Das Bild ist eindrücklich: Eine junge Frau steht mutterseelenallein vor der Universität in der afghanischen Hauptstadt Kabul und streckt ein Schild in die Höhe. Sicherheitskräfte patrouillieren am Ort, schwer gepanzerte Fahrzeuge lassen sich ebenfalls ausmachen.
«Iqra», das arabische Wort für «lies», steht auf dem Schild. Eine simple, aber deutliche und symbolisch starke Botschaft: Vergangene Woche haben die afghanischen Taliban-Behörden ein unbefristetes Universitätsverbot für Mädchen und Frauen ausgesprochen.
Kurzzeitig protestierte eine Handvoll Frauen öffentlich dagegen, doch die Kundgebung wurde innert kürzester Zeit von den Sicherheitskräften aufgelöst, wie die pakistanische Zeitung Dawn schreibt. Doch eine der Frauen zeigt sich unnachgiebig und taucht wieder und wieder vor der Universität auf – obwohl ihr Verhaftung, Gewalt und soziale Stigmatisierung drohen würden, schreibt die Zeitung.
Das ist ihre Geschichte:
Auf dem Foto ist Marwa zu sehen. Sie ist 19 Jahre alt und stammt aus der afghanischen Hauptstadt Kabul. Marwa wollte in wenigen Monaten als erste Frau ihrer Familie die Universität in Kabul besuchen. Marwa hat eine Eignungsprüfung für die Universität vor wenigen Monaten absolviert und plante fest, ihre Ausbildung als Krankenschwester anzugehen. Doch die Taliban machten die Zukunftspläne zunichte.
Marwa freute sich darauf, gemeinsam mit ihrem Bruder Hamid die Universität zu besuchen – doch dieser muss nun auf unabsehbare Zeit ohne seine Schwester studieren. Gegenüber der französischen Nachrichtenagentur AFP sagt er: «Ich wollte, dass meine Schwester ihre Ziele mit mir zusammen erreichen kann, dass sie erfolgreich sein und im Leben vorwärtskommen kann. Obwohl es immer wieder Probleme gab, ging sie bis in die 12. Klasse zur Schule. Aber jetzt – was soll ich sagen?», fragt er rhetorisch.
VIDEO: Marwa was just a few months away from becoming the first woman in her Afghan family to go to university -- instead, after the Taliban banned women from attending, she will watch achingly as her brother goes without her. pic.twitter.com/x1qOrYc9XY
— AFP News Agency (@AFP) December 26, 2022
Über das Taliban-Verbot ist die junge Afghanin zutiefst traurig. Ihre Worte gehen unter die Haut. Sie sagt im Interview mit der AFP: «Wir Frauen werden schlechter als Tiere behandelt. Tiere können überall alleine hingehen, aber wir Mädchen haben nicht einmal das Recht, das Haus zu verlassen.»
Dann fängt sie an zu schluchzen: «Ich wünschte, Gott hätte niemals Frauen erschaffen. Wenn wir so unglücklich sein müssen, wünschte ich, dass wir nie geboren worden wären.»
Doch Marwa denkt nicht daran, einfach aufzugeben. Sie entscheidet sich für den Protest und stellt sich am 25. Dezember alleine mit ihrem Schild vor die Universität, die als grösste und angesehenste im Land gilt. «Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich so stolz, stark und mächtig, weil ich gegen sie stand und ein Recht forderte, das Gott uns gegeben hat», sagt sie danach.
Während sie sich vor der Uni aufhält, wird die junge Frau mehrfach angefeindet. «Sie haben wirklich schlimme Dinge zu mir gesagt, aber ich bin ruhig geblieben», resümiert die 19-Jährige. Mit ihrem Protest will sie andere Frauen ermutigen, ebenfalls für ihre Rechte einzustehen. «Ich will nicht eingesperrt werden. Ich habe grosse Träume, die ich verwirklichen möchte», so Marwa.
Die Taliban hatten im August 2021 nach dem Abzug der US-amerikanischen Truppen innert kürzester Zeit wieder die Kontrolle über das zwischen Zentral- und Südasien gelegene Land übernommen.
Anfängliche Versprechungen gegenüber dem Rest der Welt, den Frauen weitergehende Rechte als in der Zeit der ersten Taliban-Herrschaft zwischen 1996 und 2001 einzuräumen, erwiesen sich bereits nach kurzer Zeit als Lippenbekenntnisse.
Nach und nach nahmen die muslimischen Extremisten den Frauen grundlegende Rechte wie den Besuch von Parks, Fitnessstudios oder öffentlichen Bädern. Auch der Zugang zu Schulbildung wurde für Mädchen kontinuierlich eingeschränkt, die Kleidervorschriften hingegen ausgeweitet. Für internationale Empörung sorgten jüngst das Studienverbot sowie eine neue Bestimmung, wonach auch bei Hilfsorganisationen angestellte Frauen nicht mehr arbeiten dürfen.