Amerikanische Investigativ-Reporter haben einen Enthüllungsbericht veröffentlicht, dessen Inhalt aus einem Hollywood-Spionagethriller stammen könnte. Demnach pflegen der US-Auslandsgeheimdienst CIA und die Ukraine seit vielen Jahren eine enge Partnerschaft, die weit über den Austausch von wertvollen Informationen hinausgeht.
watson fasst die wichtigsten Punkte zusammen.
Die «New York Times» (NYT) hat am 25. Februar einen sehr langen Artikel veröffentlicht (siehe Quellen). Der aus dem Englischen übersetzte Titel lautet «Der Spionagekrieg: Wie die CIA heimlich der Ukraine im Kampf gegen Putin hilft».
Die beiden amerikanischen Investigativ-Journalisten Adam Entous und Michael Schwirtz haben für den Artikel gemäss eigenen Angaben mehr als 200 Interviews geführt und mit Informanten in der Ukraine sowie mehreren anderen europäischen Ländern und in den USA gesprochen.
Laut der «New York Times» besteht seit vielen Jahren eine weitreichende «Geheimdienstpartnerschaft» zwischen den USA und der Ukraine. Diese an sich geheime Zusammenarbeit sei «Dreh- und Angelpunkt» für die Fähigkeit der Ukraine, sich gegen die russischen Invasoren zu verteidigen. Das osteuropäische Land sei dank des intensiven Austauschs von wertvollen Informationen zu «einem der wichtigsten Geheimdienstpartner Washingtons gegen den Kreml» geworden.
Die Partnerschaft der CIA mit der Ukraine lasse sich auf zwei Telefonanrufe in der Nacht des 24. Februars 2014 zurückführen.
Der neue ukrainische Geheimdienstchef habe im Hof des Hauptquartiers des Inlandsgeheimdienstes einen Stapel schwelender Dokumente angetroffen. Im Inneren des Gebäudes seien viele der Computer-Festplatten gelöscht oder mit russischer Schadsoftware infiziert gewesen.
Der ukrainische Geheimdienstchef habe den CIA-Stationsleiter sowie den örtlichen Chef des britischen Geheimdienstes MI6 kontaktiert und sie um Unterstützung gebeten.
Wie die «New York Times» schreibt, habe die US-Regierung den damaligen Verantwortlichen in der Ukraine misstraut. Nicht zuletzt wohl deshalb, weil der inländische Geheimdienst SBU «mit russischen Spionen übersät» war.
Doch ein enger Kreis ukrainischer Geheimdienstmitarbeiter habe die CIA unermüdlich hofiert. Nach und nach sei es gelungen, das Vertrauen der Amerikaner zu gewinnen.
2015 habe der damalige Chef des militärischen Geheimdienstes der Ukraine dem stellvertretenden Stationsleiter der CIA einen Stapel streng geheimer Akten überreicht.
Diese «erste Tranche» habe Geheimnisse über die Nordflotte der russischen Marine enthalten, darunter detaillierte Informationen über die neuesten russischen Atom-U-Boote. Und schon bald hätten regelmässig Teams von CIA-Agenten das Büro des ukrainischen Geheimdienstchefs «mit Rucksäcken voller Dokumente» verlassen.
Ein nicht namentlich genannter «ehemaliger hochrangiger amerikanischer Beamter» sagte laut NYT:
Die damalige Zusammenarbeit wird als «heikler Balanceakt» beschrieben. Die CIA sollte die ukrainischen Geheimdienste stärken, ohne die Russen zu provozieren. Doch die roten Linien seien nie genau klar gewesen – und dies habe «zu anhaltenden Spannungen in der Partnerschaft» geführt.
Die CIA habe 2016 mit der Lieferung von Ausrüstung begonnen. Der ukrainische Militärgeheimdienst (HUR) habe verschlüsselte Funkgeräte und Geräte zum Abfangen geheimer feindlicher Kommunikation erhalten.
Die CIA habe auch ein Schulungsprogramm beaufsichtigt, das in zwei europäischen Städten durchgeführt wurde, um ukrainischen Geheimdienstlern alles Wichtige beizubringen, um an wertvolle russische Informationen zu gelangen.
