugendlichen ausgeprägter ist. Auch Streaming-Dienste sind weit verbreitet.
Schweizer Fernsehanbieter reagieren mit der Lancierung eigener solcher Dienste. So hat der Konzern CH Media, der Sender wie 3+, TV24 und S1 betreibt und dem auch dieses Portal gehört, die Plattform «Oneplus» aus der Taufe gehoben. «Aus unserer Sicht ist es wichtig, sich als Sender den neuen Sehgewohnheiten anzupassen und Strategien zu kreieren, um auch junge Zielgruppen nach wie vor zu erreichen», sagt Sprecher Joël Steiger.
Insgesamt steige die Nutzung von Bewegtbild bei den Jüngeren stark. «Wenn die Inhalte überzeugen, werden auch junge Zielgruppen sie konsumieren. Für uns spielt es keine Rolle, ob sie dies im linearen Fernsehen, im Replay-TV oder auf Oneplus tun». Mit Formaten wie «Bachelor» oder «Sing meinen Song», die auch in sozialen Medien und auf Oneplus ausgespielt würden, verzeichne CH Media «konstant hohe Reichweiten» in der jüngeren Zielgruppe.
Auch SRF will Jüngere abholen, wo sie sind. Das müsse es gemäss der Konzession auch, sagt Sprecherin Nadine Gliesche. Um die jüngere Zielgruppe zu erreichen, veröffentlicht SRF Inhalte auf externen Diensten wie YouTube, Instagram oder TikTok, aber auch auf eigenen neuen Plattformen und Apps.
Zudem sollen die Formate vermehrt «zielgruppenspezifisch und plattformgerecht» produziert werden. «Die Mediennutzung von Jungen spielt sich heute in erster Linie online ab», so Gliesche. Dazu gehörten Social Media und Streaming-Dienste. «Das ist eine weltweite Entwicklung, die SRF nicht rückgängig machen kann.»
Auf Streaming setzen auch Pro7Sat1 mit der vor einem Jahr hierzulande lancierten Plattform «Zappn» und RTL mit «TV Now». Die Sender kommen damit aber spät. Technisch sind die Plattformen von Netflix oder Amazon voraus – und inhaltlich auch. Zwar können Sender auf ihr Archiv zurückgreifen, aber im Kampf um die jüngere Kundschaft reichen angestaubte TV-Serien und -filme nicht.
Netflix & Co. produzieren hingegen seit Jahren Inhalte für diese Zielgruppe. Dafür können sie viel Geld investieren: Ihre Produktionen funktionieren weltweit und lassen sich darum besser refinanzieren. Der deutsche «Bachelor» interessiert hingegen schon in Strassburg niemanden mehr.
Die lokale Verankerung kann Sendern helfen, aber nur begrenzt. Schon bei Filmen und Serien zieht ein grosser Teil des Publikums US-Produktionen dem heimischen Schaffen vor, und Netflix & Co. testen mit Produktionen wie «Love is Blind» und «Dated & Related» gerade, ob sie auch im Bereich der Reality-Shows eine Alternative bieten könnten.
Grosse TV-Konzerne suchen ihr Heil nun in der Vergrösserung des Marktes und der Schaffung von Synergien. Der italienische Mediaset-Konzern will die deutsche Pro7Sat1-Kette übernehmen. In Frankreich sollten die Sender TF1 der Bouygues-Gruppe und M6 von Bertelsmann fusionieren. Die Wettbewerbsbehörden untersagten dies allerdings letzte Woche. Das sei «eine verpasste Chance im Wettbewerb mit den globalen Plattformen», monierte Bertelsmann. Allzu viele dürfte das Fernsehen nicht mehr erhalten. (aargauerzeitung.ch)
Und dann soll der Konsument noch 4x die Stunde für 10min Werbung schauen, und nun kommts...und dafür noch bezahlen.
Na logo laufen Euch alle Zuschauer davon.
Evtl. wird es Zeit ein neues Werbemodel zu gestalten?