Das Ausbildungsprogramm für ukrainische Spione sei «Operation Goldfisch» genannt worden – in Anlehnung an einen Witz über einen russischsprachigen Goldfisch.
Die Offiziere der Operation Goldfish seien in zwölf neuen, vorgelagerten Stützpunkten entlang der russischen Grenze stationiert worden. Von jedem Stützpunkt aus hätten die ukrainischen Offiziere Netzwerke von Agenten betrieben, die Informationen innerhalb Russlands sammelten.
CIA-Beamte hätten auch einige der fähigsten ukrainischen Absolventen des Programms identifiziert, um mit ihnen zusammenzuarbeiten. Diese bildeten dann ihrerseits Schläferzellen auf ukrainischem Territorium aus, die im Falle einer russischen Besatzung Guerilla-Aktionen starten sollten.
Gemäss Bericht war für die CIA-Verantwortlichen klar, dass der US-Geheimdienst den Ukrainern nicht helfen würde, offensive und tödliche Operationen durchzuführen.
Als sich eine russische Invasion abzeichnete, wollte der ukrainische Militärgeheimdienst Kommandos nach Russland schicken, um Sprengkörper in militärischen Zugdepots zu platzieren und diese bei Bedarf aus der Ferne zu zünden, um einen russischen Vormarsch zu verlangsamen. Doch die Amerikaner reagierten entsetzt und der Plan wurde fallengelassen.
Dies habe die ukrainische Geheimdienst-Führungsriege sehr verärgert und sie entschied, die US-Geheimdienste nicht mehr zwingend vorab «um Erlaubnis zu bitten».
Nach der russischen Besetzung der Krim und des östlichen Donbass im Jahr 2014 hatte der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU die «Fünfte Direktion» ins Leben gerufen – eine Abteilung, die auf Sabotageakte hinter den feindlichen Linien spezialisiert war und auch Attentate ausführte.
Und damit kommen wir zur Einheit 2245, einer ukrainischen Kommandotruppe, die offenbar von der paramilitärischen Elitegruppe der CIA (Ground Branch) trainiert wurde.
Der Zweck der Schulung bestand gemäss NYT-Bericht darin, Verteidigungstechniken zu lehren. Aber die CIA-Offiziere hätten schnell verstanden, dass die Ukrainer dieselben Methoden bei offensiven Operationen anwenden könnten.
Zu jener Zeit sei der zukünftige Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, General Budanow, «ein aufstrebender Stern» in der Einheit 2245 gewesen. Er war für gewagte Operationen hinter den feindlichen Linien bekannt und hatte enge Verbindungen zur CIA, wie es in dem Bericht heisst.
Budanow war auch an einer geheimen Kommandoaktion beteiligt, die für grosse Aufregung sorgte:
Es sei eine Katastrophe gewesen, so die «New York Times». In einer öffentlichen Ansprache beschuldigte Präsident Putin die Ukrainer, einen terroristischen Anschlag zu planen, und er versprach, den Tod der russischen Kämpfer zu rächen.
Aber auch das Weisse Haus habe wütend reagiert – damals war noch Barack Obama US-Präsident, und sein Vizepräsident Joe Biden beschwerte sich in einem Telefonanruf.
Einige von Obamas Beratern wollten das CIA-Programm angeblich beenden, doch es wurde beibehalten: Wohl deshalb, weil auch die US-Geheimdienste massiv profitierten.
Sicher ist: Die Kritik aus Washington kostete den zuständigen ukrainischen General den Posten. Aber die Ukraine gab nicht nach. Kurz darauf wurde ein hochrangiger russischer Separatisten-Anführer namens Arsen Pawlow, bekannt unter dem Kampfnamen Motorola, in die Luft gesprengt.
Und die CIA erfuhr schon bald darauf, dass die Attentäter Mitglieder der Fünften Direktion waren – der ukrainischen Spionagegruppe, die eine CIA-Ausbildung genossen hatte.
Die Wahl von Donald Trump im November 2016 brachte die Ukrainer und ihre CIA-Partner in Verlegenheit, wie die «New York Times» nun schreibt.
Aber was auch immer der Putin-freundliche neue US-Präsident sagte und tat, seine Untergebenen innerhalb der US-Regierung seien oft in die andere Richtung marschiert.
Die Verhinderung einer Einmischung Russlands in zukünftige US-Wahlen sei zu jener Zeit eine der obersten Prioritäten der CIA gewesen. Tatsächlich war ja Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton unter anderem durch russische Hacker in Bedrängnis gebracht worden: Sie stahlen interne E-Mails und spielten sie der Enthüllungsplattform Wikileaks zu.
Ukrainische und amerikanische Geheimdienstoffiziere schlossen sich in der Folge zusammen, «um die Computersysteme der russischen Geheimdienste zu untersuchen, um Agenten zu identifizieren, die Wähler manipulieren wollten».
Laut NYT konnte der ukrainische Militärgeheimdienst Informationen beschaffen, die es der CIA ermöglichten, die russische Regierung mit der Elitehackergruppe Fancy Bear (auch APT 28 genannt) in Verbindung zu bringen.
Die ukrainisch-amerikanische Kooperation war gemäss den von der «New York Times» befragten Personen so erfolgreich, dass die CIA sie mit anderen europäischen Geheimdiensten wiederholen wollte. Mit dem Ziel, sich gemeinsam auf den Demokratiefeind Russland zu konzentrieren.
Bekanntlich begann das russische Militär im März 2021, Truppen entlang der Grenze zur Ukraine zu versammeln. Im November überbrachten CIA und MI6 ihren ukrainischen Partnern eine einheitliche Botschaft: Russland bereite sich auf eine umfassende Invasion vor, um die Landesführung zu stürzen und in Kiew eine Marionettenregierung einzusetzen, die den Befehlen des Kremls folgen würde.
Laut US-amerikanischem und britischem Geheimdienst existierte eine Liste mit Namen ukrainischer Beamter, die die Russen töten oder gefangen nehmen wollten. Doch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und einige seiner Top-Berater schienen nicht überzeugt zu sein, selbst nachdem der CIA-Direktor im Januar 2022 nach Kiew eilte.
Auf Drängen des CIA-Direktors sei eine kleine Gruppe von CIA-Agenten von der Evakuierung des US-Personals ausgenommen und in ein Hotel in der Westukraine verlegt worden.
Nachdem Putin am 24. Februar 2022 die Invasion startete, seien diese CIA-Angehörigen in der Westukraine die einzigen Repräsentanten der US-Regierung vor Ort gewesen.
Jeden Tag hätten sie sich im Hotel mit ihren ukrainischen Kontaktpersonen getroffen, um Informationen auszutauschen. Die alten Fesseln seien abgelegt worden, und das Weisse Haus habe zugestimmt, dem angegriffenen Land geheimdienstliche Unterstützung für Operationen gegen russische Streitkräfte auf ukrainischem Boden zu leisten.
Laut NYT-Bericht enthielten die CIA-Briefings oftmals «erschreckend konkrete Details»:
Innerhalb weniger Wochen sei die CIA dann nach Kiew zurückgekehrt, und man habe zahlreiche neue Beamte geschickt, um den Ukrainern zu helfen.
Vor der Invasion hatten die CIA und der MI6 ihre ukrainischen Kollegen darin geschult, Informanten zu rekrutieren und geheime Widerstands-Netzwerke aufzubauen.
In der Cherson-Region im Süden der Ukraine, die in den ersten Kriegswochen von Russland besetzt war, seien diese Partisanennetzwerke aktiv geworden, hätten Kollaborateure getötet und den ukrainischen Streitkräften dabei geholfen, russische Stellungen anzugreifen.
Alles in allem eine sehr erfolgreiche Partnerschaft, wie aus dem NYT-Artikel hervorgeht. Die Frage, die einige ukrainische Geheimdienstoffiziere jetzt ihren amerikanischen Kollegen stellten, sei, ob die CIA sie im Stich lassen werde. Das sei schon einmal in Afghanistan passiert und es werde befürchtet, dass es nun auch in der Ukraine so komme.
Dieser Befürchtung hielt ein CIA-Beamter den Besuch des US-Geheimdienstchefs von letzter Woche entgegen:
Die CIA und der ukrainische Militärgeheimdienst (HUR) hätten zwei weitere geheime Stützpunkte errichtet, um russische Kommunikation abzufangen – zusätzlich zu den bisherigen zwölf Stützpunkten. Es würden «mehr Geheimdienstinformationen als jemals zuvor im Krieg» produziert.